Berlin steht auf Drogen. Das lernt spätestens, wer im Club dringend aufs Klo muss und ewig darauf wartet, dass eine der Kabinen frei wird. Aber nicht nur Partytouristen pinkeln am Tag danach Drogenrückstände ins Berliner Abwasser. Auch Studierende mischen ordentlich mit. Was ihr wahrscheinlich längst geahnt hab, bestätigt jetzt eine neue Studie.
Ein Team der Charité hat über 9.000 Berliner Studierende zu ihrem Drogenkonsum befragt. Spoiler: Die Studis ballern nicht nur mehr als im Rest der Republik, sondern auch mehr als Gleichaltrige in anderen Ländern. “In den Medien ist Berlin die ‘Partyhauptstadt Europas’”, sagt Dr. Felix Betzler. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie leitet die Studie, die er im European Journal of Neuroscience veröffentlicht hat. Betzler: “Es ist vorstellbar, dass Studierende aufgrund des Nachtlebens nach Berlin kommen – und entsprechend auch konsumieren.” Darauf müssten die Unis noch mehr eingehen als bisher.
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Auf Platz eins der dabei bevorzugten Substanzen: Alkohol. Unter 20 Berliner Studierenden hat nur einer Gin, Bier oder Wein noch nie angerührt. Über 90 Prozent der Befragten tranken im letzten Jahr und rund 80 Prozent im letzten Monat.
Fast 70 Prozent aller Studieteilnehmenden haben in ihrem Leben schon Erfahrungen mit illegalen Substanzen gemacht.
Aber Berliner Studierende wären nicht Berliner Studierende, wenn sie nicht auch illegale Substanzen konsumieren würden. Fast 70 Prozent haben in ihrem Leben schon Erfahrungen damit gemacht, knapp die Hälfte der Befragten im letzten Jahr und fast ein Drittel auch im letzten Monat. Die beliebtesten Substanzen in absteigender Reihenfolge: Cannabis, MDMA/Ecstasy, Amphetamine, Kokain.
Damit liegen die Berliner deutlich über dem deutschen Durchschnitt. Beispiel Cannabis: Laut einer aktuellen Statistik, mit der auch die Bundesdrogenbeauftragte arbeitet, konsumierten das 22 Prozent der 18- bis 25-Jährigen im letzten Jahr. Unter den Berliner Studierenden sind es rund 42 Prozent – beinahe doppelt so viele.
Ob die Angaben der Teilnehmenden stimmen, konnten die Forschenden nicht überprüfen. Ebenso wenig, ob viele Menschen, die drogenfrei leben, erst gar nicht die Onlinefragebögen ausgefüllt haben. Dennoch gewährt die Studie einen tiefen Einblick in den Kosmos der Berliner Studierenden.
Berliner Studierende leben Sex, Drugs and Rock’n’Roll (… oder Techno)
So nehmen eher Männer als Frauen illegale Drogen, eher homo- und bisexuelle Menschen als heterosexuelle, eher Menschen, die verschuldet sind, als jene, die nicht verschuldet sind. Interessant ist vor allem der Zusammenhang mit dem Beziehungsstatus: Von den rund 450 Personen, die angaben, in einer offenen Beziehung zu sein, will jeder zweite im letzten Monat Drogen konsumiert haben. Deutlich mehr als etwa bei den Singles: Da war es nur jede Dritte.
Was hat der Beziehungsstatus mit dem Drogenkonsum zu tun? Studienleiter Betzler kann nur spekulieren: “Zu einer offenen Beziehung gehört womöglich auch eine bestimmte Offenheit gegenüber anderen Dingen des Lebens”, sagt er. Wer gerne Neues erlebt, sei auch prädestiniert dafür, Drogen auszuprobieren.
Nun vermuten einige sicherlich, es hätten vor allem Theaterwissenschaftlerinnen und Kunststudenten an der Umfrage teilgenommen, doch dem ist nicht so. Viele, die mitgemacht haben, studieren an der TU, den beiden Hochschulen für Wirtschaft und Recht bzw. Technik und Wirtschaft sowie der Charité. Angehende Ingenieurinnen, Ärzte und Verwaltungsangestellte also.
Die Konsumierenden der Studie haben eine eigentümliche Selbstwahrnehmung
Ginge es nach den Studierenden, dann hätten die gern noch ein weiteres Klischee widerlegt. So haben frühere Studien gezeigt, dass sich Drogenkonsum negativ auf die Leistungen von Studierenden auswirken kann. Nicht in Berlin. Hier hielten sich gerade jene Teilnehmer, die im letzten Monat Drogen genommen hatten, für produktiver und erfolgreicher als ihre Kommilitoninnen.
Damit lagen sie falsch. Die Autoren der Studie haben die Noten dieser Studierenden mit denen ihrer Kommilitonen verglichen: Sie waren nicht besser. Aber auch nicht schlechter. Warum die Schere der Selbstwahrnehmung und der Leistung so weit auseinandergeht, kann Betzler noch nicht erklären. Deshalb haben er und sein Team die Studierenden erneut dazu befragt. Das Ergebnis wollen sie in den nächsten Monaten präsentieren.
Ob die jungen Erwachsenen Drogen zum Feiern oder zum Lernen nahmen, klärt die Studie nicht. Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung hatte im Semester 2014/2015 Studierende gefragt, ob sie Hirndoping betrieben. Da bejahten nur sechs Prozent diese Frage. Gut möglich, dass die Berliner Studierenden sich vor allem im Techno-Taumel der Hauptstadt Pillen einschmeißen und Lines ziehen.
Was die Forschenden auch fragten: Wie viele Studierende haben ein Problem mit ihrem Konsum oder könnten bald eines bekommen? Die Antworten gingen weit auseinander. Einerseits sagten vier Prozent der Befragten, sie hätten gerne eine professionelle Beratung zu ihrem Konsum. Andererseits ergab die Studie, dass ein Drittel der Teilnehmenden potentiell gefährdet ist, abhängig zu werden. Aber: “Diejenigen, die einen risikoreichen Konsum haben, sind auch diejenigen, die ein Beratungsgespräch wünschen”, sagt Betzler. “Wer ein Problem hat, hat offenbar auch ein Problembewusstsein.”
Deshalb sei es wichtig, dass man diese Studierenden jetzt anspricht, sagt Betzler: “Die meisten Unis bieten bereits Beratungsmöglichkeiten. Es ist aber wichtig, dass noch mehr solcher Stellen hinzukommen und dass man die Studierenden auf diese hinweist.”
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