Mittwoch, 6. Dezember, 18:06 Uhr: Die Bahn hält einige hundert Meter vor dem S-Bahnhof Hermannstraße, als ob der Fahrer in Erwartung der Menschenmassen zur Sicherheit die Lage abchecken will. Einen ganzen Zug wollten Fastfood-Fans am Nikolaustag zum Feierabendverkehr füllen, damit drei Stunden lang um Berlin fahren und gemeinsam Döner essen. Fast 700 Menschen hatten sich bei Facebook angemeldet. Die Deutsche Bahn hat deswegen zwei Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst an die Bahnsteigkante geschickt, die Polizei drei uniformierte Beamte. Auch zwei Fernsehteams, Radio-Journalistinnen und letztendlich der Fotograf und ich positionieren uns mit hohen Erwartungen am Gleis.
Wir sahen die Chance für eine Geschichte: Wie würde die ohnehin nicht für ihre Harmoniebedürftigkeit bekannte Berliner S-Bahn-Klientel auf die Döner-Rundfahrt reagieren? Sollte man Promis beim nächsten Dschungelcamp statt in einen mit Kakerlaken gefüllten Sarg in einen Waggon voller rülpsender Fleischesser sperren? Oder würde die Bahn-Security den Flashmob schon lange vor dem ersten “Schulz!” auflösen?
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Aber Facebook-Veranstaltungen sind wie Überraschungs-Eier, du weißt nie, ob du endlich die letzte Figur für deine Nilpferd-Sammlung bekommst oder doch nur ein 25-teiliges Plastik-Auto. Als die Bahn einfährt, schlendern nur etwa 30 Leute mit ihren Brottaschen in einen fast leeren Waggon.
18:07 Uhr: Die Türen der S-Bahn schließen, das Signal wird vom Lärm der Gruppe übertönt. Dafür, dass nur ein Bruchteil der Teilnehmer tatsächlich gekommen ist, ist es erstaunlich laut. Sie rufen “Döner is(s)t das Volk” und “Döner für Jesus Christus”. Die dönerlosen Mitfahrenden starren gleichgültig auf ihre Handys. In den Gesichtern der umherstehenden Journalisten macht sich Enttäuschung breit.
“Die Idee ist aus Spaß und Hunger entstanden”, hatten mir die Veranstalter am Vortag des Events über ihre Facebook-Seite “Hab ich Glück” geschrieben. “Es ist weitaus mehr als schnöde Provokation, es ist eine Kunstaktion mit politischem Hintergrund.” Doch so wirklich politisch scheint es nicht zu sein, es wirkt, als machten sie sich über meine Reporterfragen lustig: “Wir thematisieren Massentierhaltung, Massenbeförderung, den schlechten Service der Bahn, den Leistungsdruck der Gesellschaft und den Pro-Kopf-Aluminium-Verbrauch.” Außerdem ginge es um einen Protest gegen ein mögliches Döner-Verbot und die Toleranz in der Ringbahn. “Manche von uns finden die Sache selbst albern und nehmen sie nicht für voll”, schreiben sie. In der Bahn erzählt einer der Veranstalter einem Fernsehteam, zwei Gruppenmitglieder hätten sich betrunken gefragt, ob sie mit ihrem Döner in die Bahn einsteigen können – und nach dem Ausnüchtern ein Fake-Event erstellt, das sich verselbstständigt habe.
18:13 Uhr: Fake-Event hin oder her, wir Journalisten sind da, und wir wollen kauende Münder voller Knoblauch-Sauce sehen. Ein schwieriges Unterfangen, weil auf zweieinhalb Döner-Fans mittlerweile ein Kollege kommt, der mit seinem Mikrofon leicht panisch umherläuft und nach guten Zitaten sucht. Auch ich: “Warum seid ihr hier?”, frage ich ein Pärchen, etwa Anfang 50. Der Typ knüllt Alufolie und fettgetränktes Döner-Papier zu einer Kugel. “Weil es Spaß macht und wir Döner mögen“, sagt er. Hinter mir rülpst jemand kräftig.
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Der Journalist Stephen Lebert schrieb einmal, dass unser Beruf der tollste der Welt sei, weil wir Geschichten erzählten. Dass das Ringbahn-Dönern keine Geschichte war, wird mir schon vor dem ersten Halt klar. Statt in einem historischen Fast-Food-Flashmob finde ich mich in einer Gruppe wieder, die auch ein Abschlussjahrgang auf Klassenreise sein könnte – mit dem Unterschied, dass sich die restlichen Bahnreisenden in diesem Fall ausnahmsweise nicht über Geruch und Lautstärke aufregen. Und während um mich herum ein paar Dutzend Menschen mit Döner-Mundgeruch zischend ihre Bierflaschen öffnen, finde ich mich vor einer wichtigen Frage wieder: Lohnt es sich, über diese absurde Situation zu schreiben – nur, weil ich sie am Vormittag in der Redaktion groß angekündigt hatte?
18:31 Uhr: “Hast du schon aufgegessen?”, fragt mich eine Reporterin des rbb. Sie schaut mich dabei so eindringlich an, wie es früher nur meine Mutter gemacht hat, wenn ich zum Nachtisch übergehen wollte, bevor mein Teller leer war. Der Kameramann stellt sich neben mir auf. Ein Mann mit Brille schluckt gerade seinen letzten Bissen runter und antwortet für mich: “Sie macht hier das Gleiche wie du.” “Das ist so bei Facebook-Veranstaltungen”, sagt seine Begleiterin zu mir, “alle sagen zu, keiner kommt.” Das Fernsehteam grast das Abteil weiter nach einer Geschichte ab.
Es wäre schön, wenn sich Geschichten besser planen ließen. Wenn Journalisten im Voraus wüssten, wann Donald Trump seinen nächsten wahnsinnigen Tweet absetzt, WhatsApp ausfällt oder eine Veranstaltung sich als weniger spannend herausstellt als gedacht. Weil dem nicht so ist, fahren wir am Mittwoch nicht selbst in den Feierabend, sondern mit Dönern in der Berliner Ringbahn im Kreis. Denn manchmal sind es Deadlines und Abgabedruck, die Geschichten rechtfertigen – und nicht die Geschehnisse selbst.
18:46 Uhr: Wir steigen in Wedding aus, um weitere Döner-Fahrer aufzusammeln, ein Teil der Gruppe spaltet sich ab. Eine Journalistin fragt nun eine Teenagerin, was sie über Phosphate in Dönerfleisch und das mögliche Döner-Verbot denkt. Das ist das Stichwort: Es hat sich ausgedönert. Unser Fotograf und ich entscheiden, die Bahn in die entgegengesetzte Richtung nach Hause zu nehmen. Sie fährt pünktlich ein. Immerhin etwas, das an diesem Abend nach Plan läuft.
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