Tequila ist schon lange kein billiger Partydrink mehr, sondern kann auch edel

Lange galt er als billiger Partydrink, den man sich mit Zitrone und Salz hinterkippt, in den letzten Jahren hat sich Tequila hart einen besseren Ruf erkämpft. Bester Tequila zählt mittlerweile zu den feineren Spirituosen, ähnlich wie Cognac oder Single Malt Scotch. Limitierte Sonderauflagengehen für über 1.000 Euro über den Tisch. Für einige Promis ist Tequila auch zu einer trendigen Investition geworden, so bringen zum Beispiel George Clooney, Justin Timberlake und P. Diddy jeweils ihren eigenen Luxustequila auf den Markt.

Das obere Ende des Tequila-Segments verzeichnet heute das größte Wachstum und die meisten Gewinne. Insgesamt sind die Verkaufszahlen von Tequila in den USA zwischen 2002 bis 2015 um 106 Prozent gestiegen. Die Verkäufe im Ultra-Premium-Segmentsind jedoch um erstaunliche652 Prozent gestiegen, laut Angaben des Distilled Spirits Council of the United States. Doch je mehr neue Marken auf diesen schon gut gefüllten Markt drängen, desto schwerer wird es, zwischen wirklich qualitativen Tequilas und einfach nur nicht ganz so billigen Imitaten zu unterscheiden.

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Der Wettbewerb wird härter, also versuchen die Marken mit extrem luxuriösen, experimentellen Kreationen und sogar High-Tech-Kooperationen herauszustechen.

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Das Gelände der Destillerie von Casa Noble. Alle Fotos vom Autor

Casa Noble, eine Ultra-Premium-Marke gegründet 1997 von José „Pepe” Hermosillo, hat gerade einen limitierten Tequila extra añejo auf den Markt gebracht: Alta Belleza, die „hohe Schönheit”, kostet umgerechnet 1.100 Euro pro Flasche. Der Tequila wird dreifach destilliert, reift dann drei Jahre lang in Fässern aus französischer Eiche und bekommt dann noch ein sechsmonatiges Finish in alten Cabernet-Sauvignon-Fässern vom To-Kalon-Weingut in Kalifornien. Es gibt nur 563 Flaschen davon. Ein Glas davon in einer der wenigen Bars, die diesen Tequila auf der Karte haben, kann dich umgerechnet bis zu 280 Euro kosten.

„Wir wollten etwas Besonderes erschaffen, etwas mit Charakter und Bumms”, erzählt mir Hermosillo auf dem 10 Hektar großen Gelände der Tequilera La Cofradía, wo Casa Noble in der Stadt Tequila produziert. Während wir zu den Fässern vorbei an den blauen Agaven, Kakteen, Mango- und Limettenbäumen gehen, knirschen unter unseren Füßen Mangokerne. Aus den Lautsprechern im Fässerraumhört man die unvergleichlichen Gitarrenriffs von Carlos Santana, einem Freund und Geschäftspartner von Hermosillo und gebürtig aus dem Bundesstaat Jalisco.

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In der Destille von Casa Noble

Hermosillo ist die Idee zu Alta Belleza bei seinen, wie er sie nennt, Experimenten eines verrückten Wissenschaftlers gekommen. Dieser Tequila ist der größte Schatz der Destille, diedamit die Führung im Ultra-Premium-Markt übernehmen will. „Durch den Wein hat er was Eigenwilliges”, beschreibt Hermosillo seine bernsteinfarbene Erfindung. „Das ist eine ernstzunehmende Spirituose. Du genießt sie besser in kleinen Schlücken.”

Ich widerstehe der moralisch verwerflichen Versuchung, ihn einfach hinterzukippen und damit den Anspruch auf einen der teuersten Tequila-Shots der Geschichte erheben zu können. Stattdessen befolge ich seinen Rat und koste die sanften Noten voll aus: dunkle Kirsche, Schokolade, Butterkaramell. Es ist definitiv ein guter Schnaps, aber ist er den Preis auch wert? Das hängt davon ab, wie zahlungskräftig du bist.

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Der Alta Belleza von Casa Noble kostet umgerechnet 1.100 Euro pro Flasche

Die Tequilas von Casa Noble werden nach traditionellen Methoden in relativ kleiner Auflage hergestellt; sie sind bio, koscher und haben auch ein Siegel für umweltfreundliche Herstellung von der Regierung. Sie verwenden keine Zusatzstoffe, um den Geschmack, Geruch, den Körper oder die Farbe des Tequilas künstlich zu ändern. Sie klären ihre Abwässer und machen aus den Bioabfällen Kompost. Hermosillo hofft, dass sich seine Marke mit diesen Labels und seiner akribischen Herangehensweise an die Produktion von der Konkurrenz abheben kann.

Der Marktführer im Ultra-Premium-Segment Tequila Patrón sucht auch nach neuen Wegen, um die Nase weiter vorn zu haben. Gegründet wurde das Unternehmen 1989, bei der Herstellung in einer riesigen Hacienda, angelehnt an den Kolonialstil, in den Bergen von Jalisco werden alte handwerkliche Techniken mit modernen Methoden kombiniert. Die billigsten Patrón-Tequilas bekommt man für circa 40 Euro, die Top-Tequilas wie der Gran Patrón Burdeos Añejo kosten dann schonmal 500 Euro. Für limitierte Sonderauflagen bezahlt man umgerechnet bis zu 7.000 Euro.

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Die Hacienda von Tequila Patrón

„Jahrelang galt es als unorthodox, so viel für einen Tequila zu verlangen. Aber mittlerweile gilt Tequila als ziemlich trendiges Produkt. In den angesagtesten Clubs der Welt kann man sich neben Champagner- und Cognacflaschen auch Tequilaflaschen bestellen”, erklärt mir Lee Applbaum, der Marketingleiter bei Patrón. „Viele Jahre war es die Strategie der Marke, ein sehr gehobenes Markenprofil aufzubauen, sich vor allem auf Luxus und Lifestyle zu konzentrieren. Mit der Zeit haben sie ein Gleichwicht zwischen Lifestyle und wirklichen Inhalten gefunden.”

Diese Balance zu finden ist entscheidend, denn wie Applbaum sagt, konkurriert Patrón mittlerweile mit über 100 Marken in diesem Segment. „Es ist selten, dass eine Marke auch genug Inhalt bietet, um zu halten, was sie verspricht”, meint er. „Bei vielen Luxusmarken sieht man, wenn man dann genauer hinschaut, dass da nicht viel ist. Sie haben ein cleveres Marketing, liefern aber keine Qualität.”

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Ein „jimador”, ein Agavenarbeiter von Patrón, zeigt, wie man die Agavenblätter vom Herz, „piña”, abschneidet

Um die Kunden an sich zu binden, arbeitet Patrón mit Amazon Echo zusammen an einer Art „Cocktail-Labor” mit hunderten von Cocktailrezepten. Die künstliche Intelligenz von Amazon wird nicht nur passend zu den Wünschen und Vorlieben der Kunden einen Cocktail empfehlen, sondern bietet auch Hilfe bei der Planung von Treffen mit Freunden an: Sie schlägt passend zum Thema des Abends Playlists und Essensideen vor. Wie Applbaum meint, „wechseln Verbraucher weniger von einer Marke zur nächsten, wenn sie dich als Partner wahrnehmen, der dir dabei hilft, den perfekten Abend zu organisieren.”

Patrón hat sich auch mit Oculus zusammengetan, um eine interaktive Virtual-Reality-Erfahrung zu erschaffen: Die Nutzer können die große Destille der Firma durch die Augen einer Biene betrachten, die von den Agavenfeldern hin zur stattlichen Hacienda fliegt, wo die Agaven dann gegart, zerhackt, fermentiert, destilliert, gereift und schließlich abgefüllt werden. Applbaum hofft, dass Barkeeper und Verbraucher Tequila allgemein mehr wertschätzen werden und besonders natürlich die handgefertigten Produkte von Patrón, wenn sie den Herstellungsprozess sehen können.

Nicht jeder freut sich jedoch über die Blüte des Ultra-Premium-Markts. Robert Denton, ein ehemaliger Werbeexperte, der behauptet, die Premium-Tequila-Kategorie erfunden zu haben, zeigt sich enttäuscht über die Entwicklung des Segments.

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Die piñas werden zerhackt

1982, als die meisten nur die billigen Mixto-Tequilas mit heftiger Katerfolge kannten, hat Denton Chinaco importiert, die erste Premium-Marke auf dem US-Markt. Nachdem er in Jalisco die besten Partner und Anlagen gesucht hat, hat er 1989 El Tesoro, eine weitere Top-Marke, mitbegründet. „Das war richtig schwierig zu verkaufen, der Verkaufspreis lag bei 25 Dollar [umgerechnet circa 23 Euro], alles andere hat die Hälfte gekostet”, erzählt er mir. „Die Leute fragten immer: Warum ist der so viel besser?” Und wir antworteten ihnen einfach: „Sie müssen ihn probieren.”

Denton, mittlerweile in Rente, hatte mit beiden Marken ziemlichen Erfolg, doch er glaubt, dass die heutigen Premium-Tequilas seinem Erbe einige Kratzer verpasst haben. Kein Tequila, meint er, ist so viel wert, wie die teuersten Firmen heute verlangen: „Das ist reines Marketing. Wie kann man so einen Preis rechtfertigen?”

Die Industrie habe sich nach Verabschiedung des NAFTA-Abkommens 1994 zum Schlechteren verändert, meint Desto. Die Amerikaner „strömten in Fluten nach Mexiko und wollten leichtes Geld machen. Jeder fing im Tequilageschäft an.”

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Agave at Tequila Patrón being crushed before fermentation.

Die Nachfrage hat das Angebot schnell überholt, also haben sich viele Investoren entschieden, die Produktion in Destillen auszulagern, die schon für andere Marken Tequila herstellen. „Das Einzige, was man braucht, ist eine Designer-Verpackung und jemanden zum Abfüllen”, meint Denton. „Es gibt Destillen, die 20 oder 30 Marken machen und jede von ihnen präsentiert sich mit einer anderen Traditionsgeschichte. Und da haben Lügen das Marketing ersetzt.”

Er wütet gegen die Industrie und meint, dass auch vereinzelt Auszeichnungen an den Höchstbietenden gegeben werden. Außerdem beklagt er sich über die Promis, eigentlich wenig bis gar nichts mit ihrem Produkt zu tun haben: „Sie holen sich eine große Firma, die das für sie pusht. Sie selbst machen nichts.”

Wie können also Verbraucher denn Bullshit vom guten Zeug unterscheiden und herausfinden, welche Marken ihr Geld wert sind?

Die Antwort, meint Applbaum, ist einfach: „Den Beweis für die Qualität findet man in der Flasche.”

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