Fan-Boxen in begrenzter Auflage sind heute der Standard für Deutschrap-Veröffentlichungen. Ob mit tatsächlichem Mehrwert wie Bonus-CDs, DVDs oder Shirts, oder mit Gimmicks wie Masken, Goldzähnen oder gar Blut—Rapper wollen dir unbedingt einen Anreiz geben, dir die Box zu kaufen. Die Zielgruppe dreht durch, kauft sich für 40 bis 60 Euro die Deluxe- oder Amazon-Spezialversion. Der Künstler chartet hoch aufgrund der verzerrten Umsätze und alle sind glücklich.
Das Paradox: Entgegen dem Hype um Premium-Boxen und des Verkaufsarguments Limitierung steigt der Wert solcher Pakete kaum. Massivs Spezial-Box zu Raubtier zum Beispiel gibt es trotz der Beilage von „Original Raubtier DNA von Massiv” (wäh!) noch für knapp 60 Euro zu haben—Xatars Goldzahn-Box kostet mit 40 Euro noch genauso viel wie zum Releasetag—und das, obwohl sie drei Monate vor der Veröffentlichung ausverkauft gewesen seien soll.
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Neulich stieß ich auf einem Internet-Streifzug auf eine hitzige, leicht absurde Facebook-Diskussion. Ein Fan regte sich in konsequentem Capslock über RAF Camora und Bonez auf, genauer gesagt über deren Dreistigkeit, die Vinyl-Edition zu Palmen Aus Plastik nachpressen zu wollen. Das sei eine „ABSOLUTE SAUEREI!”, denn „LIMITIERTE AUFLAGE HEISST: ES WIRD EINMAL GEPRESST DANACH ABER NICHT NACHGEPRESST!!”. Abgesehen davon, dass niemand irgendwo eine Nachpressung verkündet hat, ergibt diese Argumentation natürlich irgendwie Sinn. Selbstverständlich möchte man dafür belohnt werden, ein als exklusiv beworbenes Produkt so schnell wie möglich gekauft zu haben—vor allem angesichts der „ist schon zu 80% ausverkauft, schnell sein Leute, postet eure Quittungen in die Kommentare”-Marketingstrategie vieler Rapper. Andererseits: Die Einzigen, die sich wirklich darüber ärgern, dass der MediaMarkt in Hameln noch ein paar Boxen nachgeliefert bekommt, sind Wiederverkäufer auf Seiten wie eBay und Discogs, auf denen der Markt für Second-Hand-Musik floriert. Diese Reseller konzentrieren sich allerdings weniger auf Premium-Boxen und CDs, sondern besonders auf Vinyl.
Teure Schallplatten sind im Deutschrap kein neues Phänomen, vor allem bei solchen Alben, die rückwirkend zum Klassiker erklärt wurden. Releases von wichtigen aber halb-vergessenen Oldschoolern wie Fast Forward, Anarchist Academy oder von den verdrängten deutschen HipHoppern der 1980er sind (verglichen mit ihrer Seltenheit) verhältnismäßig erschwinglich. Für Advanced Chemistry von Advanced Chemistry oder Gefährliches Halbwissen von Eins Zwo muss man dieser Tage allerdings Beträge im dreistelligen Bereich droppen. Vinyl von Deutschlands 90er Oldschool—zum Beispiel RAG, Blumentopf, Torch, Creutzfeld & Jacob, Stieber Twins, Fettes Brot, Freundeskreis, Massive Töne, Fünf Sterne Deluxe, Westberlin Maskulin, Savas—ist insgesamt recht teuer. Klar, schließlich war deutscher Rap zu dieser Zeit noch nicht das Massenphänomen, das er heute ist. Und auch wenn es nicht immer explizite Limitierungen von Schallplatten gab, sind doch viele Veröffentlichungen selten und begehrt. Ein BWL-Erstsemester im Polohemd steht auf einem Hügel in in der Ferne und schreit „Angebot und Nachfrage”, wobei es mit Schallplatten nicht so simpel ist.
Kurzer Exkurs: Seit die Kassette gegen Ende der Siebziger in die Wohnzimmer der Welt einzog, sanken die Verkaufszahlen von Schallplatten stetig, was durch den Siegeszug der CD nur noch beschleunigt wurde. Spätestens als Labels anfingen, Alben entweder überhaupt nicht oder streng limitiert für Audio-Snobs und DJs auf Vinyl zu pressen, konnte auch der optimistischste Plattenkopf das Ende vom Ende schmecken. In den 2000ern wurden deutlich weniger Schallplatten produziert als je zuvor, weswegen heute auch viele Mainstream-Alben aus dieser Zeit extrem gefragt sind. Das könnte erklären, warum beispielsweise die 90er-Alben der Fantastischen Vier ziemlich günstig zu haben sind, während Fornika, Viel und vor allem ihr Unplugged mittlerweile extrem teuer sind.
Ein gutes Beispiel ist die Karriere von Bushido, denn die ist repräsentativ für den Umgang vieler „Mainstream”-Künstler mit Schallplatten. Der Rapper feierte 2003—als das Format Vinyl gerade dabei war, zu verschwinden—mit Vom Bordstein Bis Zur Skyline seinen endgültigen Durchbruch. Von dem Album wurden nicht viele Schallplatten produziert. Heute kosten die Doppel-LPs an die 150 Euro Second Hand. Nach dem darauf folgenden Electro Ghetto, dessen Vinyl-Version ähnlich rar und teuer ist, erschienen zu seinen nächsten Alben gar keine Schallplatten mehr, bis die Platten-Renaissance der letzten Jahre LPs wieder profitabel genug wirken ließ, um eine Vinyl-Version von Sonny Black zum Teil der Deluxe-Box zu machen (für die man heute auch schon wieder um die 80 Euro blättern muss).
Schon hier wird klar: Wenn neue Schallplatten ausverkauft sind, schießen sie preislich schnell höher als eine ultra-rare, privat gepresste 90er-Scheibe. Gzuz’ Solo-Debüt Ebbe & Flut zum Beispiel riss letztes Jahr ein Loch ins Rap-Zeit-Kontinuum und zementierte die 187-Straßenbande als eine der aktuell erfolgreichsten Gangsta-Rap-Formationen im Deutschrap. Sowohl die Vinyl als auch die Boxsets sind ausverkauft, Fans zahlen im Internet dreistellige Beträge—nach weniger als einem Jahr im Handel. Die Obststand-Box von LX und Maxwell wurde vergangenen Monat für 190 Euro verkauft und ist damit teurer als Advanced Chemistry oder die ultra-rare erste Blumentopf-Single.
Ähnlich Seltsames passierte kürzlich, als Four Music ankündigte, man wolle zur Feier des 20-jährigen Jubiläums des Labels ein paar alte Alben neu auflegen. Angesichts des Labelnamens und der als niedrig eingeschätzten Nachfrage nach Platten einigte man sich auf eine Limitierung von 444 handnummerierten Stück—den Anfang machte Esperanto von Freundeskreis. Die Überraschung: Tausende bestellten die Platte, die im Original natürlich längst vergriffen und teuer geworden ist. Versandhäuser mussten massig Bestellungen stornieren und Four Music veranlasste noch eine Repress des Albums, diesmal ohne Limit. Die erste Nachpressung von Esperanto ist ein paar Monate nach dem Erscheinen schon schwer gesucht und wechselt für mehr als das doppelte des Einkaufspreises die Besitzer—für knapp zehn Euro mehr gibt es da schon die Erstpressung.
Die Welt der Schallplattenpreise ist nunmal absurd und folgt (wenn überhaupt) ihrer eigenen Logik. Es scheint eben Interpreten zu geben, deren Platten zu Spekulationsobjekten werden. Wenn alle Verkäufer möchten, dass die Preise rapide steigen, dann steigen die Preise. Keiner weiß das besser als der Retrogott und Hulk Hodn. Die beiden Musiker haben nicht nur Samples, BoomBap und smarten Battle-Rap „gegen das Leben und seine Whackness” in der deutschen Rap-Landschaft kultiviert, sondern auch maßgeblich dazu beigetragen, dass vor allem unbekannte Artists ihre Musik wieder auf Platten pressen. Die Beiden sind so etwas wie das Non-Plus-Ultra der deutschen Vinyl-Rapper, meint auch MC Bomber in einem Interview: „Ich denke, man kann mit dieser Plattenverkaufsschiene ungefähr so weit kommen, wie jetzt der Retrogott und Entourage sind”.
Das Kölner HipHop-Duo umgibt nicht nur seit jeher der angenehm muffige Geruch, den ein selbstverordnetes Untergrund-Exil mit sich bringt, ihnen folgt auch seit Beginn ihrer Karriere das konstante Gekreische der kreisenden Reseller-Geier. Das liegt besonders am massiven Erfolg ihres Debüts Jetzt Schämst du Dich!, das erst auf CD und dann auf 500 Schallplatten herausgebracht wurde. Während die CD-Versionen des Albums bezahlbar zu finden sind, zahlen Fans zwischen 200 und 300 Euro für die Doppel-LP, um legendäre Titel wie „Yo, Kurt” oder „Radiowecker” auf schwarzem Gold zu besitzen. Das Duo möchte die Platte nicht neu auflegen lassen, da man sich mit den teils homophoben Texten nicht mehr identifiziert—auf Live-Shows spielen sie mittlerweile abgewandelte Versionen der Hits. So steigen die Preise ins Unermessliche.
Dass der Retrogott und Hulk Hodn eine sichere Wette sind, verstanden auch die Wiederverkäufer. Jedes weitere Album des Duos war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft und vervielfachte seinen Verkaufswert rapide. Es zeigte sich, dass ein substanzieller Teil der gekauften Alben einfach ungeöffnet und mit Profit weiterverscherbelt wurden. Das neue Album des Duos, Sezession, brachte dieses seltsame Phänomen auf seinen bisherigen Gipfel. Das Album erschien nur auf Schallplatte und wurde mit Ausnahme von zwei Pop-Up-Stores ausschließlich auf Konzerten verkauft. Das Album ist nicht limitiert, aber Menschen im Internet kaufen und verkaufen die Platte trotzdem für das dreifache ihres Preises—obwohl sie immer noch regulär auf Konzerten erhältlich ist.
Doch nicht nur deutscher Rap auf Beats steht beim Weiterverkauf hoch im Kurs, auch Beats ohne Rap. Gerade die (nicht zuletzt dank der aktiven Kölner Szene) gefeierten Beat-Szene dieses Landes findet zwar auch im Internet, vor allem aber auf Kassetten und Schallplatten statt. Zwischen Lo-Fi Boom-Bap, wolkigem Trap und Housigem Dilla tut sich einiges, auch wenn die „Szene” recht überschaubar ist. Doch wo mit wenig Nachfrage gerechnet wird, da sind strenge Limitierungen und Wiederverkäufer an der Tagesordnung. Das zeigen vor allem stark limitierten Serien wie Keats von HHV.DE und EXPEDITion von Vinyl-Digital. Die jeweils auf 300 Stück limitierten Beat-Episoden sind jedes Mal unheimlich schnell ausverkauft und werden in den darauf folgenden Monaten für Beträge zwischen 50 und 100 Euro verkauft. Limitierte Instrumental-Alben von renommierten Producern wie Twit One, Suff Daddy, Hubert Daviz und Figub Brazlevic knacken regelmäßig dreistellige Preise.
Ein Label, das maßgebliche Verantwortung für die Beat-Renaissance hierzulande trägt, ist Melting Pot Music/MPM aus Köln. 2009 brachte man den ersten Teil der Beat-Serie Hi-Hat Club heraus, auf dem Twit One und Hulk Hodn das deutsche BoomBap-Geschehen lostraten—mittlerweile haben renommierte Produzenten wie Dexter, Suff Daddy, Knowsum oder Brenk Sinatra ihre eigenen Hi-Hat Clubs produziert. Die Reihe, die man getrost als die Mutter der Beat-Serien bezeichnen kann, war ursprünglich auf 300 Stück limitiert. Doch als die Platten ausverkauft waren und Menschen begannen, im Internet Unsummen für die Platten zu zahlen, presste MPM alle „Episoden” schlicht und einfach nach. Ohne wenn und aber und auch noch zu niedrigeren Preisen als zuvor.
Klar: Ein paar Leute könnten sich jetzt aufregen, weil sich ihre Originalpressungen nicht von der Nachpressung unterscheidet und natürlich freut sich der Künstler, wenn eine seiner Scheiben zur gefragten Rarität wird. Allerdings hilft der momentan extrem aufgeheizte Markt, in dem sich ausverkaufte Platten aus dem Stand für ein dreifaches des Kaufpreises verkaufen lassen, weder Künstlern noch Labels, sondern nur den Aasgeiern, die sich Platten als Wertanlage kaufen, um sie Jahre nach dem Release verschweißt und ungespielt aus ihrem Ikea-Regal zu ziehen. Diese Reseller können und sollten einem egal sein. Auch wenn keiner zu ihnen gehören will, gibt es sie doch zuhauf. Zum Glück hat zumindest Audio88 verstanden, dass man mit einem Raritäten-Fetisch diesen Geiern nur einen Gefallen tut. Deswegen gibt es „nur Nachpressungen, um den Ebay– und Discogs-Ottos ihr ekelhaftes Biz zu versauen.”