Dass Nordkorea Raketen testet, ist nicht neu – aber in dieser Woche knallte es ungewöhnlich viel, selbst für ein Land, dessen Präsident den Spitznamen “Kim Jong-Bum” trägt. Am Montag Ortszeit startete die isolierte Volksrepublik eine Scud-Rakete, die vor der japanischen Küste im Meer landete. Premierminister Shinzo Abe zeigte sich darüber nicht sonderlich erfreut und kündigte “konkrete Gegenmaßnahmen in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten” an. Einen Tag später meldete das Pentagon, dass man erfolgreich eine eigene zu Testzwecken gestartete Interkontinentalrakete mit einem Abwehrsystem von Kalifornien aus abgefangen habe. Ebenfalls am Dienstag zeigte sich der neue Präsident Südkoreas, Moon Jae-in, “schockiert” darüber, dass die USA vier Terminal High-Altitude-Area-Defense-Abschussgeräte (THAAD) mehr ins Land gebracht hatten als erwartet. Moon kündigte an, untersuchen zu lassen, warum er und sein eigenes Militär nicht früher davon erfahren haben. Aus der Perspektive Südkoreas verwandeln die Geräte der USA ihre Städte und Dörfer zwar in potentielle militärische Ziele, bringen der südkoreanischen Bevölkerung selbst aber kaum Vorteile.
Bei diesen ganzen Meldungen sieht man sich schon kurz vor dem Dritten Weltkrieg. US-Präsident Donald Trump hatte im April versprochen, sich um das Nordkorea-Problem “zu kümmern”. Seitdem scheint es immer wahrscheinlicher, dass in der Region jeden Moment etwas Schreckliches passieren könnte. Bei näherer Betrachtung sind die drei jüngsten Entwicklungen allerdings nur bedingt miteinander verbunden. Um sie zu verstehen, habe ich mit Rodger Baker gesprochen, dem Leiter der Asia-Pacific-Forschung des Militär-Think-Tanks Stratfor.
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VICE: Was will Nordkorea mit seinem neuesten Raketentest bewirken?
Rodger Baker: Der Test scheint darauf ausgerichtet zu sein, die Fähigkeit ihrer MaRV – das ist ein lenkbarer Gefechtskopf – zu verbessern. Daran arbeiten sie schon das ganze Jahr. Es ist eine von mehreren wichtigen technischen Hürden, die Nordkorea noch zu meistern hat auf dem Weg zu funktionstüchtigen Langstreckenraketen. Jeder noch so kleine Schritt bringt sie näher ans Ziel.
Und der Abfangtest der Amerikaner, was hat es damit auf sich?
Der Abschuss zeigt, dass das Abfangsystem stetig verbessert wird, es kam allerdings noch nie unter realen Bedingungen zum Einsatz. Die Erfolgsbilanz ist bislang noch etwas durchwachsen, aber jeder Schritt hin zu verbesserter Effektivität gibt den USA etwas mehr Vertrauen. Kombiniert mit einer mehrschichtigen Raketenabwehr hoffen sie, eine verirrte Rakete der Nordkoreaner abfangen zu können. Bis dahin müssen allerdings noch eine ganze Reihe Tests absolviert werden.
Und was ist mit der Wut des neuen südkoreanischen Präsidenten über die zusätzlichen THAAD-Systeme in seinem Land? Sollte er nicht froh darüber sein?
In Seoul kann Moons mit seiner Wut den Wählern demonstrieren, dass ihm das Thema weiterhin wichtig ist. Gleichzeitig findet er so vielleicht einen Weg, die Stationierung von THAAD einzuschränken oder zu reduzieren, ohne dabei die USA direkt zu konfrontieren. Es ist ein schwieriger Balanceakt, den er zwischen den Vereinigten Staaten, China, seinen Wählern und der akuten Sicherheit Südkoreas austarieren muss.
Das klingt nach einem kalkulierten politischen Manöver. Wie kommt das bei den Südkoreanern an?
THAAD wird als eine Manipulation durch die USA und die Vorgängerregierung dargestellt. Man wirft ihnen vor, sie hätten THAAD heimlich ins Land geholt, ohne das im Parlament richtig diskutiert oder angemessene Umwelttests durchgeführt zu haben. Sie hätten das System quasi schnell ins Land geschummelt, um die neue liberalere Regierung vor vollendete Tatsache zu stellen. Das schlägt in die gleiche Kerbe wie die weitverbreitete Vorstellung, dass die konservativen Parteien in Südkorea nicht auf das Volk hören, zu eng an die Interessen der USA gebunden seien und es darauf anlegten, Korea in einen handfesten Konflikt zu führen. Politisch gesehen könnte sich dieses Manöver von Moon auszahlen.
Steht man in Südkorea der amerikanischen Politik jetzt kritisch gegenüber? Heißt das, uns steht ein Konflikt bevor?
Die Vorfälle häufen sich und die Frequenz steigt. Das könnte uns tatsächlich näher an einen Konflikt bringen.
Wie steht es um das Raketenabwehrschild der Amerikaner?
Die Raketenabwehr muss perfekt funktionieren, um eine echte Abschreckung darzustellen. Es muss Vertrauen geben, in Aktion treten zu können, ohne große Gegenschläge befürchten zu müssen. Die USA sind allerdings noch weit davon entfernt.
Welche Probleme hat Nordkorea, wenn die USA ihre Raketenabwehr verbessern?
Das Regime in Nordkorea muss mehr tun muss, als bloß zu zeigen, dass es Raketen abfeuern kann. Sie müssen Führungsvermögen zeigen, vielleicht mit verschiedenen Sprengköpfen experimentieren oder einfach so viele Raketen bauen, dass sie damit jedes Abwehrsystem überfordern würden. So ähnlich wie bei den Tests Anfang März mit mehreren Simultanstarts. Für Pjöngjang ist das ein Wettrennen um das Überleben des Regimes. Zuletzt wurde im Land viel über einen Komplott zu einem Attentat auf Kim Jong-un diskutiert. Wenn die Nordkoreaner wirklich daran glauben, dann spüren sie sogar noch mehr Druck, das Programm zu beschleunigen.
Ziehen die USA wirklich einen Krieg in Erwägung?
Die Vereinigten Staaten weichen von ihrer militärischen Drohung nicht ab und schicken sogar einen weiteren Flugzeugträger in die Region. Es muss allerdings noch eine Menge von Japan und Südkorea aus passieren – von China ganz zu schweigen –, bevor die USA sich dazu entscheiden, militärisch zu handeln. Allerdings berichten Überläufer in jüngster Zeit von einer aufstrebenden Opposition gegen Kim Jong-un. Wenn Washington glaubt, dass das Regime im Norden geschwächt ist – dann dürften sich ihre Kalkulationen für die Kosten einer militärischen Intervention wohl ändern.