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Todesfall in Berliner Airbnb: „Merkst du noch was, hat es nicht gestunken?“

Als Bruno in Dennis’ Wohnung einzog, unterhielten sich die beiden eine halbe Stunde. „Netter Kerl”, erinnert sich Dennis*. Bruno habe in Berlin eine Stelle zum Heilpraktiker antreten wollen und sei deshalb hier hingezogen. Bis seine neue Wohnung bezugsfrei war, wollte er eine Woche in Dennis’ Airbnb-Zimmer in Prenzlauer Berg überbrücken. Es war kurz vor Silvester, alle planten zu feiern. Und dann wurde es still um die Wohnung. „Er wirkte normal”, sagt Dennis. Und zögert: „Er war halt sehr dünn.”

Dennis und seine Freundin Sarah hatten zwei Zimmer der gemeinsamen Wohnung in Prenzlauer Berg untervermietet; das eine Zimmer an einen chinesischen Studenten, das andere an Bruno, jeweils um Silvester herum. Das Paar hatte zuvor selbst in der Wohnung gelebt und ist mit den beiden Kindern in eine größere Wohnung gezogen. Die Hausverwaltung ließ die Familie nicht ohne Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist ziehen.

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Airbnb erschien den beiden als die beste Möglichkeit, um die finanzielle Doppelbelastung zu überbrücken. Die Sharing-Industrie hilft dabei, das Leben einfach und günstig zu gestalten, sodass alle einen Vorteil haben. Man kann seine Wohnung oder sein Auto vermieten. Aus Teil-Portalen wie Airbnb oder Blablacar sind längst internationale Konzerne geworden, die ihre Kunden duzen, die ein einfaches, schnelles Vorgehen versprechen. Doch die Teilkultur stößt an ihre Grenzen, wenn extreme Einzelfälle doch nur Daten ohne Gesichter im System sind. Dann steht man schnell alleine da. So wie Dennis und Sarah.

Der Typ müsste doch eigentlich schon ausgezogen sein, dachte sich Dennis über eine Woche nach Silvester. Ein erster Anruf bei Bruno: Mailbox. Ab jetzt: Immer wieder die Mailbox. Auch das Handy des Chinesen war aus. Dennis entschied hinzufahren.

„Bruno, Alter, was machst du denn?”

Schon beim Öffnen der Wohnungstür musste er damals fast brechen. Der Chinese war nicht da. Dennis stieß Brunos Zimmertür vorsichtig auf: „Bruno”? Das Licht im Zimmer war an, die Heizungen voll aufgedreht. Er sah Bruno auf der Bettcouch liegen, mit dem Rücken zur Tür. Vorsichtig lief Dennis um das Bett herum. Brunos Körper war eingerollt, sein Gesicht eingefallen, die Augen offen. „Sein Blick war ängstlich.” Dennis bekam Panik: „Ich habe geschrien: Bruno, Alter, was machst du denn?” Was danach geschah, weiß Dennis nicht mehr genau, er glaubt, er hat die Fenster aufgerissen.

„Nachts wenn ich durch die Wohnung lief, hatte ich immer Brunos Leiche vor Augen”

Zuerst kam die Feuerwehr, dann die Polizei mit Streifenwagen, Kriminalbeamte und Gerichtsmediziner. Zuletzt der Leichenwagen. Dennis wartete auf der Straße vor dem Haus in der Nähe des Berliner Mauerparks. Er erreichte den chinesischen Studenten: „Sag mal, merkst du noch was, hat es nicht gestunken?”

Fünf Tage neben einer Leiche: Der Mitbewohner

Der Chinese will zwar einen komischen Geruch bemerkt, sich aber nichts dabei gedacht haben. „Bruno ist tot, habe ich dann gesagt.” Trotz der fünf Tage, die der Student aus Fernost Tür an Tür mit einer Leiche verbracht hatte, habe er weiter in seinem Zimmer bleiben wollen, bis der Vertrag erfüllt war, sagt Dennis. „Ich schätze, er hat Bruno bemerkt, und sich nicht getraut, die Polizei zu rufen, aus Angst, er könne verdächtigt werden.” Die Polizei versiegelt Brunos Zimmer über eine Woche. Dann kam der Tatortreiniger.

Dennis und seine Freundin Sarah meldeten sich am nächsten Tag bei Airbnb. Schon da war klar: Der Todesfall wird auch ins Geld gehen. Die Möbel in Brunos Zimmer mussten in den Müll, das Zimmer konnte nicht mehr untervermietet werden. Dennis und Sarah konnten nach dem Vorfall nur noch wenig arbeiten, sagen sie. Auch die Kosten für den Tatortreiniger musste das Paar übernehmen: Über 1500 Euro. Insgesamt lag der Schaden bei rund 3500 Euro, sagt Dennis.

Bei Airbnb erreicht das Paar mit dem ersten Anruf eine „überaus freundliche und einfühlsame Amerikanerin.” Alles sei kein Problem, hieß es: Das Unternehmen habe den Fall aufgenommen und Sarah, die bei Airbnb angemeldet ist, mitgeteilt, dass man für den Schaden selbstverständlich in vollem Umfang aufkommen werde, erzählt Dennis. Airbnb tut die ganze Sache leid: „Wir waren traurig von diesem Vorfall zu hören und unsere Gedanken sind bei der Familie des Gastes”, schreibt Isabelle von Witzleben, Pressesprecherin des Unternehmens auf Anfrage von Motherboard.

Eukalyptusblätter gegen die Erinnerung

Der Ort an dem Bruno gestorben ist, nachdem Dennis das Zimmer aufgeräumt, gereinigt und die Möbel entsorgt hat. Bild: Motherboard

Laut Gerichtsmedizin sei Bruno am Donnerstag nach dem Silvesterwochenende verstorben, erst am Dienstag danach ist Dennis hingefahren, sagt er. Die Todesursache ist offiziell noch unklar. Brunos Schwager kam einige Tage nach dem Leichenfund nach Berlin, er holte Brunos Reiserucksack ab und suchte nach seinem Auto in der Nachbarschaft. Dennis erzählt er, dass Bruno unter Zwängen und Ängsten litt. Er sei magersüchtig gewesen. Brunos Schwager vermutet, dass Bruno nach seiner Ankunft in Berlin nichts mehr gegessen hat.

Während Dennis erzählt, steht er in der Küche der Wohnung, in der es passierte. Er trägt schulterlange Haare, eine Arbeitshose, er raucht und zerlegt Schränke in seine Einzelteile. Die Wohnung ist mittlerweile fast komplett geräumt, in Brunos Zimmer steht nur noch eine Schale, in der Eukalyptus-Blätter liegen. Die Fenster sind weit geöffnet. Wären sie zu, würde es nach fünf Minuten wieder riechen.

„Nachts wenn ich durch die Wohnung lief, hatte ich immer Brunos Leiche vor Augen”, sagt Dennis. Jetzt sitzt er im Zimmer, das zuletzt vom Chinesen bewohnt wurde. Nochmal in der Wohnung sein, wühlt auf. Dennis hat die Loveparade in Duisburg überlebt, damals sei er an dem Tag des Unglücks barfuß durch NRW gefahren, seine Schuhe habe er im Gedränge der Panik verloren. Jetzt diese Sache. Dennis und Sarah sind selbstständig und kommen knapp mit den Kindern über die Runden, dann die Doppelbelastung mit den beiden Wohnungen. Und jetzt der tote Bruno. Sarah habe sich gar nicht mehr in die Wohnung getraut.

Airbnb reagiert mit automatisierten Aufforderungen

Von Airbnb konnte das Paar offenbar keine Hilfe erwarten. Denn nach dem ersten Anruf war Funkstille auf Seiten der Mietplattform. Sarah und Dennis riefen immer wieder in der ersten Woche nach dem Todesfall bei Airbnb an, um den Schaden zu klären. Dennis fuhr sogar zum Firmensitz in Berlin Mitte. Ohne Ergebnis. „Wir haben vermutet, dass die uns zu viel versprochen haben.” Es gab keinen Ansprechpartner, keine Durchwahl. Auf Mails folgten erst nach Tagen Antworten voller Schreibfehler, als seien sie von Bots formuliert. Es gab nie Zusagen, immer nur „Eventualitäten”.

„Die haben immer Hundert Euro weniger berechnet, als wir belegen konnten.”

Schließlich landet auch noch jene Nachricht in Sarahs Postfach, die Airbnb täglich automatisiert an hunderte Nutzer verschickt: „Auch wenn es nur ein kurzer Aufenthalt war, sind deine Erfahrungen mit Bruno von Bedeutung. Darum hoffen wir, dass du dir einen Moment Zeit nimmst, um dein Feedback zu geben.” Es ist die automatisierte Aufforderung, eine Bewertung abzugeben. Die Sterne-Wertungen sind für Airbnb essentiell, um als vertrauenswürdige Plattform wahrgenommen zu werden. Dass es beim Mietverhältnis von Bruno und Sarah einen tragischen Zwischenfall gab, scheint bei Airbnb noch immer nicht angekommen zu sein.

Auf diese Vorwürfe des Paares geht Airbnb auf Anfrage nicht ein. Nur: Airbnb habe ein Team damit betraut, den Umgang mit diesem Fall vollständig zu überprüfen. Und: Airbnb habe die Vermieter im Rahmen der firmeneigenen Gastgeber-Garantie unterstützt. Angeblich habe Airbnb dabei „mit dem Gastgeber Kontakt aufgenommen, um unsere Unterstützung anzubieten”. Auch auf Rückfrage von Motherboard liefert Airbnb keine Belege für diesen Kontakt mit Dennis und Sarah bis Redaktionsschluss.

Die Gastgeber-Garantie ist ein wichtiges Feature von Airbnb. „Entspann dich”, bewirbt Airbnb die Garantie in einer Kurzbeschreibung. Die Versicherung soll Mieter und Vermieter absichern. Nutzer sollen sich beim Buchen und während ihrer Reise keine Sorgen machen und sich auf der Seite genauso sicher aufgehoben fühlen, wie bei großen Hotelketten. Die Plattform teilt auf unsere Anfrage allgemein mit: „Für den unwahrscheinlichen und seltenen Fall, dass ein Gast oder ein Gastgeber jemals ein Problem hat, steht unser globales Trust & Safety Team (…) bereit.” Dabei handelt es sich – nach eigenen Angaben – um 600 Mitarbeiter, darunter ehemalige Strafverfolgungsbeamte, die rund um die Uhr und in jeder Zeitzone die Gemeinschaft schützen sollen. Nutzer, die sich nicht an die Regeln halten, sollen dauerhaft von der Plattform ausgeschlossen werden. Gemeint sind hier wohl in erster Linie Fälle von Vandalismus und Diebstahl, bei denen Vermieter entschädigt werden müssen.

Wer trägt die Kosten? Würdeloses Feilschen und eine Garantie ohne Garantie

Die Gastgeber-Garantie umfasst Schäden bis zu 800.000 Euro. Sie funktioniert wie eine gewöhnliche Versicherung, sagt Airbnb-Sprecherin Isabelle von Witzleben: Schäden müssten gemeldet, Belege geprüft werden. Aber: Diese Garantie ist freiwillig, sie basiert auf der Kulanz von Airbnb, sagt Witzleben. Das bedeutet, der Konzern ist nicht automatisch verpflichtet, Schäden zu begleichen und Kunden können auch nicht darauf klagen.

Dennis sagt, er und Sarah hätten gemerkt, wie geschult die Kundenberater darin seien, sie hinzuhalten. „Ich dachte, dass Airbnb bei so einem Fall mal anruft und fragt, ob sie was für uns tun können. Es stirbt doch nicht jeden Tag einer ihrer Kunden.” Oder? Vorfälle wie dieser seien extrem selten, schreibt Airbnb. Wie viele tote oder verletzte Kunden es genau gab, will der Konzern nicht verraten. Wer im Internet sucht, findet jedenfalls keine Todesfälle, und so ist dies wohl der erste bekannte Fall dieser Art.

Erst nach über zwei Wochen habe sich Airbnb bei Dennis und Sandra gemeldet: Obwohl schon eingereicht, soll das Paar mit einer Drei-Tages-Frist Rechnungen für die Sanierung des Zimmers und den Tatortreiniger einreichen. Danach sei gefeilscht worden: „Die haben immer Hundert Euro weniger berechnet, als wir belegen konnten.” Doch das Paar blieb hartnäckig.

Nach zähen Verhandlungen bekamen Dennis und Sarah schließlich einen Teil von Airbnb erstattet, immer noch knapp Tausend Euro zu wenig. Zur Familie von Bruno pflegen sie seit dem Tod einen guten Kontakt. Aus Kulanz beteiligte sich Brunos Familie an dem aufgekommenen Schaden. „Finanziell gesehen sind wir jetzt etwa auf Plus Minus Null”, sagt Dennis. Trotzdem: Sarah hat ihren Account bei Airbnb gelöscht.

*Wir haben die Namen geändert, damit keine Rückschlüsse auf die Identität des Verstorbenen möglich sind.

Update (11. April; 11:44): In einer früheren Version dieses Textes hieß es, dass es sich um den ersten öffentlich bekannten Todesfall in einem Airbnb handelt. Präziser hätte es heißen müssen, dass es der erste in Deutschland bekannte Fall ist. Einen etwas anders gelagerten Vorfall gab es vor zwei Jahren in Texas. Wir bedauern die Ungenauigkeit und haben den Text entsprechend aktualisiert.

Update (11. April; 18:00): Nach Veröffentlichung dieses Artikels meldete sich Airbnb bei uns mit folgender Ergänzung zur Gastgeber-Garantie:  „Airbnb hat die Airbnb-Gastgeber-Garantie eingeführt, um die Gastgeber bei möglichen Vorfällen zu unterstützen. Alle Ansprüche der Gastgeber, die die Voraussetzungen der Gastgebergarantie erfüllen, sind damit abgedeckt.”