Der Autor mit dem Flyer der “HALF-LIFE”-Party: einer Pille. Fotos: Tereza Mundilová
“Trance, gibt es das noch?!” “Du meinst Goa, oder?” “Wer veranstaltet denn solche Partys?” Ich stehe mitten auf einem Geburtstag unter ein paar der ausgeherprobtesten Menschen, die Berlin in den 90ern gesehen hat. Leute, die in jedem Club waren, von dem heute in den Geschichtsbüchern zu lesen ist. Trance, da sind sich alle einig, ist seit Jahren durch. Dachte ich auch, bis ich im Programm des kleinen, aber feinen Clubs ACUD “HALF LIFE” entdeckte. Der Ankündigungstext liest sich kurz und knapp wie folgt: “#TRANCE”, dazu ein Programm mit Namen wie Dario X und Acid Andy. Allein die Irritation fixt mich genug an, um von der Feier auf meine erste Trance-Party weiterzuziehen.
Trance. Schnelle mal harte, mal abgerundete Beats; weite Flächen; schwerelosigkeitinduzierende Melodien. Für Letztere wurde gerne auch mal auf Delphingesänge zurückgegriffen und bei dem Begriff muss ich ohnehin erstmal an all die Videos denken, in denen diese freundlichen Meeressäuger durch hellerleuchtete Acid-Welten schnellen.
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Mit Trance sind EDM-Stars wie Armin van Buuren oder Tiësto groß geworden. Ihre heutige Musik hat allerdings nur noch in Auszügen etwas mit diesen Ursprüngen zu tun. Der ganze Zirkus hat sich im Gegenteil sogar so weit von diesen entfernt, dass sich Trance-Veteran Gareth Emery vor einem Monat genötigt sah, die ganzen Helden der EDM Bros einmal schön als CVNT5 zu persiflieren.
Gleichzeitig blüht Trance schon seit ein paar Jahren als zartes Mauerblümchen der elektronischen Musik wieder auf. Künstler wie Helena Hauff, Ana Caprixoder Uio Loi haben zwar nie direkt Trance gemacht, sich aber immer wieder bei unterschiedlichen Elementen der Ästhetik bedient. Wenn du aber nach waschechten Trance-Partys im Netz suchst, findest du, zumindest in der vermeintlichen Partyhaupstadt, abgesehen von ein paar vergangenen Auftritten alter Ikonen nichts. Außer eben “HALF-LIFE”.
Treffpunkt Rosenthaler Platz. Hoch zum ACUD, durch den Weinbergpark, vorbei am Kino. Der kleine flache Club belebt aktuell den alten und toten Ausgehbezirk Mitte wieder und sorgt dafür, dass sich auch mal Leute aus Kreuzberg und Neukölln hierher verirren. Eine Frau mit neonblauem Pagenkopf huscht an uns vorbei. Richtig, da war ja noch was: Trance steht auch für die farbenfrohsten aller farbenfrohen Raverkostüme. Die Frau wird sich später als die Freundin von Acid Andy herausstellen, der mit einem ebenfalls knallbunten, leicht an eine Batik-Explosion erinnernden Shirt aus der Menge heraussticht.
Am Eingang werden erstmal Pillen verteilt, rot-weiße Pillen, die allerdings keinerlei Wirkstoff enthalten, sofern du den sorgfältig eingerollten Miniflyer zur Party nicht als solchen betrachtest. Ich rate vom Zellulosekonsum aber ab. Mehrere Lavalampen stehen herum, auch direkt am Türtresen, an dem Max sitzt und grinst. Er ist einer der vier Organisatoren heute.
Das “HALF-LIFE”-Team meint es ernst. Trance wird hier für voll genommen und nicht als weitere Ironiebespaßung für Berliner Hipster zugeschnitten. Vor einiger Zeit war Max mal für eine Reportage auf einer Party in Frankfurt, wo sich Trance bis heute wacker gehalten hat. Der Sound ließ ihn spätestens seit dieser Reise nicht mehr los. Am Neujahrsmorgen diesen Jahres saß er dann mit Norman, einem seiner drei Partner in der Küche und hörte ein Set von Cold Blue, für den er damals in Frankfurt war. “Die Musik hat uns so euphorisiert, dass wir dachten, guten Trance müsste es unbedingt auch in Berlin geben.”
Als sie ein paar DJs von ihrem Plan zur Party erzählten, waren Norman und Max überrascht, wie viele eine heimliche Leidenschaft für Trance hegen. Darunter auch Linda Lee und Gabia D’Jora. Die beiden sind DJ-erfahren, spielen heute allerdings ihr erstes Trance-Set überhaupt. Linda ist über Makina, den Proto-Trance, zu dieser Musik gekommen. Mit Gabia vereint sie ihre Begeisterung für den Zac-Effron-EDM-Film “We Are Your Friends“, der sie, laut eigener Aussage, “sehr inspiriert” habe. Ebenso wichtig wie Trance sei für die beiden aber auch Contemporary R’n’B. Schließlich gehen sie immer gemeinsam ins Fitnessstudio und Linda meint, dass ihrem Eindruck nach dieser “teilweise bereits in Gedanken an die Fitnessstudiobesucherinnen geschrieben wird.”
“Aber auch Trance ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Gym-Kultur—als Soundtrack zu Spinning, Aqua-Kursen oder anderen Workouts”, fährt Linda fort. “Wir sind gemeinsam in einen Body Combat Kurs gegangen, in dem die Trainerin großartige Computerspielmusik und Hardstyle Trance aufgelegt hat. Unsere Augen trafen sich und wir erkannten beide sofort, dass genau das die Musik ist, die wir gerne beim Ausgehen in Berlin hören würden.” Die Trainerin musste sie derweil daran erinnern, dass ihr Kurs kein Tanzkurs sei.
Während ihres Sets werden die beiden von einer Freundin angefeuert, die immer wieder eine richtige Lufthupe durch den niedrigen Raum tönen lässt. Diplo kann einpacken und ich bin längst nahe der sprichwörtlichen Trance. Dass ich mal zu “Frozen Flame” von Jeckyll & HYDE tanzen würde, hätte ich mir jedenfalls bis vor Tagen noch nicht gedacht. Jetzt denke ich ohnehin gar nichts mehr. Viele von Linda und Gabias Tracks haben Vocalsamples, besonders weibliche, die von den DJs bewusst so ausgewählt wurden und von der Crowd euphorisch mitgesungen werden. Der Höhepunkt ihres Set ist allerdings ihr “Fraternity” getaufter Trance-Remix von The Weekends “The Hills”, den sie gemeinsam noch vor der Party produziert haben. Dieser Moment war “magisch”, schreiben sie mir am nächsten Tag auf Facebook.
Um zu testen, dass Trance vielleicht wirklich die beste Welt der Musik ist, sei es auch nur für einen Abend, findet nebenan ein Geburtstag statt. Gut, dass es ein Geburtstag ist, wissen wir erst, nachdem wir das “Geschlossene Gesellschaft”-Schild ignoriert haben und plötzlich auf einer Tanzfläche zwischen ein paar Abiturienten stehen, die zu Rihanna und Drakes “Work” tanzen. Guter Beat, keine Frage, du kommst du gut rein, aber unsere Körper sagen uns sofort, dass das heute nicht das Wahre ist. Von Trance gibt es kein zurück.
Wieder zurück auf der richtigen Party rede ich mit Soraya, einer Kollegin aus Amsterdam, die gerade als Jurymitglied des Berlin Community Radio Incubators in der Stadt ist. “Es ist verrückt”, übertönt sie ein kurzes Break, “in Holland könnten wir das niemals spielen. Die Leute würden das für viel zu kommerziell halten. In Amsterdam wollen alle nur den Berlin Sound.” Wenige Momente später läuft der Remix, den Armin van Buuren vom Game-of-Thrones-Intro angefertigt hat. Auch die russische Lesbenduoshow t.A.T.u. taucht im Trance-Treatment ihres Stücks “All The Things She Said” auf.
Am meisten stechen aber Songs wie Alice Deejay “Better Off Alone” oder “Sandstorm” von Darude heraus. Norman von “HALF-LIFE” und ich blicken uns etwas ungläubig auf der Tanzfläche an. Tanzen wir gerade wirklich zu dieser Musik? Es ist, als ob nun endlich, einmal erwachsen, all diese Tracks, die uns damals über Bravo TV und Co in den 90ern als Kinder verfolgt haben, genießen können. Das hier ist endlich eine 90er-Jahre-Party, auf die auch ich gehen würde. Sowieso ist alles ein großer Spaß. “Trance ist inclusive und nichtexclusive und so sind auch wir”, findet DJ Dario X. Die Nacht endet so flexibel, wie sie sich die ganze Zeit ohnehin gegeben hat: auf 150 BPM, Italo Hardcore. Die Lavalampen können längst nicht mehr mithalten.
Draußen graut der nächste Tag. Unsere Finger fahren durch die zarten Blüten japanischer Kirschbäume. Die gedrückte erschöpfte Stille eines Sonntagmorgen in der U-Bahn lächeln wir seelig weg. Zu Hause suche ich zum Runterkommen “The Way I Feel” von Doss raus, eine zwei Jahre alte Pop-Trance-Produktion aus New York. Die Morgensonne scheint durch das transparente Vinyl, während ich von den Grenzen der Nacht zurückkehre. Ohne Musik, besser: ohne Trance, wäre die Welt ein mieserer Ort. Das kann ich spätestens jetzt mit Sicherheit sagen.
Dieser Artikel ist vorab auf THUMP erschienen.
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