Prince, Lil Wayne, Elton John und Amy Lee – das sind nur ein paar der vielen Musiker, die an Epilepsie leiden oder gelitten haben. Die neurologische Krankheit betrifft in etwa 50 Millionen Menschen auf der Welt und hat verschiedene Formen und Ausprägungen. Welche Art von Epilepsie man hat und welche Art von Anfällen man wie oft hat, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
In diesem Artikel gehen wir von Grand Mal-Anfällen aus. Die Art von Anfällen, die man sich unter Epilepsie auch vorstellt: Bewusstlosigkeit und Muskelzuckungen. Die Art von Anfällen, die ein bisschen wie ein Ohnmachtsanfall oder auch Exorzismus aussehen. Jeder, der die Diagnose Epilepsie bekommt, hört sich erstmal die Don’ts an: Autofahren und Tauchen zum Beispiel. Strobo, Übermüdung und Stress provozieren das Gehirn oftmals zu sehr und können Anfälle auslösen.
Und genau die letzten Punkte sind oft beim Ausgehen der Fall. Wer war nicht schon mal in einem überfüllten Club gestresst? Strobo-Licht sieht man oft auf Konzerten und in diversen Clubs. Und Übermüdung? Außer man geht nur auf ein Getränk in eine Bar, ist das quasi der Kern des Fortgehens. Wer bis 5:00 Uhr und 6:00 Uhr ausgeht, ist automatisch übermüdet, es sei denn, er hat acht Stunden vorgeschlafen.
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Einige der Befragten und auch ich haben die Diagnose nach dem Fortgehen bekommen. Die 28-jährige Samara* ist Lehrerin und hat vor elf Jahren auch beim Fortgehen die Krankheit attestiert bekommen: “Ich hatte meinen ersten “großen” Anfall auf einer Party. Laute Musik, lange auf und am Feiern, vier Strobos in einem kleinen Raum, Alkohol – rückblickend betrachtet hat das ja nicht gut gehen können. Aber ich wusste es ja nicht.”
Wir waren am Electric Love-Festival:
Die Ängste, die einem die Krankheit machen
Epilepsie ist nicht gleich Epilepsie: Es gibt verschiedene Formen und Gründe für die Erkrankung. Und auch die Anfälle sind unterschiedlich. Aber alle sind potenziell gefährlich. Auf einen Betonboden oder auf die Treppen zu fallen, ist etwas anderes, wie im Bett einen Anfall zu bekommen. Epileptiker, die oft einen Grand Mal haben, müssen ihr Leben mehr nach der Krankheit richten.
Manuel* ist 29 und hat eine gute Freundin, die sehr leicht Anfälle bekommt: “Man darf sie nicht erschrecken, weil das schon Anfälle auslösen könnte. Fortgehen ist für sie gar nicht möglich, weil sie zu viele Lichter nicht erträgt. Ich hätte auch Sorgen, wenn sie Fortgehen würde. Sie ist auch sehr oft sehr traurig darüber: Konzerte fallen weg, der Club fällt weg. Wenn sie etwas Trinken geht, dann auch eher untertags. Die Angst bestimmt ihr Leben. Das schaut man sich nicht gerne mit an.” Manuel hat selbst keine Epilepsie, als nahestehende Person leidet er aber mit.
Die 27-jährige Lisa hat dagegen “Glück” und absolut keine Bedenken beim Fortgehen: “Für mich ist ein Anfall ein Anfall. Was macht es für einen Unterschied, ob es die U-Bahn oder der Club ist.” Samara hat zehn Jahre gebraucht, um beim Fortgehen wieder Spaß zu haben. Eine ihrer größten Ängste war, dass sie ihren Freunden eine Bürde sein wird. Der 23-jährige Albert hat Angst vor Scham – eine häufige Angst unter Epileptikern: “Der Anfall selbst ist mir egal, aber ich weiß, wie das aussieht. Das macht mir Angst. Dass ich zum Beispiel mit einem Mädchen flirte und sie es dann mitansehen muss. Oder, dass ich mitten am Dancefloor zusammenbreche und alle zusehen.”
Es ist wichtig, dass man sich langsam ans Fortgehen herantastet, herausfindet wie genau der Körper auf verschiedene Fortgeh-Faktoren reagiert und Freunde aufklärt. Wenn etwas ist, dann kann der Freundeskreis reagieren und das ist wichtig. Schon alleine, weil sie Schaulustige vertreiben und helfen können.
Strobo und Licht
Wir kennen es alle: Das Strobo-Licht, das schnell blinkt, den Dancefloor in kleine Lichtfragmente taucht und Bewegungen lustig abhackt. Strobo ist aber auch eine gängige Form der Provokation von Anfällen bei medizinischen Tests. Das Licht kommt bei Konzerten und in vielen Clubs zum Einsatz und kann bei zu langer Konsumation Kopfweh, Übelkeit, Migräne und andere Symptome auch bei gesunden Menschen auslösen. Aber auch weniger aggressive Lichtshows können Anfälle auslösen, sofern man an photosensitiver Epilepsie leidet.
“Mir macht Strobo überhaupt nichts”, sagt mir Lisa. Sie besucht Festivals, Konzerte und geht auch in Clubs. Allerdings ist ihr aufgefallen, dass der Einsatz von Strobo-Licht oft nicht planbar ist: “Ich habe sogar bei Klavierkonzerten Strobo mitbekommen.” Die Freundin von Manuel ist sehr lichtsensitiv, weswegen sie wie eingangs schon erwähnt gar nicht ausgeht. Bei “schweren Epileptikern” fallen auch manche Konsolen-Spiele, Filme und Videos weg – wir alle kennen die Epilepsie-Warnung am Anfang eines Spiels, eines Films oder mancher Musikvideos.
Das Licht in Clubs ist für Samara das Schlimmste: “Mittlerweile weiß ich aber, zu welchen Veranstaltungen und in welche Clubs ich gehen kann. Ich freunde mich mit Lichttechnikern an. In neuen Clubs schaue ich zuerst, ob es irgendwo neutrales Licht gibt und ob ich Zugang dorthin habe. Ich schaue auch, wie sich das Licht durch den Raum bewegt, ob es Muster gibt. Gibt es einen unbeleuchteten Bereich auf der Tanzfläche? Da findet man mich meistens.”
Ich selbst frage auch oft den VJ, ob er das Strobo-Licht ausstellen kann. Zwar ist man dann damit für manche Gäste der Partypooper, aber bis jetzt hat jeder Lichttechniker oder VJ meine Bitte akzeptiert und umgesetzt. Ich habe aber auch das Glück, EDM-Clubs und- Veranstaltungen sowieso nicht zu mögen – die Lichtshow ist im EDM-Bereich in der Regel ein kardinales Merkmal. Bei Konzerten ist es schon schwieriger. Es ist quasi unmöglich herauszufinden, welche Konzerte sich Strobos bedienen und es ist nicht möglich bei einem großen Konzert hinzugehen und darum zu bitten, dass das Strobo-Licht ausgeschalten wird.
Rausch und Schlaflosigkeit
“Alkohol ist bei mir kein Problem, ich bleibe auch selten sehr lange auf”, meint Lisa. Samara ist da im Konsum von wachhaltenden Substanzen erfahrener: “Ich habe einfach herausgefunden, welche Substanzen mir gut tun und welche nicht. Auf jeden Fall nicht die, die einem zum Aufbleiben zwingen. Ich geh auch einfach von einer Party heim und lasse mich auch nicht überreden. Ich schaue schon, dass ich nicht ewig fortgehe. Afterhours sind auf jeden Fall passé.” Albert vermeidet auch übermäßigen Alkoholkonsum, da ihn der Kater am nächsten Tag sehr anfällig macht.
Auch hier ist es wichtig, seine Grenzen zu kennen. Nicht jeder Epileptiker reagiert auf Schlaflosigkeit und nicht jeder auf Alkohol. Die häufigsten Begleitkrankheiten von Epilepsie sind auch Schlaflosigkeit und Depressionen. Manche –wie Manuels Freundin – sind sehr sensibel auf alle Reize. Das soziale Leben verschiebt sich in dem Fall auf den Tag. Samara und Albert sind sich aber einig: Wenn man geht, sobald man Müdigkeit spürt, dann ist man auf der sicheren Seite.
Stressige Situationen
Stress kann genauso oft ein Anfallsgrund sein. Lisa und ich reagieren am meisten auf emotionalen Stress, nicht unbedingt auf stressige Fortgeh-Situationen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass unter Alkoholeinfluss leicht gestritten wird. Eine Studie ließ Epileptiker ein Stress-Tagebuch führen und fand heraus, dass belastende Tage tatsächlich die Anfallshäufgkeit erhöhen. Welcher Stress ein Anfallsgrund sein kann, ist auch hier von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Beim Fortgehen können es zum Beispiel Schlägereien, Drogen oder überfüllte Clubs sein. Auch ein simples Verlieren seines Handys, der Geldbörse oder des Schlüssels kann negativen Stress auslösen.
Albert fühlt sich an überfüllten Orten generell unwohl: “Ich mag Menschenansammlungen nicht. Das war schon vor der Krankheit so, allerdings löst der Stress, den ich seit immer an überfüllten Orten habe, Anfälle aus. Ich besuche keine Festivals mehr und schaue auch auf Facebook, wie viele Zusagen die Party hat.” Samara wiederum hält in Clubs Ausschau nach ruhigeren Orten und Plätzen zum Hinsetzen. Auch sucht sie die Türsteher und weiteres Security-Personal auf und erzählt ihnen offen, dass sie eventuell im Laufe des Abends einen Rückzugsort brauchen wird, um sich zu beruhigen.
Anfall auf der Party
“Meine Freunde sind alle aufgeklärt und können mir helfen. Sie waren – Gott sei Dank – selbst sehr interessiert, wie sie reagieren sollen”, sagt Albert. Auch Lisas Freunde sind aufgeklärt, ihre zwei Anfälle auf Partys hat sie trotzdem mit uneingeweihten Gspusis gehabt: “Einmal habe ich beim Schmusen einen Anfall bekommen, da bin ich die Wand heruntergerutscht. Ich habe kaum Muskelzuckungen, deshalb ist es nicht gleich aufgefallen.” Ein anderes Mal hat sie auf der Treppe eines Clubs einen Anfall gehabt. Ihr Glas ist zerbrochen und sie hat sich die Hand aufgeschnitten. In beiden Fällen ist sie sofort heim. Auch Samara hat alle ihre Freunde aufgeklärt. Die Zahl der Betroffenen macht es zu einer der häufigsten neurologischen Krankheit der Welt – trotzdem wissen nur wenige Menschen, wie sie im Falle eines Anfalls reagieren sollen.
Solltet ihr einen Anfall – egal wo, nicht nur auf einer Party – mitbekommen, sind ein paar Punkte wichtig, die den Betroffen sehr helfen:
- Bringe den Kopf in Sicherheit. Deine Jacke zum Beispiel könnte ein toller Polster sein. Stelle auch gefährliche Gegenstände außerhalb der Reichweite. Das können Gläser, spitze Gegenstände, Stühle oder Tische sein zum Beispiel.
- Halte die Atemwege frei. Wenn die Kleidung oder der Schmuck zu eng am Hals liegt, nimm ihn ab oder öffne sie. Stecke keinen Gegenstand in den Mund, auch wenn sich der Betroffene auf die Zunge beißt. Kontrolliere die Atemwege nach dem Anfall.
- Schaue auf die Uhr: Wenn der Anfall länger als fünf Minuten dauert, handelt es sich um einen Notfall. Ruf die Rettung.
- Rufe die Rettung auch , wenn Verletzungen, Atemprobleme oder mehrere Anfälle hintereinander der Fall sind: Auch, wenn du weißt, dass es der erste Anfall für die Person war oder wenn sie nachher nicht zu sich kommt.
- Bleib da: Es ist wichtig, bei der betroffenen Person zu bleiben und erstmal keine Hilfe zu holen. Es sei denn, es ist wegen den oben genannten Punkten nötig. Versuche nicht den Anfall zu unterdrücken, sondern, so weit es geht dem Anfall freien Lauf zu lassen. Dableiben ist auch nach dem Anfall wichtig: Manche verlieren nachher die Orientierung und brauchen jemanden, der oder die ihnen im ruhigen Ton erklärt, wo sie sind und was passiert ist. Oder ihnen ist nach dem Anfall kalt und sie brauchen eine Decke. Andere wollen nach dem Anfall schlafen, setz den Betroffen mit einem Freund ins Taxi. Auch sind Schamgefühle besonders in der Öffentlichkeit oft der Fall: Achte darauf, dass sich keine Traube um den Betroffenen sammelt und die Person anstarrt. Behandle den oder die Betroffene/n während und nach dem Anfall so, wie du es dir wünschen würdest.
*Alle Namen von der Redaktion geändert
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