Der amerikanische Fotograf Alec Soth hat eine Wagenladung Preise abgeräumt, gehört zu der weltberühmten Kooperative Magnum Photos und veröffentlicht seit mehr als zehn Jahren Bände mit Gänsehautfotos von Einzelgängern, Träumern und anderen Fremden. Doch er will nicht mehr fancy sein. Er will keine konzeptionierten Fotoshootings mehr.
Soth will mit seinen Bildern zurück zum Wesentlichen.
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Das bedeutet: Bilder zu machen, die intensive Begegnungen mit fremden Menschen und Orten dokumentieren. Wir haben mit ihm über seinen neuen Band I Know How Furiously Your Heart Is Beating und die Gründe für sein Umdenken gesprochen.
VICE: Wenn man so berühmt ist wie du, fällt es da mit Hinblick auf die Karriere leichter, statt Konzeptkunst “einfach nur Porträts” zu fotografieren?
Alec Soth: Absolut. Jemand, der sich noch einen Namen machen muss, würde so nicht arbeiten wollen. Sie müsste befürchten, ignoriert zu werden. Das ist ein allgemeines Problem mit der Kommerzialisierung der Fotografie. Alle versuchen, ihr Revier zu markieren.
In deinem neuen Buch sprichst du davon, dass du den Entstehungsprozess deiner Fotos überdacht hast. Du bist ein Jahr lang nicht gereist. Wie kam es dazu?
Ich habe mich nicht zu einer Pause entschlossen, weil ich frustriert war. Ich wollte nicht mehr mitverantwortlich dafür sein, dass Bilder von Menschen kommerzialisiert werden. Ich wollte nicht mehr für Magazine arbeiten. Ich war happy damit, zu Hause zu sein und mein eigenes Ding zu machen. Nach einem Jahr wurde mir aber klar: Ich muss jetzt entweder Mönch werden oder wieder an der Welt teilnehmen. Dieser Fotoband ist meine Teilnahme an der Welt, aber ich verfolge einen sanfteren Ansatz beim Fotografieren.
Eines der Porträts hat mich besonders fasziniert: das des älteren Mannes, der mit freiem Oberkörper auf der Couch sitzt. Wie hast du ihn gefunden?
Ich hatte Kontakt zu einer Frau, die bei älteren Menschen zu Hause Tanzpartys organisiert. Ich ging zu einer solchen Wohnung, und da saß dieser Kumpel des Gastgebers auf dem Sofa. Er war so liebenswert. Er tanzte und zeigte mir seine Tattoos. So kam eins zum anderen.
Die Menschen, die ich fotografiere, sind fast immer Fremde. Ich habe nicht mal die Städte ausgewählt, in die ich gereist bin, sondern habe einfach geschaut, wohin ich eingeladen werde. Im Vorfeld suche ich mir jemanden, der mir helfen kann, vor Ort Kontakte aufzubauen. Die Kontaktpersonen schicken mir dann Fotos oder Vorschläge für Protagonisten. Dafür muss ich ihnen erst mal erklären, was ich überhaupt suche. Das ist nicht einfach. Es geht mir darum, mit den Personen, die ich fotografiere, eine längere, stille Begegnung in einem intimen Raum zu haben.
Beobachtest du alles wie eine Fliege an der Wand, wenn du die Fotos schießt?
Oh Gott, definitiv nicht! Ich benutze eine Großformatkamera. Die ist sperrig und sehr, sehr präsent. Außerdem sind die Zimmer, in denen ich fotografiere, meist recht klein. Für mich geht es um die Person und um die Begegnung. Um die flüchtige Schönheit eines intensiven Zusammenseins, das eine Stunde oder länger andauern kann.
Am Ende des Buchs listest du die Vornamen und die Heimatstadt jeder Person auf, die du fotografiert hast. Das war’s. Warum gibt es nur so wenige Informationen?
Die Frage, wie viel ich schreiben soll, ist eine der großen Herausforderungen für mich. Das ist schon meine ganze Karriere lang so. Bei jedem Projekt zerbreche ich mir den Kopf darüber. In anderen Büchern habe ich mehr Infos geliefert, aber fast nie direkt neben den Fotos. Fotografie ist kein Filmemachen. Ich lasse bewusst mehr Freiraum für die Interpretationen des Publikums. Wenn ich zu jeder Person einen Text schreiben würde, wären die Infos ja auch wieder von mir ausgewählt und geformt. Dass ich nichts schreibe, hat auch seine Wirkung. Ich will, dass alle ihre eigene Begegnung mit dem Bild haben.
In der Vergangenheit hast du viel mit übergreifenden Themen gearbeitet, dieses Buch fühlt sich lockerer an. Wirst du das jetzt fortsetzen?
Ich werde bald 50. Dadurch ändert sich mein Blick aufs Leben. Als die Dichterin Mary Oliver vor Kurzem starb, fiel mir etwas auf, das sie in einem Interview gesagt hatte: Sie schreibe mit zunehmendem Alter immer kürzere Gedichte. Darüber denke ich viel nach, weil mein neues Buch deutlich weniger Fotos enthält als meine früheren. Ich will weg von “Schau, wie fancy und schlau ich bin” und hin zum Kern der Sache: welch ein wunderschönes Rätsel Menschen doch sind.
I Know How Furiously Your Heart is Beating von Alec Soth ist am 15. März bei MACK erschienen.