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Im WLAN der evangelischen Kirche ist mehr erlaubt als bei Flixbus und Starbucks

Es gibt nicht viele gute Gründe, mit einem Smartphone vor eine Dorfkirche stehend Pornoseiten anzusurfen. Ich habe einen: Ich wollte „Godspot”, das freie WLAN der evangelischen Kirchen, testen, um herauszufinden, wie es die Kirche mit der Sperrung von Websites, Online-Jugendschutz und der Regulierung seines kostenlosen Netzzugangs hält. Wie „frei” ist das „freie WLAN” einer christlichen Organisation wirklich?

Mein Test hatte einen konkreten Hintergrund. Im Zuge meiner Recherche über die WLAN-Netze von Anbietern wie Flixbus und Starbucks musste ich nämlich feststellen, dass offene Wi-Fi-Angebote oft nach erstaunlich willkürlichen Regeln die verschiedensten Websites blockieren. Was sich als besonders problematisch herausstellte: Die Anbieter wissen manchmal selbst gar nicht, was in ihrem Netz erlaubt ist und was zensiert wird. Gelegentlich scheint es so, als würde ihnen die Kontrolle über ihr eigenes WLAN-Angebot entgleiten, eine nachvollziehbare Erklärung für das Blockverhalten bekam ich manchmal auch auf mehrfache Rückfrage nicht.

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Motherboard-Podcast: Warum intransparente Blocklisten ein Problem sind

Als ich meinen Artikel eigentlich schon fertig geschrieben hatte, fuhr ich in einem kleinen brandenburgischen Ort an einem provisorisch aufgehängten Schild mit weißer Schrift auf lila Grund vorbei: „GODSPOT – das freie WLAN der evangelischen Kirche”. Das musste ich mir genauer ansehen und spielte meine inzwischen eingeübte Routine durch: Vor der alten Dorfkirche zückte ich mein iPhone, um mich ins Godspot-WLAN einzuloggen und eine Liste möglicherweise blockierter Websites aufzurufen. Viele Anbieter freier WLANs verlangen, dass man allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmt. Es sind die üblichen, endlos langen Texte, die niemand liest. Bei Godspot wird lediglich verlangt, dass man sich an geltende Gesetze halten soll. Sympathisch.

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Ich vermutete bereits, dass nach dieser knappen Login-Meldung keine weiteren Hindernisse ins WLAN eingebaut sind. Und doch staune ich, als ich vor der Kirche stehend über das evangelische WLAN ungestört im Netz surfen kann. YouPorn? Zugänglich. rotten.com? Bitteschön. Das will ich genauer wissen und hole meinen Laptop. Ob das Netz wirklich komplett ungefiltert ist?

Ich lade einen Bittorrent-Client runter, surfe The Pirate Bay an (nicht blockiert) und lade mir dann doch artig ein Torrent-File für das frei kopierbare Ubuntu Linux runter. Der Torrent-Client läuft problemlos an. Alles ist etwas langsam, aber wer weiß, wie hier draußen in der Pampa das WLAN überhaupt ans Internet angebunden ist. Ansonsten funktioniert alles, als wäre man zu Hause im eigenen WLAN. Keine gesperrten Webseiten, Bittorrent läuft—ein WLAN, wie man es gern als kleines Geschwister hätte.

Doch ein ungefilterter Torrent-Zugang bietet Zugriff auf jede Menge Copyright-geschütztes Material—wie ist Godspot auf eventuelle Abmahnungen vorbereitet? Damit keine teilnehmende Kirche wegen der Störerhaftung direkt unter juristischen Druck geraten kann, wird der Netzverkehr vom WLAN über ein VPN zu einem Godspot-Server weitergeleitet. Die IP-Adresse der Webnutzer lässt sich dadurch für Dritte nicht mehr direkt einem Nutzungsort zuordnen und der Anbieter kann sich auf das Providerprivileg berufen.

Juristische Probleme habe es seit dem Start im Mai 2016 bisher keine gegeben, erklärt Godspot auf Nachfrage von Motherboard. Stattdessen gab es einige kritische Fragen wegen eventueller erhöhter Strahlung durch das WLAN. Auch Befürchtungen, dass die Kirche durch das Netz seine Eignung als Rückzugsort verlieren könne, habe es gegeben, sagt ein Sprecher.

Auf dem Weg zur Netz-Ökumene

Doch die kritischen Reaktionen seien gegenüber positivem Feedback nahezu verschwindend gering. Auf die Frage nach einer möglichen Ablenkung von KirchgängerInnen nimmt man es sportlich: „Wenn sich ein Besucher eines Gottesdienstes ablenken lässt, egal wovon, dann haben wir ein Predigtproblem und kein ‚Godspot’-Problem’”, erklärte Godspot-Initiator Kraetschmer gegenüber Spiegel Online.

Und auch in Richtung Netz-Ökumene geht es positiv voran. Man habe dem katholischen Erzbistum bereits einige Testgeräte zur Verfügung gestellt. Eine weitergehende Kooperation der beiden Kirchen ist also vorstellbar. Da es deutschlandweit um die 50.000 christlichen Kirchen gibt, wäre eine konsequente Verbreitung des Zugangs durchaus zu begrüßen. Kirchtürme als WLAN-Router—das hat doch was.

Doch noch ist nicht entschieden, wie frei das freie WLAN bleiben wird. In Zukunft sind einige Einschränkungen zumindest nicht ausgeschlossen. An bestimmten Standorten könnte es sinnvoll sein, einen Filter zum Jugendschutz einzubauen, führt Godspot gegenüber Motherboard aus. Auch über eine automatische Abschaltfunktion wird nachgedacht. So könnte es sonntags während des Gottesdienstes eine WLAN-freie Zeit geben. Wir werden sehen, wie es sich weiterentwickelt. Im Moment ist Godspot eines der mit Abstand freiesten WLANs überhaupt—mit einem zugegeben ziemlich guten Namen.