Fotografen zeigen die Momente, bei denen sie besonders nah dran waren

Robert Capa, der legendäre Fotojournalist und Mitbegründer von Magnum Photos, hat mal gesagt: “Wenn deine Fotos nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.” Damit kann er ganz unterschiedliche Sachen gemeint haben – körperliche Nähe, mentale Nähe oder die Nähe zur Geschichte, die man erzählen will. Vielleicht war es auch einfach nur eine nette Art, schlechte Fotografen loszuwerden.

Die renommierte Agentur hat den Satz jetzt einigen ihrer Fotografen als Auswahlkriterium für den “Closer”-Print-Sale gestellt, der noch bis zum 9. Juni läuft. Was heißt, nah rangehen? Und warum ist das überhaupt wichtig?

Videos by VICE

Hier sind ein paar der Fotos und das, was ihre Macher zu ihnen zu sagen haben.

Peter Van Agtmael

© Peter van Agtmael | Magnum Photos

Für mich bedeutet, “nah genug” zu sein, eine körperliche, eine emotionale und eine intellektuelle Sache.

Dieses Bild von einer sogenannten “Second Line”-Parade stammt aus einer Serie, die sich mit Ethnie und Klasse auseinandersetzt. Ich habe mir angeschaut, wie die Geschichte noch immer die Gegenwart beeinflusst.

Diese Paraden sind nach dem Bürgerkrieg entstanden. Versicherungen weigerten sich damals ehemalige Sklaven aufzunehmen, also gründeten Afro-Amerikaner wohltätige Vereine, die ihren Mitgliedern halfen, die Gesundheitskosten zu bezahlen. Mit den Beiträge wurde auch eine Band für Beerdigungen finanziert und eine jährliche Parade. Heute gibt es fast jeden Sonntag eine Parade in New Orleans.

Ich versuche, tolle Einzelbilder zu machen. Am wichtigsten ist für mich aber, wie das einzelne Foto eine umfassende, unerwartete und trotzdem stimmige Interpretation der Welt kreieren kann. Das erfordert ständig “näher dran zu gehen”.

– Peter Van Agtmael

Bruce Davidson

Subway. New York City, USA. 1980 © Bruce Davidson | Magnum Photos

1980 war die New Yorker U-Bahn heruntergekommen, gefährlich, voller Graffiti und sehr interessant. Ich machte es mir zur Aufgabe, alle 500 Stationen zu erkunden. Ich bin jeden Tag und jede Nacht zu anderen Orten im Subway-System gegangen, um Menschen zu fotografieren und mich mit ihnen zu unterhalten. Ich fing an, eine Art Tunnelblick zu entwickeln – einen Zwang, die Farben, Formen und das Leben in diesem reichhaltigen und trügerischen Umfeld zu erkunden.

– Bruce Davidson

David Alan Harvey

Kanwaka, Kansas, USA. 1969 © David Alan Harvey | Magnum Photos

Nach meiner Ausbildung bin ich für einen Job als Zeitungsfotograf nach Kansas gezogen. Mein Chef meinte zu mir, dass das allerwichtigste sei, nah an die Community zu kommen. Er hatte recht. Während ich darüber fantasierte, für Life Magazine und Magnum zu arbeiten, war meine Realität das Topeka Capital-Journal. Ich lernte, dass die am unspektakulärsten klingenden Aufträge eine eigene Magie entfalten konnten, wenn du ein offenes Herz und ein Auge wie ein Adler behältst. Als ich über den Polizeifunk hörte, dass der Kanwaka Store in Flammen stand, schien das erst mal keine große Sache zu sein. Aber Magie gibt es fast überall. Solche Sachen kannst du einfach nicht erfinden.

– David Alan Harvey

Constantine Manos

© Constantine Manos | Magnum Photos

Ich habe das Bild 1997 in Daytona Beach, Florida, während der Bike Week gemacht – einer jährlichen Veranstaltung, die tausende Motorradfahrer für eine Woche Ausschweifungen anzieht. In dieser Woche war der weitläufige Strand von Daytona mit Autos befahrbar. Diese Mädchen jubelten den vorbeifahrenden Autos von der Ladefläche eines Pick-Ups zu. Ich wartete mit meinem Weitwinkelobjekt direkt neben ihnen darauf, dass ein grellfarbiges Auto vorbeikommt. Und siehe da, es kam alles zusammen. Es war eine Mischung aus “näher dran” und dem “entscheidenden Moment”.

– Constantine Manos

Chris Steele-Perkins

The Teds. Großbritannien. 1976 Teds © Chris Steele-Perkins | Magnum Photos

Das hier war physische Nähe. Allerdings hat meine Leica M 35mm-Linse auf die kurze Distanz nicht scharfgestellt und der Vordergrund ist deswegen ziemlich unscharf. Mental war ich nicht nah dran. Ich hatte diese jungen Männer davor noch nie gesehen und insgesamt nur zwei Fotos von ihnen gemacht.

Wen du allerdings etwas Zeit mit diesem Bild verbringst, genau hinschaust, zieht es dich rein. Das ist ein sonderbares Gefühl, selbst für mich heute noch. Es suggeriert, dass Nähe auch auf den Betrachter zutrifft. Die meisten Menschen in der Instagram-Welt verbringen sehr wenig Zeit mit einer Menge Fotos. Aber sich einem Foto zu nähern, Zeit zu investieren, macht die guten noch spannender.

– Chris Steele-Perkins

Alex Webb

Cotton Candy. Oaxaca, Mexico. 1990 © Alex Webb | Magnum Photos

Mehr als 40 Jahre fotografiere ich schon in den Straßen von Mexiko und es gibt eine bestimmte Stadt, der ich mich besonders nah fühle: das luftige, lebendige und poetische Oaxaca. Jedes Mal, wenn ich diese mysteriöse Stadt im Süden fotografiere, entdecke ich eine neue versteckte Gasse, ein neues obskures Festival und, überraschenderweise, etwas Neues über mich.

– Alex Webb

Ferdinando Scianna

Christlicher Kämpfer im Libanesischen Bürgerkrieg. Beirut, Libanon. 1976 © Ferdinando Scianna | Magnum Photos

Während der heftigen Auseinandersetzung zwischen Christen und Palästinensern im Beirut der 1970er war ich beeindruckt davon, dass religiöse Bilder von Heiligen und Madonnen oft an den Gewehren von christlichen Kämpfern angebracht waren. Jeder Grund ist gut genug für Menschen, sich gegenseitig umzubringen.

– Ferdinando Scianna

Abbas

Teheran, Iran. 25. Januar, 1979, © Abbas | Magnum Photos

Teheran, 1979. Der Schah hat das Land verlassen, Khomeini ist eingetroffen. In ein paar Wochen wird er triumphieren. Junge Revolutionäre lynchen eine Frau, die sie für eine Unterstützerin des Schahs halten. Ich laufe rückwärts so schnell wie der Mob, drücke auf den Auslöser.

Später, als ich meine Kontaktbögen betrachte, muss ich an Capas ikonisches Foto von der Französin am Ende des Zweiten Weltkriegs denken. Sie trägt das Baby eines deutschen Soldaten, wird von Menschen eskortiert und ihre Haare sind zur Strafe abrasiert.

– Abbas

Bruce Gilden

Friedhof. Port-au-Prince, Haiti. 1988 © Bruce Gilden | Magnum Photos

“Wenn deine Fotos nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.” Robert Capas Worte sind mein Mantra geworden.

Als ich 1984 zum ersten Mal nach Haiti gereist bin, ist mir sofort aufgefallen, dass es dort jeden Abend Beerdigungsprozessionen gab. Ich fing an, sie zu fotografieren, ohne zu wissen, wie das bei den Menschen ankommt. Die Leute schienen sich nicht zu stören. Je mehr Prozessionen ich besuchte, desto näher ging ich ran. Diese Foto ist eins meiner besten.

– Bruce Gilden

Magnum’s “Closer” square print sale läuft noch bis zum 9. Juni, 2017, Mitternacht. Unterschriebene und zertifizierte Drucke in Museumsqualität von über 70 Künstlern gibt es bei shop.magnumphotos.com.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.