Trashen statt Fashion: Kampf dem Modezirkus

Die letzten abgefallenen Etiketten wurden zusammengefegt, koksende Models aus den Toiletten verscheucht: Das größte Mode-Tam-Tam Deutschlands, die Berliner Fashion Week, ist mal wieder vorbei. Mit der Fashion Week verließen auch der Planenverschlag am Brandenburger Tor und natürlich auch die internationalen Promis, die bei Modenschauen stets in der ersten Reihe sitzen und die Models anglotzen, die Stadt.

Eigentlich ist es ziemlich verwunderlich, dass das größte deutsche Mode-Event zweimal jährlich einfach so, ohne großen Boykott, über die Bühne geht. Schließlich verändert sich von Jahr zu Jahr nichts, absolut gar nichts. Die allgemeinen Produktionsbedingungen sind immer noch miserabel, weiterhin wird die Umwelt in Billiglohnländern rücksichtslos verseucht, die Designer setzen immer noch auf Püppchenmaße und es sitzen stets die gleichen, kosmetisch behandelten Gesichter in den Zuschauerreihen. Wo sind die ethisch vertretbaren und umweltverträglichen Modealternativen?

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Laut den Veranstaltern der Fashion Week findet man sie hier: bei der Eco Fashion, der grünen Seite der Berliner Fashion Week. Parallel zu den ganz großen Shows im Zelt von Mercedes Benz fand deshalb die Ethical Fashion Show, der green showroom und rund 25 weitere kleine Modenschauen statt. Alle im Zeichen von Fair Trade und sozial-verträglichen Produktionsbedingungen. Das ist auf den ersten Blick erfreulich.

Die ganz Großen, die den Markt regieren, und die Mehrheit der insgesamt 2.500 Aussteller spielen das Öko-Spiel jedoch nicht mit. Das können sie aber auch nicht—denn Massenware, die man in Schwellen- oder Entwicklungsländern für Hungerlöhne produzieren lässt, verdient alles andere als ein Ökosiegel. Die schmutzigen Geschäfte finden daher nicht an den Tischen mit der Biolimonade statt—sie wurden am Rand der Fashion Week gemacht, fern ab vom Blitzlichtgewitter.

Die Oberfläche der Modewelt glänzt nach wie vor. Das will uns jedenfalls die Fashion Week weiß machen. Unter den glänzenden Stoffen rottet es jedoch weiter. Sobald es in einer der Produktionsstätten brennt oder gar eine einstürzt, wie Anfang Mai in Bangladesch geschehen, will kein Modekonzern etwas damit zu tun haben. Erst als man Kleidungsstücke der Marke KiK in den Ruinen fand, gab der gleichnamige Konzern zu, dort produziert zu haben. Klar, KiK ist nicht auf den Laufstegen der Fashion Week vertreten. Aber denkt ihr, es gibt eine Art Garten Eden für die namhaften Modehersteller—ein Ort fern ab der grauen Hallen von KiK, in denen eine Nähmaschine an die andere gereiht ist?

Selbst wenn die Kleidung vom Designer höchstpersönlich zusammengenäht wurde, es gibt Zulieferer von Zulieferern, welche wiederum in undurchsichtige Netze verstrickt sind. Das hat den Effekt, dass sich alles abstreiten lässt, da man ja nicht hätte wissen können, dass Zulieferer X die Fabrik Y beauftragt hat und gerade die zufällig einsturzgefährdet war.

Eine kleine Gruppe von Menschen steht dem gesamten Modezirkus jedoch kritisch gegenüber, während Berlin dem Fashion-Week-Taumel erliegt: „Die gehören alle zurückgewichst und abgetrieben“, sagte mir am vergangenen Samstag Chris, einer von mehreren hundert Teilnehmern der BUTT X BETTER, einer kleinen Gegenveranstaltung zur Fashion Week und der parallel stattfindenden Modefachmesse Bread & Butter.

Während gegenüber, auf der anderen Seite des Brandenburger Tors, Models hypersynchron auf- und ablaufen, versammeln sich auf dem Pariser Platz diejenigen, die sich, so wie Chris, nicht dem Modediktat der großen Designer und des Farbenkartells beugen wollen. Ihr diesjähriges Motto lautet: „Lieber Kinderkacke als Kinderarbeit“. Sie wollen mit ihrem bunten und lauten Demonstrationszug Bewusstsein schaffen—für Alternativen zur Massenproduktion. Chris, zum Beispiel, trägt ein Outfit der Designerin Anita Greschak, die gerade selbst anwesend ist und natürlich weiß, woher das Garn und die Stoffe für ihre Kollektionen kommen.

Sie kämpfen gegen den „Fashion-Terror“, erklärt mir Sascha, Mitglied von Kulturersatz e.V., dem Veranstalter der BUTT X BETTER. Ihre effektivste Waffe ist das „Trashen“: „Du kannst deine alten Klamotten nehmen, sie neu zusammennähen, einen Siebdruck drauf machen—das alles ist Trashen, aus alten Kleidern neue machen“, erklärt er mir und zeigt auf sein Shirt, das er sich aus alten Fahrradschläuchen gebastelt hat. „Wenn du das drei, vier Mal gemacht hast, dann kannst du dir beim fünften Mal auch Fair Trade leisten“, sagt er.

„Es geht nicht, dass wir uns auf dem Rücken von anderen unseren Lebensstil leisten“—für ihn ist das Problem eindeutig: die Preise. Wir als Konsumenten verlangen Tiefstpreise für unsere Kleidung. Dementsprechend wird dann auch produziert—billig und rücksichtslos, sowohl für Mensch als auch Natur. Die Kleidungsstrategien der Demo-Teilnehmer kritisieren das natürlich auf eine sehr plakative Art und Weise. Doch wie sonst kann man für etwas, das allbekannt ist und trotzdem verdrängt wird, Aufmerksamkeit erregen.

„Ich finde es sehr schade, dass Teebeutel eine Lebensdauer von 3 bis 6 Minuten haben, um danach weggeschmissen zu werden. Ich habe irgendwann angefangen, Teebeutel zu sammeln und irgendwann hatte ich eine große Kollektion“, sagt Sandra. Ihr Teebeutel-Outfit sieht nicht nur interessant aus, es riecht auch gut. Es hat allerdings einen Nachteil: „Wenn man die Beutel sehr lange im Keller stehen lässt, kommen irgendwann die Ratten.“

Sandra arbeitet als „Do-It-Yourself-Freak“ im Tauschladen des Kulturlabors „Trial & Error“. Dort bastelt sie dann auch an anderen Kleidungsstücken, die nicht nur resistent gegen die Fashion Week, sondern auch gegen Ratten sind.

Scotty ist ebenfalls sein eigener Designer. Drei Jahre lang hat er Kuscheltiere gesammelt, um sich daraus eine Hose zu schneidern—„die hält mich auch im Winter warm“, sagt er. Über die Modealternativen sind sich hier scheinbar alle einig: Sammeln, Basteln, Wiederverwerten und die Ersparnisse dann wiederum in Fair-Trade-Kleidung investieren.

Mehr als vier Stunden lang bahnt sich die Parade ihren Weg vom Brandenburger Tor bis zum Tempelhofer Feld. Der Verlauf der Strecke ist strategisch geplant: Auf der Friedrichstraße, dem edlen Konsumpflaster Berlins, sorgt die „Trashionshow“ für starke Kontraste. Hier, zwischen Edelboutiquen und den großen Werbeplakaten der marktführenden Labels, treffen die gebastelte Outfits aus Lidl-Tüten, alten Kabeln und anderen, scheinbar wertlosen Materialien auf die Realität der Modewelt.

Neben den polierten Schaufenstern der Modewelt fühlen sich die Elektrobeats der drei Umzugswagen umso härter an. Überall öffnen sich Fenster und Balkontüren, viele Berliner schauen zu. Neugierige schließen sich der Parade an. Die Musik, der Spaß, die verrückten Kostüme—all das zieht die Menschen an und regt sie ganz nebenbei zum Nachdenken an.

Fernab der Parade redet Sascha mit einer Polizistin und bespricht letzte Details für die Ankunft des Umzugs am ehemaligen Flughafen Tempelhof. Erstaunlich nett und entspannt wirkt die Polizei an diesem Tag—am Rand der Parade lässt ein junger Polizist einen Basketball gekonnt auf seinem Zeigefinger kreisen. Jemand hatte ihm den Ball zugeworfen. „Man muss einfach sagen, dass dies eine der angenehmeren Veranstaltungen ist“, erzählt mir eine Polizistin im Anschluss.

Zum Ende der Parade fehlte nur noch eins—der „ALARM“. Der offizielle Song zur Demo brachte die Kritik an der Fashion Week auf den Punkt. Jeder, der mitgezogen war, wenn auch nur aus Spaß an den schrägen Outfits oder der Musik, fing nach diesem Song an, die Anzahl der Fair-Trade-Stücke in seinem Kleiderschrank zu zählen. Ich realisierte, dass ich keine einzige sozialverträgliche Klamotte besitze. Das wird sich ab sofort ändern, wenn auch nur langsam und Stück für Stück.