Es gibt Tage, an denen es draußen dunkel wird und ich mit knurrendem Magen bemerke, dass ich um 20:00 Uhr immer noch nichts gegessen habe. An solchen Tagen habe ich entweder noch zu viel Alkohol im Blut oder versinke in einem guten Videospiel. Der darauf folgende, abendliche Fress-Flash blieb in den vergangenen Monaten aber aus. Das liegt zum einen daran, dass ich mittlerweile ungefähr weiß, wie viel ich trinken kann, ohne am nächsten Tag als schnaufendes, stinkendes Etwas im Bett dahinzuvegetieren. Und zum anderen hat mich schon lange kein Videospiel mehr so gepackt, dass ich meine Grundbedürfnisse und Körperfunktionen zugunsten zehnstündiger Gaming-Session ignoriert habe. Das heißt, bis zu The Witcher 3.
Sicher, Bloodborne war gut und Far Cry 4 wirklich nett. Im Vergleich zu The Witcher 3 waren das aber beides Peanuts, bei denen ich nach einer Stunde ohne schlechtes Gewissen das Gamepad weglegte, zwischendurch eine TV-Serie schaute oder eben meinen Hunger stillte. Was Spiele konkret anders machen, die mich so fesseln, dass ich alles um mich herum ausblende, kann ich nicht genau sagen. Atmosphäre, Story, Charaktere und Gameplay müssen stimmen—eh klar. Was aber den größten Unterschied ausmacht, ist das gewisse Etwas. Das Ganze ist schwer zu beschreiben, aber ihr wisst wahrscheinlich, was ich meine.
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Eine Sache gibt es aber, die alle Videospiele vereint, die sich in den letzten Jahren in mein Gedächtnis gebrannt haben: Mini-Games. Ich habe in Red Dead Redemption, dem besten Spiel aller Zeiten, Stunden damit verbracht, gegen versiffte Cowboys zu pokern. In GTA V habe ich mein Sturmgewehr gegen Golf-Outfit und -Schläger eingetauscht und—kein Scheiß—den Golfkurs rauf und runter beackert. Und dass ich in Mortal Kombat: Deception wahrscheinlich länger Schach gespielt, als mir mit Scorpion, Raiden und Co. diverse Körperteile zertrümmert habe, versteht sich von selbst. Auch im neuen MKX ist die Krypt mehr ein kleines 90er-Adventure mit eigenen Gegnern und Rätsel.
Ihr merkt schon: Ich stehe auf Spiele in Spielen. Meine Theorie ist ja, dass Entwickler von Ausnahme-Titeln deshalb Mini-Games einbauen, die für sich genommen wirklich Spaß machen, um der Welt zu zeigen, dass sie mit ihren Ressourcen und ihrer Kreativität noch lange nicht am Ende sind und diese öffentlichen Easter-Eggs problemlos dazu packen können. Quasi der digitale Arroganz-Stinkefinger in Richtung weniger talentierter Entwickler, die damit kämpfen, zum Release einen halbwegs fertigen Flickenteppich auf den Markt zu bringen, der erst nach einer Handvoll Patches überhaupt spielbar wird.
Gut, dass Teile der legendären Nazi-Schießbude Wolfenstein 3D in The New Order und Old Blood spielbar sind, ist wirklich schwer zu toppen. Aber glaubt mir: Das in The Witcher 3 integrierte Kartenspiel Gwent ist das beste Mini-Game aller Zeiten.
Auf den ersten Blick erinnert Gwent an Magic: The Gathering oder Blizzards Hearthstone. Bis auf die Tatsache, dass das alles Sammelkartenspiele sind, bei denen ich mir ein individuelles Kartendeck zusammenbauen kann, hat Gwent mit Hearthstone (das super, aber im Kern „nur” eine stark reduzierte Form von Magic ist) in Sachen Spielprinzip aber nicht wirklich viel gemeinsam.
Ich hatte das Gefühl, dass bei Gwent viel taktischer vorgegangen werden muss, weil ein Match bis zu drei Runden dauert und dieses mit 10 anfangs gezogenen Karten bestritten wird. Ein Nachziehen ist nur mit Kartenfähigkeiten möglich, wobei diese oft auch positive Effekte auf den Gegner haben. Das gleiche gilt für stark spielbeeinflussende Wetterkarten, die sich auf beide Seiten einer Partie auswirken, wodurch ich immer abwägen muss, ob ich gerade mir oder meinem Gegenüber mehr schade. Klar, es gibt auch seltene Spezialkarten. Frustrierende Wendungen in letzter Sekunde, wie sie bei Hearthstone ständig vorkommen, bleiben in Gwent meist aus. Das nimmt vielleicht etwas Spannung, sorgt aber für mehr taktische Tiefe.
Dass Gwent nicht nur ein schnell hinzugefügtes Beiwerk ist, zeigt sich übrigens auch am Detailgrad, mit dem die Karten illustriert wurden. Außerdem gibt es—wie bei Magic—verschiedene Fraktionen, für die es jeweils eigene Karten zu finden gibt. Diese sind über die riesige Spielwelt von The Witcher 3 verstreut und können entweder bei Händlern gekauft oder in speziellen Quests gewonnen werden. Das dadurch entstehende Meta-Spiel ist so suchterregend wie das eigentliche Level-und-Looten-Ding, das mich bei Rollenspielen anfixt.
Leider ist Gwent nur offline gegen KI-Gegner spielbar. Bleibt zu hoffen, dass die polnischen Entwickler CD Projekt eine Online-Funktionalität geplant haben. Vor meinem inneren Nerd-Auge sehe ich mich schon eine eigenständige, physische Version von Gwent spielen. Bitte CD Projekt, ihr wisst was zu tun ist.
Raphael auf Twitter: @raphschoen