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So dreckig kann das Urlaubsparadies Vietnam sein


Nha Nghis in Long Biên, Hanoi

Was Laster betrifft, ist Vietnam ein Land mit klaren Prioritäten. Ein Päckchen Marlboro ist billiger als eine Tasse Kaffee, ein Liter Hanoi-Vodka—die relativ erträgliche Billig-Marke des Landes—kostet weniger als eine Packung Cornflakes und pro Jahr werden zwei Monate zum größten Teil mit dem Feiern einer riesigen Party namens Tết verbracht, einer Art Kombination aus Silvester und Open-Air-Festival—mit mehr Feuerwerken, Masken und Spielen (zum Beispiel eine Entenjagd mit verbundenen Augen). 

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Zur Mittagszeit ist die Landeshauptstadt Hanoi so richtig in ihrem Element. Während der Rest von uns damit beschäftigt ist, für ein paar Cent ein Sandwich mit richtigem Fleisch aufzutreiben, treffen sich die Bewohner Hanois in speziellen über die Stadt verteilten Motels zu Mittagsliaisons. 

Das Nha Nghi (übersetzt „Rasthaus“) ist ein relativ modernes Phänomen, dessen Ableger in den letzten zehn Jahren im ganzen Land aus dem Boden sprossen. Sex vor der Ehe zu haben, ist in Vietnam etwa so: Alle tun es, aber niemand gibt es zu. Nha Nghis sind also die ideale Tarnung für jungen Liebende, die dem Urteil ihrer Eltern und der Gesellschaft entgehen wollen. 


Eine Straße mit Nha Nghis im Bezirk Hai Ba Trung in Hanoi

Schon vietnamesische Schüler machen während der Mittagspause liebend gern rum und auch im fortgeschrittenen Alter wird diese Gewohnheit eigentlich nie abgelegt. Dank ihrer Diskretion sind Nha Nghis auch für Erwachsene bis jenseits der 60 ein idealer Ort für ein Rendezvous. Es überrascht kaum, dass es vor allem die etwas besser betuchten Polyamoristen sind, die die Nha Nghis trotz der dreihundertprozentigen Preiserhöhung bereits Monate im Voraus für den Valentinstag und andere Feiertage buchen. 

„Im Gegensatz zu ihrem Ruf im Westen sind die Vietnamesen in Wirklichkeit sehr liberal, und Affären sind extrem geläufig“, erzählte mir eine der Hotelangestellten. „Mein ehemaliger Partner war ein wohlhabender Mann, der sich pro Woche mit drei oder mehr Frauen traf. Wenn es so einfach ist, jemanden abzuschleppen, fällt es Vietnamesen schwer, treu zu sein—besonders Männern.“

Angesichts dessen, dass man die Räume schon ab 2,40 Euro pro Stunde mieten kann, sind sie erstaunlich sauber und gut ausgestattet. Der Raum, den ich mir im Bezirk Long Biên angesehen habe, hat mich ein bisschen an eine Travellodge in England erinnert, nur dass es keine nervigen Typen und zu sexuellen Übergriffen neigenden Fußballer gibt.

Wie in den meisten Elendsgeschichten des 21. Jahrhunderts spielte das Internet auch bei der Verbreitung der Nha Nghis eine große Rolle. In Vietnam wurde der Yahoo!-Chat in der Mitte der Nuller-Jahre extrem beliebt. Plötzlich verfügten Cyber-Casanovas über endlose Ressourcen von potenziellen Partnern, die sie anstupsen und dazu überreden konnten, mit ihnen in die Kiste zu springen. 


Hung, der sein Gesicht nicht zeigen wollte, sitzt in einem Café in Hanois Altstadt

Hung, der innerhalb von zwei Jahren angeblich mit über 60 Frauen in Nha Nghis war, bevor er ehrenswerterweise das erste Mädchen, das er schwängerte, geheiratet hat, sagte, dass Chaträume ein neuer Lebensraum für Leute wie ihn gewesen seien. „Für mich war es sehr einfach—ich sagte einem Mädchen etwas Nettes und ließ den Dingen ihren Lauf“, erzählte er mir. „Wenn wir uns einmal unterhalten, kann ich mich mit ihr treffen. Wenn wir uns einmal getroffen haben, kann ich sie küssen. Wenn ich sie einmal geküsst habe, kann ich ihre Möpse anfassen. Und wenn das erstmal passiert ist, kann ich sie bumsen“, fügte er hinzu. 

Wie du dir wahrscheinlich mittlerweile denken kannst, gehen die Sex-Dates in den Nha Nghis, trotz der vermeintlich liberalen Anschauungen und der sexuellen Selbstermächtigung, meist mit einer ziemlichen Dosis an Frauenfeindlichkeit einher. Widerliche Typen wie Hung und andere Gleichaltrige sind bekannt dafür, untereinander Telefonnummern von Mädchen auszutauschen, die einen schnell ranlassen, und auf der beliebtesten Porno-Website des Landes „Lauxanh“ gibt es ein Forum, in dem Männer Fotos ihrer Errungenschaften teilen und die „Vorzüge“ der Mädchen auf einer Skala von eins bis zehn bewerten können. 

So schäbig diese Typen auch sein mögen, so sind sie auf der großen Moralskala relativ weit unten. Die Mehrheit der Nha-Nghi-Nutzer sind Paare, die einfach rummachen wollen, ohne den Zorn der Gesellschaft zu erregen. 

Von größerer Tragweite—sozusagen der Krebs vieler Entwicklungsländer—ist jedoch der Mangel an Verhütung aufgrund von Nachlässigkeit oder fehlender Aufklärung, was besonders bei jungen Menschen zu beobachten ist. Vietnam verzeichnet die mit Abstand größte Abtreibungsrate bei Jungendlichen in Südostasien. Weltweit rangiert das Land bei Abtreibungen unter Teenagern auf Platz fünf. Hinsichtlich von Geschlechtskrankheiten soll es keine Unterschiede geben, doch da Behandlungen meist von privaten Ärzten durchgeführt werden, sind die Zahlen schwer abschätzbar. Gemäß den Statistiken des Gesundheitsministeriums lebten gegen Ende Mai 2013 213.400 mit HIV infizierte Menschen in Vietnam, wobei viele von ihnen vermutlich Sexarbeiter sind. 


Trang wartet in der Nähe vom Thuyen-Quang-See in Hanoi auf Freier.

Trang, eine 33-jährige Prostituierte, die seit zehn Jahren auf den Straßen von Hanoi arbeitet, bedient bis zu acht Kunden pro Tag, entweder in Nha Nghis oder in öffentlichen Toiletten, für etwa 3,50 Euro. „Ich wurde von einem meiner Kunden mit HIV angesteckt—ich weiß nicht, von wem—und mit meiner Gesundheit geht es bergab“, sagte sie. „Ich würde gerne aussteigen, aber nur so kann ich mir Medizin leisten. Nha Nghis sind nicht ideal, aber um einiges sicherer als die Straßen. Die meisten Besitzer stellen sicher, dass nichts Gefährliches passiert.“ 

Obwohl sie zuvor für ihre Verbindung zur Prostitution angegriffen wurden, müssen Nha Nghis momentan keine staatlichen Eingriffe befürchten, zumal sich die Politik der Kommunistischen Partei, die sich momentan auf Maßnahmen gegen die Verbreitung von HIV konzentriert, ständig wandelt. Die Rasthäuser sind in allen gesellschaftlichen Bereichen beliebt. Die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, fanden, dass sie in einem Land, das noch immer dabei ist, seinen moralischen Kompass zu justieren, einen wichtigen Dienst für sorgenfreie Paare bieten. Doch wie alle Laster stehen sie dem Missbrauch offen. Während die meisten Besucher in Nha Nghis nur die Lust nach einem mittäglichen Intermezzo stillen, kosten sie die Schutzlosen einiges mehr als nur ein bisschen Geld.