So denken Secondos über Zuwanderung

Die Schweiz ist ein Zuwanderungsland. Jedes vierte Baby, das hier geboren wird, bekommt keinen Pass mit weissem Kreuz. Jeder dritte Bewohner ist entweder selbst in die Schweiz eingewandert—so wie ich—oder Kind (oder Enkel) von Menschen, die aus dem Ausland in die Schweiz gekommen sind—hat also einen Migrationshintergrund. Und auch fast jeder fünfte Schweizer, der bei Wahlen und Abstimmungen seine Meinung in eine Urne schmeissen darf, zählt zu dieser Gruppe.

Viel wird dabei über Zuwanderung diskutiert. Wie gehen wir mit den potenziellen Neuschweizern um? Sollen wir mehr Ausländer aufnehmen? Weniger? Gar keine mehr? Anders als bei anderen Fragen hat hierzu auch der uninteressierteste Mensch aus Hinterpfupfingen eine Meinung—eine gewisse Partei ist daran alles andere als unschuldig. Er meint im übelsten Fall zu wissen, dass alle Menschen aus Ex-Jugoslawien nur für ihren neuen Leasing-BMW an unsere Sozialsysteme wollen, alle Deutschen den Schweizern die guten Jobs klauen und alle Flüchtlinge die Schweiz in den Untergang treiben.

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Selten kommen in diesen klischeebeladenen Diskussionen aber jene Menschen zu Wort, die wirklich von Zuwanderung betroffen sind—und nicht bloss ihre Ängste auf die bösen, bösen Ausländer projizieren. Ich habe deshalb bei Secondos rumgefragt, wie sie eigentlich zur Zuwanderung in die Schweiz stehen und was sie über die Menschen in ihrem Heimatland denken.

Die Antworten zeigen, dass Secondos alles andere als eine gleichgeschaltete Masse sind—zu der sie etwa unser wahlkämpfender Bundesrat Ueli Maurer gerne machen würde. Manche der Secondos fühlen sich als Schweizer, andere als „Mischlinge”. Manche mögen die Menschen aus ihrem Herkunftsland, andere finden sie schlicht und einfach „Trottel”—alle aber betrachten sie distanziert. Und manche antworten im Umfang einer mehrteiligen Autobiographie auf meine Fragen, während andere mit ihrer Tastatur um jeden einzelnen Buchstaben ringen—genau wie bei allen anderen Menschen eben auch.

Labinot, 20, Mazedonien-Secondo

VICE: Fast ein Viertel der Menschen in der Schweiz sind Ausländer. Findest du das zu viel?
Labinot: Das ist schon viel. Aber ohne uns würde vieles nicht funktionieren.

Magst du die Menschen aus Mazedonien?
Ich mag jeden Menschen, egal woher er kommt. Sind sie nett zu mir, bin ich nett zu ihnen. Aber die meisten Menschen aus meinem Land mag ich nicht, da sind sehr viele Trottel dabei.

Fühlst du dich mehr als Schweizer oder als Mazedonier?
Je nach Situation. Das ist immer anders. Meistens fühle ich mich wie ein Mischling.

Olivia, 26, Südkorea-Secondo

Foto: Global Panorama | Flickr | CC BY-SA 2.0

VICE: Findest du, in der Schweiz gibt es zu viele Ausländer?
Olivia: Nein, ich kenne es nicht anders. Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt zu kennen macht das Leben doch interessant. Ich kann mir vorstellen, dass es langweilig wäre, wenn nur Schweizer hier leben würden.

Würdest du dir mehr Menschen aus Südkorea für die Schweiz wünschen?
Nein, mir ist es ziemlich egal, ob mehr Koreaner hier sind oder nicht, weil ich mich eindeutig als Schweizerin fühle.

Was hältst du denn von den Menschen aus Südkorea?
Na ja, solche die in Korea aufgewachsen sind und den Grossteil ihres Lebens dort verbracht haben, mag ich nicht besonders. In der Schweiz gibt es nicht so viele (junge) Koreaner, und ich bin keine, die aktiv den Kontakt zu anderen Koreanern sucht.

Und was magst du an ihnen und was nicht?
Die Koreaner teilen mit mir die Begeisterung für das Land—speziell für Seoul. Aber die koreanische Mentalität und der typische Charakter passen mir nicht immer, da ich durch und durch „europäisch” bin. In meinem Freundeskreis gibt es auch fast keine Koreaner.

Du fühlst dich also als Schweizerin. Als was sehen dich andere Menschen?
Viele Menschen, die ich kennenlerne, denken ich sei Koreanerin. Wenn sie mich fragen woher ich komme, sage ich aber immer: „aus der Schweiz.”

Erik, 23, Niederlande-Secondo


Foto: zoetnet | Flickr | CC BY 2.0

VICE: Findest du, es gibt zu viele Ausländer in der Schweiz?
Erik: Nein. Solange sie sich anpassen ist mir das egal.

Magst du die Menschen aus den Niederlanden?
Ja, die mag ich.

Was magst du an ihnen und was nicht?
Da gibt es nichts Spezielles, das ich mag oder nicht mag.

Als was fühlst du dich, eher als Niederländer oder als Schweizer?
Weder noch. Ich fühle mich als Niederländer aber nicht unbedingt als Ausländer.

Armir, 23, Kosovo-Secondo

Foto: Cradel | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

VICE: Fast ein Viertel der Menschen in der Schweiz sind Ausländer. Findest du das zu viel?
Gzim: Schaut man das quantitativ an, sind das irgendwie schon viele. Ich persönlich denke aber, dass es nicht zu viele sind. Vermutlich wird das in ein paar Jahrzehnten eh irrelevant sein.

Magst du die Menschen aus dem Kosovo?
Die Entscheidung, ob ich jemanden mag, hängt sicher nicht mit dem Herkunftsland zusammen. Darum kann ich keine pauschale Antwort geben. Prinzipiell ist mein Sympathie-Glas bei Argentiniern, Libyern, Albanern oder wem auch immer gleich voll. Man kann aber schon sagen, dass eine gemeinsame Nationalität als Brücke dient und den Anfang erleichtert.

Gibt es trotzdem Dinge, die du an Kosovaren magst oder eben nicht magst?
Die Menschen aus dem Kosovo—die Kosovaren in der Schweiz ausgeschlossen—habe ich als sehr gastfreundlich, offen und einfach erlebt. Trotz den vielen Problemen und der Armut im Land sind sie immer für einen Kaffee oder einen Witz zu haben—die Probleme im Kosovo dienen ihnen als Quelle für Galgenhumor. Dadurch strahlen sie eine Leichtigkeit aus, die vielen westlichen Ländern fehlt.

Ignoriert man die politischen und kulturellen Geschehnisse, die das Land und die Leute durchgemacht haben, finde ich aber auch einiges zum motzen. Ich finde—von dem was ich auf Facebook sehe—meine Verwandten verfolgen falsche Interessen. Geprägt durch die Medien und ihren „Stars” wird ihre Realität völlig verzerrt. Ich verstehe, dass sich in den Medien alle inszenieren—der eine macht auf Schmusesänger, der andere auf Gangsterrapper.

Das Problem am Kosovo ist, dass jeder von denen ein scheiss Prolet ist. Und alle Jungen und Mädchen äffen die nach. Jeder will einfach berühmt werden. Für was, spielt keine Rolle. Statt in etwas Sinnvolles wird das letzte Geld in ein Occasion-iPhone investiert, damit man auch so cool ist wie die Stars in den Clips.

Würdest du dir mehr Menschen aus dem Kosovo für die Schweiz wünschen?
Weder wünsche ich mir das, noch lehne ich es ab. Solange ein Ausländer in die Schweiz kommen möchte—egal woher—und ein gesundes Mass an Integration hat, habe ich nichts dagegen.

Fühlst du dich eher als Schweizer oder als Kosovare?
In der Schweiz bin ich Schweizer mit Migrationshintergrund—oder eben: Shipi. Im Kosovo bin ich Schweizer. Je länger ich aber über diese Frage nachdenke, desto weniger kann ich mich für eines von beiden entscheiden. Ich fühle mich weder als Schweizer, noch als Kosovare. Beide Nationen haben mich geprägt. Ich fühle mich in der Schweiz wohler, weil sich mein ganzes Leben hier abgespielt hat. Aber ich bezweifle, dass ich zu 100 Prozent zu den Schweizern oder den Albanern gehöre. Ohne angeben zu wollen, sehe ich mich als Person von Welt ohne wirkliche nationale Identität.

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Titelfoto: Kecko | Flickr | CC BY-ND 2.0