Die Schläger auf dem Schulhof erlangen ihre Macht durch die Androhung von Gewalt. Dieses Prinzip ist so verbreitet, dass es unmöglich geworden ist, jemanden zu erpressen, ohne dass das Opfer mit einem müden Seufzen und einer Aufforderung, dich zu verpissen, reagiert. Seither geht die Mobbingkultur den Bach runter. Filme wie Napoleon Dynamite oder Happy Gilmore haben uns gezeigt, dass hinter der Redegewandtheit eines Schlägertyps ein untätiger Feigling steckt, dass potentielle Gewalt eine gefährliche Ware ist, die früher oder später ausgeht. Im 21. Jahrhundert gehört die Welt den Bescheidenen.
Genau das ist das Problem von Nordkorea. Wie alles unter diesem Regime, erinnert dessen Diplomatie stark an den Kalten Krieg, wo die Sprache der Kriegsführung dazu eingesetzt wurde, um etwas zu bekommen, was gerade gebraucht wurde. Jetzt gerade ist das Essen. Und wie der gemeine Junge dir auf dem Schulhof androhen würde, deinen Kopf in die Toilette zu stecken, wenn du ihm nicht dein Geld fürs Mittagessen gibst, feuert das Regime in Pyongyang einfach eine Ladung Raketen in den Himmel, wenn das Volk mehr zu Essen braucht.
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Es ist kein Zufall, dass Nordkorea seit der Machtübernahme durch Kim Jong-un im Jahr 2011 ein bisschen widerspenstiger geworden ist als sonst. Oberflächlich betrachtet ist es eine unverfrorene Demonstration seiner Stärke gegenüber der innerstaatlichen Opposition. Eigentlich ist es aber ein Schrei nach Hilfe. Seit 2008 haben Südkorea und die USA kontinuierlich ihre Lebensmittelhilfe zurückgeschraubt und in den letzten 12 Jahren ist die Menge an Lebensmitteln, die das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen an Nordkorea liefert, um 94,8% von 900 000 Tonnen auf 46 000 gesunken. Ein Rückgang in alarmierendem Ausmaß.
Das WFP wird von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen und von privaten Spenden getragen. Dieses Jahr kam der Großteil der 4,4 Millionen Euro für Nordkorea von drei Ländern, was bedeutet, dass 190 Länder untätig dabei zusahen, wie das WPF nur ein Zehntel ihres vorgesehenen finanziellen Ziels erreichte. Bis November werden noch weitere 40 Millionen Euro benötigt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das noch passiert.
Länder und Spender auf der ganzen Welt haben genug von Nordkorea. Das Problem—und die vorgegebene Stärke des Staats—liegt darin, dass Nordkorea im Grunde ein Trugbild ist, ein Sandkastenstaat, der hinter einer großen Festung aus Rede- und Staatskunst aufgebaut wurde. Anders als in Kevin allein zu Haus, wo Kevin es schafft, dass die Einbrecher Harry und Marv blind in seine Fallen laufen, ist es für uns—die Außenstehenden—unmöglich, die Vorstellung der Demokratischen Volksrepublik Nordkoreas des lieben Führers mit nichts außer Hilfspaketen zu zerstören.
Während sich die Nahrungsmittelkrise immer weiter verschlimmert,setzt das Regime wieder mal auf geschickte Zurschaustellerei. Du musst dir nur mal Kim Jong-uns Gesicht ansehen, während er den Start einer seiner neuen Hochpräzisionsraketen beobachtet. Scheinbar hat er auch in einen Flachbildschirm investiert, was eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu seinem Vater darstellt, dessen Technologie noch eher der eines Bösewichts aus James Bond glich. Es ist ja einfach von der Entfernung aus darüber zu lachen, aber viele Leute fürchten, dass Nordkorea kurz davor steht, ein weiteres diplomatisches Klischee auszuschlachten—das des in die Ecke getriebenen und schwer verwundeten Tiers.
Man geht davon aus, dass diese Raketen, sollten sie jemals abgefeuert werden, entweder Japan oder Südkorea treffen werden. Im Jahr 2010 töteten Raketen aus Nordkorea vier Personen auf der Insel Yeonpyeong, während Japan seit den schwerwiegenden Sanktionen als Folge einer Reihe von Entführungen japanischer Bürgern durch nordkoreanische Schiffe während des Kalten Kriegs eine eher schwierige Beziehung zu Pyongyang hatte.
Die Raketenshows, geheime Spionage und ähnliches schaffen es zwar in die Medien, aber die problematische Lebensmittelpolitik Nordkoreas ist die größte Todesursache. Die unzureichende finanzielle Unterstützung des WFP hat wichtige Fragen im Hinblick auf die Aussagekraft von Lebensmittelhilfe als nachhaltige Methode zur Unterstützung des Regimes aufgeworfen.
Es gibt einige überzeugende Argumente von Überläufern, dass es Zeit ist, die Lebensmittelhilfe einzustellen, egal wie skrupellos das auch scheinen mag. Der Verdacht wird immer lauter, dass Lebensmittelhilfe die Selbstbestimmung des Volkes verhindert und die Kontrolle des Regimes stärkt. In anderen Worten, während wir 150 Millionen Euro in Form von Lebensmittelhilfe ins Land pumpen, verwendet Kim Jong-un das Staatsbudget für 4D-Kinos, Wasserparks und—richtig geraten—Atomwaffen (obwohl das eigentlich unbewiesene Gerüchte sind—die Art von Panikmache, die es braucht, um die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen).
Die Kritiker der Hilfspakete behaupten, dass Nordkorea nicht an Nahrungsmangel leidet, weil sie sich den Import noch leisten können, sondern aufgrund eines systematischen Regierungsplans für Ausgaben, in dem kein Budget für Essen vorgesehen ist. Die Regierung muss ihre eigenen Budgets anpassen, bevor wieder Hilfe geboten wird. Das ist fast komplett richtig.
Noch schlimmer, die Bevölkerung leidet unter dem falschen Management von beiden Seiten—der Regierung und des WFP, deren Hände von letzteren gebunden sind. Es gibt keine schlagenden Beweise, dass die Hilfe überhaupt an einem Bruchteil der Bevölkerung ankommt. Aufgrund mangelnder Transparenz von Seiten der nordkoreanischen Regierung wissen wir nicht, ob der Großteil des gespendeten Geldes vielleicht nicht einfach in einem riesigen Koffer unter Kim Jong-uns Bett liegt.
„Das WFP hat beschränkte Geldmittel und beschränkten Zugang”, sagte James Hoare, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der SOAS und Großbritanniens erster Diplomat für Nordkorea. „Das WFP hat keinen Zugang zu militärischen Regionen oder zu Gegenden, wo sich Gefangenenlager befinden. Deshalb muss das WFP sich entscheiden, wem sie helfen.” Oft sind das schwangere Frauen, Kinder und ältere Menschen—die verwundbarsten Gesellschaftsgruppen der Demokratischen Republik. Es sollte keine Überraschung sein, dass ein Staat, der auf den Prinzipien der gerechten Verteilung aufgebaut wurde, es so eindrucksvoll schafft, sich nicht an diese zu halten. Alle Gesellschaften gleiten früher oder später nach rechts, auch wenn sie es nicht zugeben.
Ursprünglich funktionierte das Prinzip der vom Staat bereitgestellten Essensrationen bis zur Hungersnot in den 90ern. Theoretisch gibt es neun verschiedene Kategorien von Rationen, wobei die der Arbeiter am größten sind und die von Frauen, Kindern und älteren Menschen am kleinsten. Die Arbeiter sind noch einmal in drei Untergruppen unterteilt, wobei die Arbeiter, die die anstrengendste Arbeit machen, am meisten kriegen. So funktioniert es in der Realität aber eher weniger.
Obwohl Reis eigentlich zwei Mal pro Monat in einem Abstand von 15 Tagen ausgegeben werden sollte, passiert das nur sehr selten. Außerdem ist jeder Coupon, der gegen Essen eingelöst werden kann, mit Kosten verbunden. Wie zu erwarten war, sind Politiker und Generale, die rumlaufen und behaupten ihr Führer hätte den Hamburger erfunden, vom System der Lebensmittelrationierung ausgeschlossen. Kritiker behaupten, der Reis, der ihnen zum chuseok (das Erntefest) verteilt wurde, sei 10 Jahre alt und ungenießbar gewesen, während die Regierungsangestellten Rindersteak mit Chrystal Meth überstreut schlemmten.
Das größte Problem mit dem WFP liegt darin, dass Essen eine passive Form der Unterstützung ist. Diese Art von Hilfestellung beruht auf einer Reihe von Annahmen, besonders aber darauf, dass gespendetes Essen gerecht an die Bevölkerung verteilt wird. Das ist aber nicht der Fall und die Überwachungssysteme der Wohltätigkeitsorganisation gehen nur so weit, wie Pyongyang es erlaubt.
Mehr als 80% der Nordkoreaner essen nicht genug. Das sind 20 Millionen Menschen oder um eine willkürliche Auswahl der Großstädte der Länder zu treffen, die im letzten Jahr nur äußerst wenig gespendet haben, die Bevölkerung von New York, London, Paris und Berlin zusammen.
Das WFP gibt sein Bestes, um sicherzustellen, dass das Essen an den richtigen Enden ankommt, erklärt Hoans. „Es gibt ein Überwachungssystem, das überprüft, ob alles auch dort ankommt, wo es soll. Es ist bei weitem nicht perfekt, aber es zumindest eine Form der Kontrolle. Als ich in Nordkorea war, gab es vom WFP hauptsächlich angereicherte Kekse—ziemlich übel zum Essen, aber sehr nahrhaft. Sie waren nicht besonders ansprechend für die Leute, die die Nahrungsmittelversorgung umleiten wollten. Eine weitere Form der Kontrolle war es, darauf zu bestehen, dass Kinder die Kekse an Ort und Stelle essen, anstatt sie mit nach Hause zu nehmen. In solchen Fällen eine einfache, aber effektive Methode.”
Die Vereinten Nationen können mit den derzeitigen finanziellen Mitteln derzeit jährlich nur ungefähr eine Million Nordkoreaner erreichen. Ziel ist aber mindestens das doppelte, was etwa einem Zehntel der Bevölkerung entspricht.
Diesen Zahlen zufolge müssten die Spenden auf unerwartete Summen ansteigen, was auch eine Option wäre: Das Land mit Essen überhäufen, damit die Bevölkerung wieder aufblüht, lautet das Argument von Steven Weber, Professor in Politikwissenschaft an der UC Berkley. Oder das Regime komplett auszuhungern. Beides sind extreme Lösungsansätze für ein Problem, das sich nicht von selbst lösen wird.
Die nordkoreanische Regierung wird gerne als Haufen komischer Dummköpfe und dicker alter Männer, die beim Anblick ihrer neuen Spielzeuge kichern, während der Zustand im Land alles andere als zum Lachen ist, dargestellt. Und das Regime selbst trägt nicht wirklich zur Verbesserung des internationalen Images bei.
In letzter Zeit wurden immer wieder unterschiedliche Botschaften gesendet. Letztes Wochenende veranstaltete Pyongyang den ersten internationalen Wrestlingwettbewerb seit 19 Jahren. Antonio Inoki, der japanische Politiker/Wrestler/Universalgelehrter, der am bekanntesten dafür ist, dass er gegen Muhammad Ali in 15 Runden ein Unentschieden erkämpft hatte, organisierte das Event mit dem expliziten Wunsch, die „Türen für Beziehungen zwischen Japan und Nordkorea” zu öffnen. Letzten April fand ein Marathon statt, der es direkt auf Platz eins meiner persönlichen To-Do-Liste schaffte.
Nischensportevents, die oft von Ausländern veranstaltet werden, können aber keine Wunder bewirken, wenn das Regime weiterhin fröhlich US-Häftlinge vor den Medien herumtanzen lässt, den südkoreanischen Präsidenten Park Geun-hye einen „listigen Prostituierten” nennt und Dennis Rodman zum Weinen bringt. Manchmal fühlt es sich an, als hätte Kim nach dem Kommunistischen Manifest gefragt und stattdessen Tom Brown’s Schooldays bekommen.
Die bei weitestem am überzeugendste Lösung für die Hungerkrise ist jedoch die, die am schwierigsten umzusetzen ist: Die Unterstützung des jangmadang (des Schwarzmarkts) durch die finanzielle Förderung und die Förderung des Schmuggels von Lebensmitteln über die südkoreanische und die chinesische Grenze. Die Geldmittel über offizielle Kanäle einzustellen und den illegalen Transport von Lebensmitteln über die Grenzen zu fördern mag zwar moralisch verwerflich klingen, aber Kritiker wie Seongmin sehen es als den einzigen Weg, der nordkoreanischen Bevölkerung direkt Macht zuzusprechen. Die Einwohner verkaufen Waren, die auf dem Markt zu überteuerten Preisen verkauft werden, an andere Einwohner.
Das Regime steht so in starkem Kontrast zum Markt und die Bürger müssen keine Waffen tragen, um die Regierung ins Wanken zu bringen—die Existenz des jangmadang, wie ein tumorartiges Muttermal auf Kims fettem Schlüsselbein, reicht schon aus, um eine Entzündung zu verursachen. Manchmal muss man den Gegner mit den eigenen Waffen bekämpfen.
Letztes Jahr schrieben die Choco-Pies als Symbol der Marktwirtschaft, die sich neben dem Schatten des Ryugyong Hotel entwickelt, internationale Schlagzeilen. In leicht herablassender Art errötete der Westen und klopfte sich auf die Schulter, als würde er sagen wollen: „Schau, sogar die Nordkoreaner mögen unseren geliebten Kapitalismus und unsere tollen Süßigkeiten.” Für die Einwohner des Landes verkörpern sie aber viel mehr eine ernsthafte Chance auf eine neue Welt, eine Welt, in der ein südkoreanischer Schokokeks ein Symbol für Anarchie sein kann, eine essbare Revolution.