Zu Besuch bei den Ufo-Esoterik-Nazis

Was machst du, wenn du verzweifelt, verloren, unzufrieden oder paranoid (oder alles zusammen) bist? Du suchst dir einen charismatischen Führer (einer Sekte, eines Kults, einer Partei etc.) und glaubst einfach alles, was er sagt.

Zwar hat der frühere „Streithansel der Neonazi-Szene“, Christian Worch, kürzlich DIE RECHTE gegründet und versucht nun, auf Stimmenfang zu gehen, um der 1000-jährigen Geschichte Deutschlands endlich wieder Auftrieb zu geben. Aber wirklich Ersatz für den Führer ist das nicht.

Aber ein paar Ewiggestrige haben den Glauben an Hitler nie aufgegeben und hoffen noch immer, dass der Gröfaz unter der Arktis in Neuschwabenland weiter an seinen verschrobenen Ideologien arbeitet. Dr. Axel Stoll und Peter Schmidt, Leiter des Neuschwabenlandstammtisches in Berlin, würden zwar nicht öffentlich zugeben, dass Hitler leiblich noch lebt, aber seine Energie erfüllt sie und die anderen Anwesenden doch immer noch mit Kraft.



Äh, ja. Alle 14 Tage treffen sich also die esoterischen Nazi-Verschwörer Freitagabends im Restaurant Roseneck in Berlin Britz, um sich über Nazi-Ufos, den Aufbruch ins Neuschwabenland, Chemtrails, den heiligen Gral und alles mögliche andere Abstruse zu informieren, was ihrem Dasein ein wenig Berechtigung gibt. So weit, so bitter. Ach ja, sie messen dort außerdem ihre energetische Körperschwingung mit irgendeinem elektrischen Ding aus, das leuchtet, wenn alles gut ist. Oder eben nicht gut. Je nach Perspektive.

Wir haben den Stammtisch also letzten Freitag besucht, um herauszufinden, wozu die menschliche Psyche so fähig ist. Um das Ganze noch etwas nervenaufreibender zu gestalten, habe ich meinen jüdischen Kollegen Theo aus Brooklyn mitgenommen. Die Szene wird zwar vom Verfassungsschutz beobachtet, jedoch scheint keine Gefahr von ihr auszugehen, so eine Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Es scheint keine einheitliche Gruppe dahinter zu stehen, die ein genaues politisches Ziel verfolgt. „Es wäre wohl eher angebracht, denjenigen, die daran glauben, die Mündigkeit zu entziehen“, meinte die Sprecherin abschließend leicht belustigt. „Es ist doch sehr abstrus.“

Der Glaube an das Neuschwabenland hängt eng mit der Theorie von der hohlen Erde zusammen. Früher wurde angenommen, die Erde sei im Kern hohl. Jules Verne verarbeitete das literarisch mit seiner Reise zum Mittelpunkt der Erde. Es wird von manchen noch heute angenommen, es gebe eine „zweite Welt“ im Erdkern. Allein deshalb konnten die Nazis das Neuschwabenland überhaupt errichten. Dort scheint auch eine echte Sonne und Blumen sprießen fröhlich in die arisch-arktische Luft.  

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Dr. Axel Stoll

„SILENTIUM!“, unterbricht Dr. Axel Stoll, der Vorsitzende der Zusammenkunft, den Plausch der anwesenden Mitwisser. Das macht er seit zehn Jahren so, um seine Weisheiten verkünden zu können. Wie etwa: „Magie ist Physik durch Wollen.“ OK. Oder: „Wahrheit existiert auch ohne Wissen vieler oder trotz Leugnung einiger Menschen.“

Und die sieht ganz speziell aus und nur wenige Eingeweihte wissen von ihr. Denn „ursprünglich war das alles Geheimwissen, aber langsam kann immer mehr davon freigegeben werden.“

Sein Vortrag, den du dir für zwei Euro kaufen kannst, handelt vom Sator-Quadrat und dazu noch irgendwas Satanisch-Teuflischem, das es seit ewigen Zeiten geben soll und es deswegen allein ja schon wahr sein muss. Altertümliche Symbolik misszuverstehen, ist Volkssport bei Verschwörungstheoretikern. Irgendwelche Nummern ergeben irgendwelche Zeichen (oder andersrum), die irgendwas bedeuten.

Pyramiden, Maya, Arier aus Atlantis, Energiesteine, die AIDS-Lüge und so weiter und so fort—alles kommt irgendwie vor und wird unübersichtlich mit zusammenhangslosen Zitaten und aus dem Kontext gerissenen Mythen und Geschichten „belegt“. Um die Verwirrung etwas einzudämmen, wird zu Beginn des Stammtisches jedem Besucher ein Infoblatt in die Hand gedrückt, das aber hauptsächlich aus weiteren belanglosen Zitaten besteht. Außerdem kannst du dir verschiedene DVDs kaufen. Zu Studienzwecken.

Auszug aus dem Infoblatt

Neben kostenloser Heilung (ganz offensichtlich aber nicht von Verfolgungs- und Größenwahn) liefert das Informationsschreiben sogar eine etymologische (und außerdem komplett fehlgeleitete) Analyse des Wortes „Nazi“ und diese will Stolls Kollege Peter Schmidt noch vor dessen Vortrag loswerden: Nazi stamme von „Nazareth“. Jesus von Nazareth sei somit der erste Nazi gewesen. Der Begriff Nazi sei eine Koseform des Englischen „Nazirite“. Damit seien alle Christen heute Nazis. „Seien Sie also beglückt, wenn Sie jemand Nazi nennt“, ruft Schmidt erfreut aus, denn Nazi bedeute „eine geheiligte Person“. Mit den Worten „Stell dir vor, das würden Journalisten wissen!“ beendet er sein pseudo-etymologisches Gejaule.

Schmidt zeigt den Anwesenden noch den Artikel über den Stammtisch im Berliner Kurier. Dort ist die Grafik eines UFOs, ein Foto von Hitler (vom Vortragenden liebevoll Führer genannt) und darüber ein Foto von Schmidt selbst. Hitlers Zeigefinger zeigt genau auf ihn. Durch diese Anordnung und die starke Strahlkraft der UFO-Grafik „ist der Berliner Kurier heute ausnahmsweise mal auf unserer Seite“, freut sich Schmidt. Denn die davon ausgehende Energie unterstütze ihr Anliegen. Erfreutes Gelächter im Publikum. Schockstarre bei mir.