Foto: Coverbild “Meditation, Coaching & Life / Der Podcast mit Michael Kurt aka Curse”
Es ist warm. Ziemlich warm. Man könnte sagen es ist heiß. Verdammte Scheiße, es ist so heiß, dass ich mir ein T-Shirt anziehe und mich wieder in den Fluss setze. Wenige Meter weiter fließt er in das karibische Meer, die Küste Kolumbiens trennt die beiden Gewässer nur noch sporadisch. Es könnte nicht atemberaubender sein. “Das macht keinen Sinn” sagt Sebastian, einer meiner beiden Reisepartner. “Doch, die Einheimischen machen das auch. Guck doch.” Er muss einsehen, dass ich Recht habe. “Wo ist eigentlich Flo?”, frage ich mich und spiele weiter mit dem Schlamm und den Steinchen, die im Flussbett liegen wie Süßigkeiten in der Auslage eines auf dicke Kinder spezialisierten Fachgeschäfts. Flo ist mitten während seines Pilz-Trips zu der Erkenntnis gelangt, dass er just in diesem Moment eine wichtige Email schreiben muss und einfach weg gelaufen. Als hätte er meine besorgte Frage gehört, taucht Flo plötzlich wieder vor uns auf. “Geht es dir gut?” Angespannte Stille, unsicheres Abschätzen. Eventuell wird diese Reise als “Das Email-Desaster von Palomino” in die Geschichtsbücher der Backpacker eingehen.
“Alles geklappt?” fragen wir. “Geht so” sagt er, eine bedeutungsschwangere Leere im Gesicht. Dann berichtet er. Das nächste Hotel mit Internetanschluss ist vermutlich 30 Minuten Fußweg entfernt. So ganz sicher ist er sich da aber nicht. Als er dort ankam, entfaltete die Pilzschokolade gerade ihre volle Wirkung. Ausführlich beschreibt er die Orte auf der Hotelanlage, an denen er hoffte, sich wohl zu fühlen. Nach einem PC zu fragen war vorerst nicht drin. Zunächst saß er auf dem Rasen vor den Toiletten, wenig zufrieden. Dann ging er zum Pool. An die Bar. In die Mitte eines Raums. Auf einen Balkon. Alles nix. Unsicherheit machte sich breit. Was nun? Vielleicht zurück zum Ort unseres gestrigen Triumphs. In der Nacht zuvor wurden wir am Billardtisch des Hotels zu den ungeschlagenen Bier-Pong-Königen Kolumbiens gekrönt, als wir in einem Herzschlagfinale zwei unsympathische Ingenieure aus Köln vom Platz fegten und somit ziemlichen Eindruck auf die anwesenden Holländerinnen schinden konnten. Wir lachen mitfühlend während wir all das hören. “Kommst du alleine klar oder brauchst du Hilfe?”Flo weiß nicht so richtig weiter.” Er könnte nicht ratloser sein.
Videos by VICE
“Ich hab so ein Lifecoaching von Curse auf dem Handy” witzel ich herum. “Vielleicht hilft dir das weiter”. Kaum ausgesprochen, wird uns allen drei klar: Dies ist der Zeitpunkt, um es herauszufinden – zu hoffnungsvoll der Gesichtsausdruck des hilflosen Flo. Wann, wenn nicht hier. Wo wenn nicht jetzt. Ihr wisst schon. Das Hirn längst ein zäher Brei aus Lachkicks und pürierten Empanadas. Also gut, go for it. Wir bilden einen Kreis, zu Dritt schwieriger als man vielleicht annehmen möchte. Ich zöger noch, fürchte mich ehrlich gesagt auch vor der Möglichkeit, tatsächlich von Curse etwas über mein zerrüttetes Leben zu erfahren, doch wie von Geisterhand drückt mein Zeigefinger den Play-Button, jeglicher Widerstand erscheint zwecklos. Die Stimme des “Feuerwasser”-Schöpfers ertönt an den Stränden Kolumbiens.
Curse, das ist ein Mindener Rapper, über den man bei Wikipedia unter anderem Folgendes lesen kann: “Er rappt oftmals über gescheiterte Liebesbeziehungen und gesteht sich selbst auch Fehler ein.” Ok, Bruder. Wann war eigentlich der Moment, als es plötzlich nicht mehr cool war, über gescheiterte Liebesbeziehungen zu rappen? Eventuell zeitgleich mit Bushidos – beziehungsweise nach eigener Aussage Julian “Ich hab Welthits geschrieben” Williams’ Track “Vergiss mich”. Wer bei Zeilen wie “Du warst nicht dieser eine Engel unter 1000 Huren” wirklich eine Träne verdrückt, bestellt auch ohne sich zu schämen Cocktails mit Wunderkerzen und Doppelapfel-Tabak in der Shisha-Bar von KC Rebell. Will sagen: Unangenehme Liebeslieder sind im Deutschrap keine Seltenheit. Aber Curse hat dem Metier natürlich seinen Stempel aufgedrückt wie kaum ein Zweiter. Und was ist jetzt?
Curse stellt sich derweil als Michael Kurth vor. Er erklärt dem möglicherweise unwissenden Zufallshörer, dass er mal Rapper war. “Man könne sagen, ich hatte eine musikalische Karriere”. Ja, das kann man durchaus so sagen. Curse hatte Songs mit Westernhagen und Silbermond, er lebte für HipHop in dem gleichnamigen Song mit GZA und hat die Fahne für Rap immer hochgehalten. Außer als Rap gerade nicht mehr so lief. Da wurde er Radiomoderator. Dafür kam er ja zurück, als plötzlich jeder MC, der ein Mikrophon halten konnte, in die Top Ten ging. Und jetzt ist er halt der Lifecoach Michael Kurth. “Moment mal, ist das nicht dieser Türsteher, der immer sein Gesicht in die Kamera hält, wenn es darum geht, einen qualifizierten Kommentar über die Abou-Chaker-Familie abzulassen?” Schon jetzt beschleicht mich das Gefühl, Curse weiß keine Antwort auf meine Frage. Das ist ein deutlicher Minuspunkt. “Nein, der heißt Michael Kuhr” klärt Sebastian mich auf. Flo guckt unsicher auf seine Hände.
In den folgenden drei Sätzen, in denen der Sprecher immer noch seine Beweggründe erklärt, sagt Curse aka Michael Kurth aka der Türsteher von Spiegel TV gefühlt acht mal “Podcast”. Dabei spricht er das A wie ein Ä aus und zieht es unnötig in die Länge. “Podcääääst”. Klingt irgendwie nach dem “Kääääskopp”, welches die Bier-Pong-Holländerinnen am Abend zuvor so exzessiv benutzten. Curse ist schon wieder ein ganzes Stück weiter als ich. Wie immer. Er konnte bereits auf eine langjährige Rapper-Laufbahn zurückblicken, als ich noch kopfnickend und mit hängenden Hosen im legendären SO36 einer Band zujubelte, die kurz darauf mit einem Hit namens “A-N-N-A” (Kategorie okaye Rap-Liebeslieder) dafür sorgte, dass sie nie wieder in so kleinen Kreuzberger Clubs spielen würden. Und sich außerdem auf der Bühne mit den örtlichen Gangs prügeln musste.
Dann war es eines Tages vorbei mit Rap. Bei HipHop.de nennt man das unheilvoll die Zeit, als “die Deutschrap-Blase platzte”. Und nun berichtet der Ex- und Wieder-Rapper von seinen eigenen Erfahrungen mit dem Lifecoaching und wie sehr ihm das geholfen hat. Wobei auch immer. “Da wurde mir klar, wenn ich mal Zeit habe, dann möchte ich das auch lernen”. Offenbar hat er nun Zeit. “Und jetzt bin ich legitimierter Lifecoach”. Wir könnten nicht beeindruckter sein. Außer vielleicht von den Sonnenstrahlen, die vor uns auf das Wasser treffen und ein Farbenspiel entstehen lassen, welches ich derart intensiv noch nie zuvor beobachten durfte. Aber zurück zum Lifecoaching. “Ich will euch nix verkaufen, ich will euch Dinge weitergeben.” Toll! Das sind so Sätze, in deren Folge man oft ein überflüssiges Zeitschriften-Abo mehr hat oder von QVC einen Salatschneider zugeschickt bekommt. Ich spreche aus Erfahrung. Und Curse? Auch er muss doch mal jung und pleite gewesen sein. Bereit, in einer Drückerkolonne zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Da bekommt man derlei Verkaufsfloskeln doch bereits im ersten Seminar beigebracht. Das haben wir doch alle mal gemacht. Nein? Niemand? Ok, vielleicht habe ich das Lifecoaching doch nötiger als angenommen.
Apropos Drückerkolonnen und Schneeballsysteme: Im nächsten Abschnitt geht es um Visionen. Das dürfte gerade genau unser Thema sein. “Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen” zitiert Curse Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Dann lobt er den weisen, alten, toten Mann, um ihm anschließend zu widersprechen. Ohne ihn auch nur ansatzweise in die Nähe solcher Menschen rücken zu wollen, erinnert mich das an die Taktik der sogenannten “Pick-Up-Artists”. Die schwören ja auf negative Komplimente als todsichere Masche. „Für dein Alter siehst du aber noch ziemlich gut aus”. Sowas halt. Aber der Schmidt hat es dem Curse schon angetan, trotz des Widerspruchs – das merkt man. Das Lob überwiegt. Ach ja, der Schmidt und seine Menthol-Zigaretten. Das war ein drolliger Kauz. Da kann man Stammheim und Co. oder Sätze wie “Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion der Intellektuellen” ruhig mal vergessen. Ach Mist. Schon wieder nicht aufgepasst. Warum kann ich mich eigentlich nie auf eine einzige Sache konzentrieren? Curse, wenn du das liest, denk doch bitte mal darüber nach, dieses Thema demnächst anzuschneiden.
“Eine Vision ohne Fleisch am Knochen, ist irgendwie schwammig”, tönt es nun aus der mobilen Box. Der Satz an sich ist irgendwie auch schwammig. Sehr schwammig sogar. “Wie alt ist Curse eigentlich?” fragt Flo. Wikipedia sagt 38. “Oh mein Gott, der ist nur fünf Jahre älter als ich”, murmelt er. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt für Age-shaming, sämtliche Witze über ewig jung gebliebene Hip-Hopper werden momentan für Falk Schacht gebraucht. Sorry, Mois. Leichte Panik breitet sich aus. Jedoch nicht bei Curse. Er erklärt seelenruhig, dass er nicht im Besitz der ultimativen Wahrheit ist und auch nicht garantieren kann, dass man erfolgreich sein wird, wenn man die empfohlenen Schritte befolgt. Wie jetzt? Bruder, warum hör ich mir das dann an?
Das gleiche sagte Sebastian übrigens einst erbost auf dem Splash!-Festival, als Curse “Und was ist jetzt?” performte. Ich habe damals verstohlen mit dem Fuß gewippt. Es könnte mir nichts unangenehmer sein, als dies öffentlich zuzugeben. Emotional betrachtet, war Curse für mich damals der romantische Türöffner für John Legend, der kurz nach ihm die Bühne betrat. (Fun Fact: John Legend war damals der einzige Künstler, der statt eines Namensschildes, ein Foto von sich auf der Garderobe kleben hatte, was uns zu der Vermutung ermutigte, dass er Analphabet ist. Vielleicht kommt ja bald auch die Curse-Nachhilfe, wer weiß.) Und auch jetzt wird Sebastian langsam wütend. “Das ist so ekelhaft” entfährt es ihm. “Warum machen Menschen sowas nur?” Kein Grund gleich aggressiv zu werden, denke ich so bei mir, sowas kann böse enden. Wusste Curse übrigens schon 2005, als er in seiner persönlichen Abrechnung mit dem Hype um Aggro Berlin und Co. in “Gangsta Rap” erklärte: “Nichts ist so interessant wie die Inszenierung von Beef/Das ist solange sweet bis irgendwer nen Kopfschuss kriegt”. Word! Ist Curse eigentlich Bloods oder Crips? Weitere Fragen, die offen bleiben.
Allerdings muss ich Sebastian Recht geben. Tatsächlich beginnt es zäh zu werden. Und dass, obwohl auch davor nichts Bahnbrechendes gesagt wurde. Satzfetzen dringen an mein Ohr. “Stelle dir vor, du willst in ein paar Jahren etwas anders machen … Ziele, Etappen … im Hier und Jetzt nimmt dir das nicht die Kraft der Visionen”. Na juti. Nichts, was nicht auch in einem Kalender für Suizidgefährdete steht. Doch dann endlich die erste konkrete Übung. Flo bereitet sich darauf vor, etwas Hilfreiches zu erfahren, um sich in seinem momentanen Zustand besser zu fühlen. Er war selten so offen dafür wie jetzt. “Wir kommen zur Schaukelstuhl-Übung. Stell dir vor, du bist 90 oder 100 Jahre alt.” Nun gut, das dürfte Curse nicht schwer fallen (oh, da ist doch noch ein Witz vom Falk Schacht-Grabbeltisch herunter gefallen). Wir strengen ebenfalls unsere Phantasie an. “Und jetzt stellt euch vor, ihr sitzt in einem Schaukelstuhl und blickt auf euer Leben zurück. Denkt an alles, was ihr so erlebt habt. Was für Menschen habt ihr kennengelernt? Was waren die Wendepunkte? Wo habt ihr Nein gesagt? Wo Ja? Welche Länder habt ihr bereist? Und jetzt schreibt das alles auf.” Wir haben leider nichts zu schreiben mit, aber versichern uns gegenseitig, den Brief vor dem inneren Auge gewissenhaft verfasst zu haben. Flo hat eventuell noch ein paar bunte Bildchen hinzugefügt.
“Kennt ihr den Spruch ‘Nachher ist man immer schlauer?’” Ja, wir kennen den Spruch, Curse. Jeder kennt diesen Spruch. Menschen, die diesen Spruch nicht kennen, werden sicherlich keine Podcääästs über systematisches Lifecoaching hören, amk. Kurze Kunstpause. Trommelwirbel! Die Luft zum Zerreißen gespannt. “Warum nicht jetzt schon so tun, als wenn nachher wäre?” Stille. Eine lang anhaltende, ratlose Stille, getrieben von dem Gefühl, von einem Podcast verarscht zu werden, der nicht mal etwas kostet. Flo möchte nicht mehr. Er drückt den Pausenknopf. “Ich bin traurig, sagt er. “Richtig traurig”.
Wir könnten nicht enttäuschter sein. Aus dem Paradies um uns herum wird ein profaner Strand, der den Flair des Tropical Island während der Winterferien versprüht. Verunsichert und leer sitzen wir im Flussbett, nur noch ein Schatten unserer Selbst. Schwer depressiv dank eines Lifecoachings, allein zurück gelassen mit dem Gefühl, eine bereits festgeschriebene Zukunft nicht mehr abschütteln zu können. Danke, Curse.