Spieler mit Kultstatus: Allen Iverson

In unserer Rubrik Heldenverehrung halten wir ein Ständchen auf Sportgrößen, die uns in ihren Bann zogen. Heute erzählen wir von Allen Iverson, einem der kontroversesten Spieler aller Zeiten und den die NBA am Liebsten vergessen würde.

Kult-Grad: hoch

Man würde sich wünschen, dass das Thema Rassismus in den USA der Vergangenheit angehört. Schließlich wurden bereits in den 60er-Jahren Gesetze verabschiedet, die auch Afroamerikanern das Wahlrecht zusicherten und der Segregation in vielen Aspekten des öffentlichen Lebens einen Riegel vorschoben. Seitdem hat sich zwar einiges geändert, doch bei Weitem nicht in dem Ausmaß, wie sich viele das gewünscht hätten.

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Wenn du das Bild eines an einen Laternenpfahl aufgeknüpften Afroamerikaners sehen würdest, wie alt, glaubst du, wäre es? 40 Jahre? 50 Jahre? Wenn du aus der texanischen Kleinstadt Jasper kämest, hättest du noch 1998 mit eigenen Augen miterleben können, wie mit James Byrd ein Afroamerikaner von einem Pickup durch die halbe Stadt geschleift wurde, bis sein Kopf gegen den Bordstein knallte und er schließlich starb. Wie lange wird es noch dauern, bis wir sicher sind, dass eine solche Szene einfach 50 Jahre zurückliegen muss?

Allen Iverson wuchs in Virginia auf. Dem Staat, dem die „Ehre” zuteil kommt, dass in ihm von allen Südstaaten die wenigsten Afroamerikaner gelyncht wurden. Was aber nicht bedeutet, dass man sie stattdessen nicht einfach vor Gericht gelyncht hat. Bestes Beispiel: der Prozess gegen den „Prince of Hampton”, die (überwiegend von Weißen) bewohnte Stadt, wo er als Schüler der Bethel High sowohl die Auszeichnung zum High School Player of the Year als auch die Virginia-Meisterschaften gewinnen konnte—und das im Basketball und im Football. Es ging um eine Massenschlägerei in einem Bowling-Center zwischen (wenigen) Schwarzen und (vielen) Weißen, an deren Ende nur Iverson und seine schwarzen Freunde angeklagt wurden. Obwohl es keine wirklichen Beweise gegen den späteren NBA-Star gab und auch die Auswertung der Überwachungskameras nicht für Klarheit sorgen konnte, wurde er zu fünf Jahren Gefängnis (plus zehn weitere Jahre zur Bewährung) verurteilt. Damit das möglich war, hatte man mehrere Monate mit der Urteilsverkündung gewartet, bis Iverson schließlich 17 wurde und so nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden konnte.

Und das wirklich Ironische an der Sache: Um Iverson—diesen „arroganten, schwarzen Grünschnabel-Superstar”—irgendwie hinter Gitter zu bringen, bediente sich die Justiz von Virginia eines besonders makabren Tricks. Sie klagten ihn einfach wegen „Maiming by mob” an, ein Passus, der eigentlich mal ins Leben gerufen wurde, um auch die bestrafen zu können, die bei Lynchmorden „nur” zuschauen.

Das hätte der Anfang vom Ende sein müssen. Denn ohne leiblichen Vater an der Seite und mit einer Mutter, die von einem Drogenrückfall in den nächsten rutschte, mit nur wenigen Personen, die ihm eine Art Elternersatz bieten konnten, war sein Weg eigentlich vorgezeichnet. Ein Weg, der nur im Gefängnis—oder auf dem Friedhof—münden konnte. In einer Doku habe ich mal ein Interview mit einem Sozialarbeiter gesehen, der Iverson einst unter seine Fittiche genommen hatte. Als diesem mitgeteilt wurde, dass Iverson als Jugendlicher sieben Freunde durch Mord und Totschlag verloren hatte, meinte er nur, dass er überrascht sei, wenn es in Wirklichkeit nicht mehr wären.

Glücklicherweise—obwohl es eher heißen müsste: gerechterweise—wurde Iverson nach fünf Monaten begnadigt. Die Sache hatte aber den bitteren und unauslöschlichen Nachgeschmack, dass Amerika hinterrücks versucht hatte, das Leben dieses jungen, talentierten Afroamerikaners zu zerstören. Und er nahm die Strafe an, schluckte sie, um sie dann doch wieder auszuspucken. Am Ende schaffte er es allen Hindernisse zum Trotz auf ein College, wo er sein überragendes Talent unter Beweis stellen konnte. Dennoch schien er die ganze Karriere über nie den Drang zu spucken verloren zu haben.

Der Beginn

Iverson ist, ohne Zweifel, der beste ‘kleine’ Spieler (1,80-Meter oder kleiner) in der Geschichte der NBA. Die Durchschnittsgröße in der besten Basketball-Liga der Welt liegt bei 2,04 Metern. Und Iverson hat es allen gezeigt. Seine Hände und Füße waren so viel näher an seinem Gehirn als bei anderen Spielern. Ein Typ auf Youtube hat die Top 100 seiner besten Crossover und Finten zusammengefügt. Der patentierte Mover: Der Crossover-Crossover. Es funktioniert immer nach demselben Muster: Du fällst auf die Finte rein, er zieht hart zum Korb, du attackierst ihn und plötzlich zieht er seinen Arm um dich herum und bevor du es weißt, hat er den Ball schon ans Brett und in den Korb gefingerrollt. Und das hat er mit mobilen Spielern wie Chauncey Billups und Ray Allen die ganze Zeit gemacht, nicht nur mit den Bäumen, die sich außerhalb der Zone verirrt haben.

Iverson wurde 1996 an erster Stelle von den Philadelphia 76ers gedraftet, einem Team, dass keinen einzigen brauchbaren Spieler damals hatte. Auf Wikipedia werden die „dunklen Jahre” aufgeführt (1992-96) und die „Allen-Iverson-Ära” (1996-2006). 2001 war Iverson MVP der Liga und er führte sein Team in die Eastern Conference Finals gegen die Milwaukee Bucks und schließlich in die NBA-Finals.

Leider endet hier auch schon das Märchen. Du brauchst Minimum zwei gute Offensiv-Spieler um in der NBA einen Titel zu gewinnen, mit nur einem Spieler ist das Team einfach zu abhängig von dir. In den 80ern musste Michael Jordan das mit seinen Bulls auf die harte Tour lernen. Die Lakers in den Finals hatten nicht nur Shaquille O’Neal und Kobe Bryant, sie hatten mit Rick Fox, Derek Fisher oder Robert Horry einen großartigen Supporting Cast. Nachdem Iverson im ersten Spiel mit 48 Punkten die Lakers alleine aus der Halle schoss (der zweitbeste 76er hatte 13 Punkte) verloren die Sixers die folgenden vier Spiele. Es sollte Iversons einziger Auftritt in den Finals bleiben. Trotzdem, von einem rassistischen Fast-Todesurteil zum besten Spieler der NBA—das ist höchst beeindruckend.

Der Moment: Eastern Conference Finals 2001: 3-3, Spiel 7 vs Milwaukee Bucks

Die Serie zwischen den Sixers und den Bucks war umkämpft bis zum entscheidenden siebten Spiel. Iverson war im Knast, jetzt stand er hier, ein Spiel entfernt von den Finals. Er erzielte 44 von 108 Sixers-Punkten, die Halle war komplett auf den Beinen, wie schon seit Iversons Ankunft in der NBA. In manchen Momenten, vor allem als er vor der Halbzeitpause die Uhr runterlaufen ließ und einen weiten Dreier einschenkte, konnte man fühlen, wie die gebeutelten Sixers-Fans diesen Basketball-Winzling in ihr Herz geschlossen haben.

Höher ging es leider nicht mehr. Denn Iverson hatte ein Problem, er war zu groß für die anderen Stars der Liga. Kaum jemand wollte mit AI spielen, weil er immer lieber den Schuss mehr als weniger nahm. Auch wenn er weiterhin individuell brillierte, versanken die Sixers im Mittelfeld der Liga und wieder wurde Iverson zum Problem. NBA-Commisioner David Stern hatte immer ein Problem mit Iverson und dem HipHop-Style, den er in die NBA brachte. Iverson machte es vor und auf ein Mal liefen so viele Möchtegern-Stars in weiten Hosen, Bling-Bling und Tattoos über das Parkett, bis es Stern zu viel wurde und er den Dresscode einführte, der bis heute Bestand hat.

Die letzten Worte

Eine der berühmtesten Szenen in der Geschichte der Pressekonferenzen ereignete sich 2002, als Iverson auf seine stiefmütterlichen Ansichten zum Thema Training gefragt wurde.– ‘We’re talking about practice. Not a game, not a game, not a game, we talking about practice. Not a game, not a, not the game that I go out there and die for, and play every game like it’s my last, not the game. We talking about practice, man, I mean, how silly is that? We talking about practice. I know I’m supposed to be there, I know I’m supposed to lead by example, I know that. What are we talking about?

Illustration: @Dan_Draws