Wir schreiben Januar 2005 und bei Real Madrid brennt der Baum. Präsident Florentino Pérez steht das Wasser bis zum Hals, nachdem seine Königlichen in den letzten beiden Spielzeiten leer ausgingen und in der Liga schon wieder sieben Punkte Rückstand auf den Erzrivalen aus Barcelona hatten.
Was lief bei den Galaktischen schief? In den Augen der Fans fehlte es den Real-Spielern an Schlagkraft. Und die spanischen Sportzeitungen schrieben, dass das Team einen körperlich starken, gut organisierten und selbstlosen defensiven Mittelfeldspieler mit Zug nach vorne brauchte.
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Am 14. Januar wurde dann verkündet: Die Lösung für die Probleme von Real Madrid kommt aus England und trägt den Namen Thomas Gravesen. Nicht nur, dass der Ex-Hamburger das fehlende Puzzlestück sein sollte, der gute Thomas hatte noch einen weiteren Vorteil: Er sah einem sympathischen, wenn auch fiktiven Charakter, der damals in aller Munde war, verdammt ähnlich: Shrek.
Schaut man sich die nackten Zahlen von Gravesens Madrid-Intermezzo an (zum Thema nackt haben wir gleich noch einen Leckerbissen), wird schnell klar, dass er Real nicht wirklich seinen Stempel aufdrücken konnte. Mehr als anderthalb Saisons und 34 Spiele für die Königlichen waren nicht drin. Wenigstens flog er in der Zeit nur einmal vom Platz, trotz seines Rufes als Raubein. Warum ihn dieser Ruf zeit seiner Karriere begleitete, erklären solche Tacklings (hier im Trikot von Celtic Glasgow, zu denen er nach seiner Zeit bei Real wechselte).
Man muss aber zu seiner Verteidigung sagen, dass Gravesen sein physisches Spiel nicht nur für Grätschen eingesetzt hat. Sowohl beim FC Everton als auch in der dänischen Nationalmannschaft gehörte er zu den Säulen seiner Mannschaft. Auch beim Hamburger Sportverein, wo er von 1997 bis 2000 unter Vertrag stand, war er eine feste Größe und aufgrund seiner ehrlichen und kompromisslosen Art, Fußball zu spielen, bei den Fans beliebt. Das könnte aber auch daran gelegen haben, dass er auf sein Klingelschild „Gravesen, HSV” schrieb und einen Billardtisch in den Farben des HVS beziehen ließ.
Für die Rothosen erzielte er in 74 Bundesligaspielen sogar sechs Tore. Warum er in Hamburg den Spitznamen Humörbombe trug, lässt sich auch bei folgendem Bild ganz gut erahnen, aufgenommen während seiner Zeit beim dänischen Klub Vejle Boldklub. Bold passt bei der Aktion übrigens ziemlich gut, finden wir.
Bei Madrid wurde er als x-ter Nachfolger des großen Claude Makélélé verpflichtet. Doch er sicherte sich nicht mit taktischer Disziplin einen Platz im kollektiven Gedächtnis der Spanier, sondern durch eine TV-Sendung („El Mundo de Gravesen”), die den umringt von Edeltechnikern verstörend hölzern wirkenden Dänen gehörig durch den Kakao zog.
In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff Gravesinha entstanden. So taufte irgendein lustiger Zeitgenosse den aus einem Ausrutscher entstandenen „Trick” des Dänen im Spiel gegen den FC Sevilla. Eine unbeholfen wirkende Aktion eines unbeholfenen Spielers inmitten von Zauberfüßen, in der Gravesens „Kniescheibe, Meniskus und Kreuzband im Dienste des Spektakels stehen”, wie es der spanische Kommentator treffend formulierte.
Dank der TV-Show und dem Gravesinha wurde Gravesen zu einer (belächelten) Kultfigur bei den Königlichen. Seine unorthodoxe Spielweise sorgte in einer Zeit, wo Madrid-Fans wenig Grund zum Lachen hatten, für einige wohltuende Schmunzler. Auch wenn sich die Fans und Medien einig waren, dass der Grobschmied im weißen Ballett nichts zu suchen hatte. So nannten sie ihn in Spanien „Ogro”, menschenfressendes Ungeheuer.
Auch in der Saison 2005/06 mussten sich die Madrilenen in der Liga den verhassten Katalanen geschlagen geben. Dann kam im Sommer mit Fabio Capello ein neuer Trainer und Gravesen lieferte sich in der Vorbereitung einen Schlagabtausch mit Robinho. Und ehe er sich versah, war das Abenteuer Real Madrid beendet. Erst wurde er auf die Bank versetzt und wenig später an Celtic Glasgow abgegeben.
„Ich weiß nicht, was sie in mir gesehen haben, aber ich bin kein Verteidigungsspezialist. Ich bin kein Defensivspieler”, erklärte Gravesen bei seinem Abschied aus Madrid.
Hinter der Entscheidung, Gravesen zu holen, steckte nicht nur der Druck, endlich wieder eine nationale Meisterschaft zu holen, sondern auch die Tatsache, dass sich der Verein in der Abwehr neu erfinden musste. Schließlich hatten die Galaktischen mit Fernando Hierro (trat zurück), Makélélé (ging zu Chelsea) und Esteban Cambiasso (ging zu Inter) ihre altbewährten Abwehrpfeiler verloren. Da machte Not erfinderisch. Und diese Not—oder der Erfindungsreichtum, wenn man so will—ging so weit, dass die Verantwortlichen von Real am Ende Gravesen als Defensiv-Lösung auserkoren.
„Ich wollte mein Leben lang unter allen Umständen Fußballer werden. Als ich noch jung war, habe ich versucht, Stürmer zu werden. Das hielt an, bis ich 16 oder 17 wurde und beschloss, Profi zu werden”, erklärte der Spieler gegenüber der Zeitung El País. Vielleicht hatte Gravesens Traum von einer Karriere als Offensivspieler die Scouts von Real auf die Idee gebracht, dass der Däne mit der rustikalen Spielanlage ins Zentrum der Königlichen passen würde.
Wenigstens ein Tor konnte der Wannabe-Stürmer dann auch im Trikot von Real erzielen, und zwar im Spiel gegen RCD Espanyol. Insgesamt kam Gravesen bei seinen Klubs und in der Nationalmannschaft auf 39 Tore—eine ziemlich ordentliche Statistik für seine Position. Die ersten Buden schoss er für Vejle Boldklub—den Klub aus Dänemark, bei dem er den Sprung zu den Profis schaffte.
Dessen damaliger Trainer, Ole Fritsen, erinnert sich bis heute an seinen ehemaligen Schützling: „Manchmal musste ich ihn im Training vom Platz holen, weil er so aufgedreht war, dass er ständig seine Mitspieler anschnauzte und Gesten machte, als ob er ihnen gleich die Beine brechen würde.”
Am Anfang seiner Zeit in Madrid musste der Däne noch auf der Bank Platz nehmen. Später wurde er dann Zeuge, wie Florentino Pérez zurücktrat und von Ramón Calderón abgelöst wurde.
„Am Anfang habe ich mich gefragt: ‚Was machst du überhaupt hier?’. Jetzt erwarten mich bestimmt viele taktische Vorträge”, erinnerte sich Gravesen Ende 2005. Um selbst noch besser zu werden, erinnerte sich Gravesen jeden Tag daran, dass seine Mitspieler unter anderem Beckham, Raúl, Zidane und Ronaldo hießen.
„Die bloße Vorstellung, mit diesen Kerlen zusammen zu spielen, fand ich unglaublich aufregend. Ich habe versucht, ihnen zu zeigen, wer ich bin, damit sie mich gut aufnehmen. Ich habe mich geöffnet, damit sie sehen konnten, dass ich der Typ mit dem schmutzigen Humor bin, der gleichzeitig ein seriöser Fußballer ist”, so Thomas über seine Beziehung zu den anderen Galaktischen.
Über Celtic nach Las Vegas
Nach seiner Zeit bei Celtic Glasgow, wo er die einzige Meisterschaft seiner Karriere feiern konnte, und einer kurzen Ausleihe an Everton hängte Gravesen mit 32 Jahren seine Fußballschuhe an den Nagel. Und begann erst jetzt, das ganz große Geld zu verdienen, wenn man der dänischen Zeitung BT Glauben schenken kann.
Der Ex-Spieler soll nach BT-Informationen durch kluge Investments mit rund 100 Millionen Euro nach Hause gegangen sein, auch wenn später andere Nachrichtenportale berichteten, dass die Summe deutlich geringer ausgefallen sein soll.
Heute soll Gravesen mit seiner Familie in Las Vegas leben und dort einem seiner Lieblingshobbys—dem Glücksspiel (vor allem Poker, Roulette und Blackjack)—nachgehen. Manche Zeitungen wollen aber auch wissen, dass er nur die Sommermonate in Arizona verbringt. Genau scheint das keiner zu wissen. Der Mann bleibt also ein Mysterium. Genauso wie sein Transfer zu Real Madrid.