Ich lernte meinen ersten Kuschelkunden in einem Stundenhotel kennen, das sich in einem unauffällig beige gestrichenen Gebäude in einer geschäftigen Straße befand. Im Empfangsbereich war es richtig düster und die Frau hinter der Kasse beobachtete gleichgültig, wie ich mich Ron—also dem besagten Kunden—näherte. Ron war blass, hatte fast schon eine Glatze und sein dicker Bauch hing ihm über die gebügelten Khakihose. Ich stellte mich vor, schüttelte seine Hand und führte ihn in unser Zimmer.
Das angemietete Zimmer hatte kahle Wände und kein Fenster. Neben dem einfachen Bett gab es einen dampfenden Whirlpool. Ron setzte sich aufs Bett und nach etwas Smalltalk sagte ich den Satz auf, den ich vorher einstudiert hatte: „Ich freue mich darauf, mit dir zusammen verschiedene Arten der Berührung zu erforschen, aber um mich jederzeit sicher fühlen zu können, erinnere ich dich nochmals an die Regeln—keine komplette Nacktheit, kein Küssen und keine sexuellen Avancen.” Er war einverstanden.
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Eine Woche zuvor hatte ich aus Geldnot diverse Craigslist-Jobangebote durchforstet und war dabei auch auf eine Anzeige gestoßen, in der nach Kuschelpartnern gesucht wurde: 40 Dollar pro Stunde, kein Sex, keine nackten Tatsachen. Ich brauchte die Kohle, aber ich war gleichzeitig auch unglaublich neugierig: Welche Menschen bezahlen fürs Kuscheln? Und wie fühlt es sich an, mit einem Fremden Körper an Körper im Bett zu liegen?
Ron trug nur noch seine Boxershorts und auch ich hatte mich bis auf meinen Sport-BH und meine Unterhose komplett ausgezogen. Später sollte ich noch herausfinden, dass das eigentlich gar keine Voraussetzung ist, von vielen Kunden aber dennoch verlangt wird. Und so umarmten wir uns auf dem Bett—mein Kopf ruhte dabei auf seiner Armbeuge und meine Arme umschlungen seinen Bauch. Durch unsere Unterhaltung erfuhr ich, dass er eine Baufirma besaß, sieben Tage die Woche täglich 17 Stunden arbeitete und sich durch das Kuscheln entspannte. Er bat mich, einfach nur zu reden, und so erzählte ich ihm, wie ich auf meinem Fahrrad die Stadt erkundete, nachdem ich hierher gezogen war. Anschließend fragte er mich, ob er sich auf mich legen dürfte.
Ich konnte richtig spüren, wie sich Rons erigierter Penis gegen meinen Oberschenkel presste. „Du bist so hübsch”, meinte er und berührte dabei mein Gesicht mit seinen Lippen. Ich erinnerte ihn noch einmal daran, dass Küssen nicht erlaubt sei. Dann fuhr er mit seinen Händen an meinen Brüsten entlang und ich drückte ihn sanft weg. „Bitte beachte die Regeln”, sagte ich immer wieder.
Cuddle Time, also die Agentur, für die ich arbeitete, kommt ursprünglich aus New York und hat inzwischen Ableger in 19 anderen Städten. Die dazugehörige Website ist dabei ein Mischmasch aus widersprüchlichen Botschaften. Als erstes springt einem dort direkt das Foto von zwei jungen Blondinen ins Auge, die sich lächelnd zur Kamera hin beugen und dabei ihre großzügigen Ausschnitte präsentieren. Und dennoch wird man auch immer wieder daran erinnert, dass der Service rein platonischer Natur ist. Natürlich folgt dann aber direkt wieder ein Bild einer jungen, aufreizenden Dame. Eine der FAQ-Antworten lautet dabei auch: „Stell dir das Ganze einfach vor wie das Rummachen mit deiner Freundin—nur hältst du da nicht deine Freundin im Arm und Rummachen ist auch nicht erlaubt.”
Cuddle Time wurde von Cuddle Therapy inspiriert. Dabei handelt es sich um einen seriösen Service, der von Travis Sigley in San Francisco angeboten wird. Vor acht Jahren war Sigley der erste professionelle Kuschler der USA und er bot seinen Kunden dabei Berührungen ohne jegliche sexuelle Konnotation an. Sein Ziel ist es, die kulturelle Annahme zu entkräften, dass Berührungen, Zuneigung und Intimität nur in sexuellem Kontext existieren. Mir gegenüber meinte er, dass sein Service genau wegen dieser platonischen Natur so wertvoll sei, denn auf diesem Weg werde zum einen die kulturelle Botschaft widerlegt, dass Sex das einzige Mittel für eine zwischenmenschliche Verbindung ist, und zum anderen seinen Kunden eine Möglichkeit geboten, körperliche Berührungen wieder richtig schätzen zu lernen.
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Sigley ist dabei besonders wichtig, sowohl seine Grenzen als auch seine Absicht der Heilung klar zu artikulieren. So setzt er sich mit neuen Kunden immer zuerst zusammen und trinkt einen Tee. Dabei stellt er dann seine Techniken vor und fragt sein Gegenüber, welche Bedürfnisse und Ziele bestehen. Er hat schon mit allen Typen Mensch gearbeitet—egal ob Mann, Frau, homo- oder heterosexuell—und in den acht Jahren seiner Tätigkeit ist laut Sigleys Aussage noch nie eine Grenze überschritten worden.
Andere Kuschelprofis haben da jedoch schon andere Erfahrungen machen müssen. Casey Nin, die seit sieben Monaten bei Cuddle Time angestellt ist, hat sich dieser Art der Arbeit zugewandt, um „Berührungen zu destigmatisieren.” Jede ihrer Sessions beginnt dabei mit der Besprechung der Grenzen und sie trägt bei der Arbeit immer eine Stretchhose sowie ein weites T-Shirt. Außerdem weist sie ihre Kunden behutsam zurecht, wenn zu weit gegangen wird.
Und es wird Nin zufolge „meistens” zu weit gegangen. So wollten sich viele ihrer Kunden schon privat treffen, verlangten nach weniger Kleidung und versuchten sogar, sie zu sexuellen Handlungen zu überreden. Und jedes Mal erteilt sie solchen Anfragen so freundlich wie nur möglich eine Absage. In den Cuddle-Time-Arbeitsverträgen wird zwar angegeben, dass das Unternehmen die Kunden vorher prüft, letztendlich aber für nichts haftet, was dann zwischen den Kunden und den Angestellten passiert.
„Die Menschen, für die Intimitäten mit anderen Leuten eine Seltenheit sind, haben es nicht einfach”, erzählte mir Nin. „Und wenn sie dann jemanden finden, dem sie sich gegenüber öffnen können, dann glauben sie natürlich, da auf etwas Besonderes gestoßen zu sein, und wollen diese Verbindung deswegen nicht wieder abreissen lassen.” Auf meine Frage, ob sie die Intimität nur vorspielt, antwortete mir die Kuschlerin, dass das Geld natürlich den größten Motivationsschub liefern würde—aber wenn sie sich mit einem Kunden beschäftigt, dann auch wirklich.
Als Sigley sein Kuschelunternehmen ins Leben rief, träumte er noch davon, eine ganze Industrie der nicht-sexuellen Intimitäten und zwischenmenschlichen Verbindungen zu erschaffen. Zwar hat er es auch geschafft, die Grundlage für eine Industrie zu kreieren, aber dabei handelt es sich nicht um die, die er im Sinn hatte. Viele Ableger—wie eben Cuddle Time—verstünden laut Sigley doch gar nicht, worum es hier überhaupt geht, denn sie machen nur von einem billigen kapitalistischen Trick Gebrauch, um Sex zu verkaufen. Das Bedürfnis nach der eben erwähnten zwischenmenschlichen Verbindung wird dabei komplett außer Acht gelassen.
Wenn man sich durch diverse Kuschelservice-Websites klickt, dann findet man vor allem Fotos von Frauen, die sich in Reizwäsche oder freizügiger Kleidung präsentieren. So verschwimmt die Grenze zwischen einer rein platonischen Dienstleistung und einem unter der Hand angebotenen Sex-Service. Die von Cuddle Time aufgebauschten Beschreibungen der Angestellten sind dabei auch mit Schlagwörtern wie etwa „unterwürfig”, „tolle Figur” oder „rundum schöne Frau” gespickt.
Als Nin bei Cuddle Time anfing und die eben beschriebenen Fotos der anderen Frauen sah, entschied sie sich bewusst dazu, sich nur in einem hochgeschlossenen Outfit zu zeigen. Außerdem denkt sie darüber nach, ein eigenes Kuschelunternehmen zu gründen, denn es besteht laut ihr viel Potenzial für einen weniger sexuellen Service. Sie ist sich jedoch auch nicht sicher, ob das Ganze ohne die Untertöne überhaupt genügend Geld abwerfen würde.
Und dennoch ist sie erstmal froh darüber, überhaupt in der Kuschelindustrie zu arbeiten.
„Einige Kunden wissen einfach nicht, was sie wollen”, meinte Nin abschließend zu mir. „Die Leute gehen immer davon aus, dass man nur mithilfe von sexuellen Beziehungen zu Berührungen kommt. Vielleicht ist es da ganz gut, ihnen einen anderen Weg aufzuzeigen—selbst mithilfe von sexuellen Untertönen.”