Popkultur

So waren die 24 Stunden, nachdem mein Prank viral ging

Ich bin ein einfacher Mensch. Ein typischer Tag sieht bei mir so aus: aufstehen, duschen und bei einem lauwarmen Erkältungstee meine Lieblingssendung über Bahnreisen in aller Welt schauen, bis ich Hunger kriege oder mir irgendwas einfällt, das ich tun sollte.

Aber vor Kurzem hatte ich einen extrem außergewöhnlichen Tag. Am Mittwoch, den 6. Dezember 2017, ging eine Story, die ich für VICE geschrieben hatte, viral: Ich hatte meine Gartenlaube (das ist mein Hauptwohnsitz, keine Laube für Werkzeug) zum gefragtesten Restaurant Londons gemacht – allein mit Fake-Bewertungen auf TripAdvisor. Passend dazu war das Restaurant auch komplett fake. Als mir die halbe Foodie- und PR-Welt die Bude einrannte, sah ich mich gezwungen, das Restaurant wenigstens für einen Abend real werden zu lassen, bevor ich den Prank auflöste.

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Was darauf folgte, war ein bisschen wahnsinnig. Ich eilte von einem Fernsehauftritt zum nächsten – und wurde in der beliebtesten Sendung des britischen Frühstücksfernsehens als “ungezogener Junge” bezeichnet. Hier ist eine Zusammenfassung des Tags, an dem ich viral ging.

11:00 Uhr: Ich öffne die Tür meiner Laube und gehe raus auf die kleine Veranda. Der Himmel ist grau verhangen, also gehe ich wieder rein und falle zurück ins Bett. Mein Handy vibriert neben meinem Kopf. Endlich ist es so weit: Die Story, an der ich seit sieben Monaten arbeite – die Story, die schon all meinen Mitmenschen zum Hals raushängt – ist online gegangen.

11:08 Uhr: Ich twittere den Artikel, schalte zu meinen anderen Twitter-Accounts und gebe mir selbst ein paar Faves. “Wenigstens schon mal zwei Likes für sieben Monate Arbeit”, denke ich mir.

11:19 Uhr: Ob ich es gerade in der Hand halte oder es auf meinem Schreibtisch liegt, mein Handy vibriert schon nicht mehr – das Geräusch ist wie ein ununterbrochenes Gurgeln. Es hört einfach nicht mehr auf. Vor einer Viertelstunde hatte ich noch 6.500 Twitter-Follower, jetzt habe ich 6.600.


Das Video zur Story: Ich habe meine Gartenlaube zum besten Restaurant der Stadt gemacht


11:58 Uhr: Anscheinend hat Twitter meine Einstellungen angepasst, sodass ich nur noch benachrichtigt werde, wenn jemand von einem verifizierten Profil aus mit mir interagiert. Der Typ, der sich für Gordon Ramsay um den Wein kümmert, lässt LOLs ab und René Redzepi, Inhaber des “vierfach weltbesten Restaurants” Noma, steht auch auf meine Story.

12:23 Uhr: Der Posteingang von The Shed quillt über vor Dutzenden neuen Reservierungsanfragen. An einer bleibt mein Blick hängen: “Ich bin stolz auf dich, ganz ehrlich” steht in der Betreffzeile. Die Mail ist von Jay Rayner, seines Zeichens Restaurantkritiker beim Guardian. Meine Kopfhaut kribbelt.

12:49 Uhr: Das erste negative Feedback. Ein wütender Mann meldet sich bei mir, er hatte seiner Frau zum Hochzeitstag einen Tisch im Shed versprochen. Ich verstehe schon: Mein Streich hat nicht nur mich als pathologischen Hochstapler enttarnt, sondern auch ihn.

13:43 Uhr: Die erste Interviewanfrage. Jemand vom Boulevardblatt Metro. Sie schalten mich in eine Telefonkonferenz. Später werde ich feststellen, dass diese Verbindung mit 20 Pfund auf meiner Telefonrechnung steht.

14:31 Uhr: Der berühmte englische Künstler und Paradiesvogel Grayson Perry hat mein nicht existentes Restaurant empfohlen. PJ Vogt, der Moderator des Internetkultur-Podcasts Reply All hat das wiederum retweetet. Ein Abgeordneter der konservativen Tory-Partei twittert, dass er sich heimlich bei der Parlamentssitzung über meine Story amüsiert.

14:32 Uhr: Das Wegwerf-Handy, das ich für The Shed gekauft habe, klingelt. “Hallo, The Shed at Dulwich?” antworte ich, aus reiner Gewohnheit. Einen Moment herrscht Stille, dann bricht mein anonymer Anrufer in Gelächter aus und legt auf. Es ist nur der erste von unzähligen Scherzanrufen, die ich die nächsten zwei Wochen kriegen werde, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ich schätze, ich muss jetzt etwas von meiner eigenen Medizin schlucken.

15:05 Uhr: Ich habe soeben der Londoner Abendzeitung The Evening Standard ein Interview gegeben, aber damit sind sie noch nicht zufrieden. Sie bestehen darauf, morgen vorbeizukommen und meine Laube zu fotografieren. Ich sage nein, mit der Begründung, dass ich nicht will.

16:52 Uhr: Der Comedian, Autor und Moderator David Baddiel folgt mir jetzt.


Lies Oobahs Geniestreich in voller Pracht:


18:21 Uhr: ITV, eines der größten britischen Fernsehnetzwerke, ruft an. Sie wollen mich für eine News-Sendung. Ihre unfassbare Hartnäckigkeit und der schlechte Empfang in dem Zug, in dem ich sitze, bringen mich dazu, gegen meine Prinzipien zu verstoßen: Ich willige ein, sie am folgenden Tag in meiner Gartenlaube zu empfangen.

18:39 Uhr: Innerhalb von Minuten ruft die BBC bei mir an und überredet mich ebenfalls dazu, eine Crew in die Laube einzuladen.

19:20 Uhr: Der Garten, in dem meine Laube steht, gehört zu einem Haus, in dem ein Freund von mir wohnt. Er ruft an, seine Stimme klingt besorgt. Einer der Gäste, die im Shed diniert und es für echt gehalten haben, steht vor der Tür, außer sich vor Wut.

19:49 Uhr: Mein Handy klingelt mal wieder. “Du trittst morgen bei Good Morning Britain auf”, sagt die Londoner PR-Managerin von VICE, Emily. “Dein Taxi kommt um 5 Uhr früh!”

21:08 Uhr: Eigentlich bin ich bei einer Standup-Show, aber ich muss ständig den Saal verlassen, um mit der CBC (die kanadische BBC), dem US-Radiosender NPR und dem britischen Radiosender Talksport zu telefonieren.

05:32 Uhr: Ich wache mit hämmerndem Herzen auf. Seit 20 Minuten wartet mein Taxi draußen auf mich. Fuck. Verpasse ich etwa meinen Auftritt im Frühstücksfernsehen? Ich stürze mich in das Outfit von gestern und blicke in den Spiegel: Ich sehe verkatert aus. Ich sehe aus, als hätte mir jemand Sägemehl unter die Augenlider gestopft.

06:01 Uhr: Ich sitze in der Maske. Die Visagistin verwandelt meinen Teint, den ich als “Krabbenchips-farben” bezeichnen würde, in etwas, das mehr an Brathähnchen erinnert.

06:30 Uhr: Ich bin live im Frühstücksfernsehen.

06:45 Uhr: Ich sitze im Taxi, durchströmt von Glückshormonen. Meine Mum, meine Großtante und all meine Freunde schreiben mir Nachrichten. Ich plaudere mit dem Taxifahrer über TripAdvisor. Mein Handy klingelt und es wird noch besser: der Moderator Paul Ross! Er hat mich eben im Fernsehen gesehen und lädt mich in seine Sendung auf TalkRADIO ein. Das Taxi bringt mich direkt hin.

07:30 Uhr: Das Interview läuft ganz gut. Paul Ross’ Co-Moderatorin fragt, ob ich auch mit ihr sprechen will – allerdings arbeitet sie für die Boulevardzeitung The Sun. “Nein”, sage ich. “Ich bin Liverpool-Fan.” Das ist eine lange Geschichte, aber Unterstützer des Liverpool FC boykottieren diese Zeitung. Paul Ross zieht eine Grimasse in meine Richtung. “Du bist auf TalkRADIO, Kumpel. Du hast im Grunde gerade mit der Sun gesprochen.” Ups.

09:43 Uhr: Meine Eltern finden beide, ich hätte bei Good Morning Britain “sehr professionell” gewirkt. Ich rattere mich durch ein paar mehr Interviews.

10:12 Uhr: Ich habe sehr viele Freundschaftsanfragen auf Facebook, von Leuten, die damals in der Schule kein Wort mit mir gewechselt haben.

11:21 Uhr: Die Crews von ITV und BBC tauchen vor meiner Laube auf und alle wirken irritiert. Die zwei Kamera-Teams quetschen sich unbeholfen aneinander vorbei, um dieselben Aufnahmen von meiner verrottenden Veranda, der verschütteten Farbe und den Eierschalen auf dem Boden zu machen. Meine Bude ist wirklich fotogen.

11:32 Uhr: Im Evening Standard gibt es einen Comic über The Shed, als Satire zum Thema Brexit.

13:12 Uhr: ITV News versuchen, eine Live-Schaltung herzustellen. Sie stellen mir Fragen und ich nicke viel.

Im Laufe der nächsten Stunde gebe ich lauter Telefoninterviews. Vermutlich ergibt nur etwa die Hälfte meiner Aussagen noch Sinn. Ich habe weder geschlafen noch gegessen, sondern einfach nur Taxis quer durch London genommen. Ich fühle mich völlig hohl im Kopf – so hohl, dass ich es gar nicht mehr beschreiben kann. Aber zum Glück brauche ich das nicht, denn diesen Zustand haben die Kollegen von Sky News für die Nachwelt dokumentiert.

Ich bin ein Superstar. Und ich will in mein Bett, in meiner trauten kleinen Laube.

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