Seit 2017 ist in Deutschland PrEP zugelassen – ein Medikament zur HIV-Prophylaxe. Für rund 40 Euro monatlich können sich Menschen seitdem weitestgehend vor einer Infektion schützen – auch ohne Kondom. Ab September werden die Kosten für das Medikament von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen – allerdings nicht für jeden. Um PreP umsonst zu bekommen, muss man zu einer der folgenden Gruppen gehören:
- Homosexuelle Männer.
- Transpersonen, die entweder in den letzten drei Monaten Analsex ohne Kondom hatten, es in nächster Zeit planen oder in den letzten zwölf Monaten eine Geschlechtskrankheit hatten.
- Menschen, die Sex mit einem HIV-positiven Partner oder einer Partnerin ohne antiretrovirale Therapie haben – sprich, deren Infektionsrisiko nicht gleich Null ist.
- Menschen, die Drogen nehmen und dabei keine sterilen Nadeln nutzen.
- Personen, die ohne Kondom mit Leuten schlafen, bei denen eine HIV-Infektion wahrscheinlich ist. Dazu gehören Menschen aus Ländern, in denen HIV stark verbreitet ist, und Menschen mit “risikoreichen Sexualpraktiken”.
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VICE hat mit einem Arzt, einem Apotheker, einem Konsumenten und einem Mitarbeiter der Anlaufstelle Checkpoint BLN über PrEP, die Kostenübernahme und die Frage gesprochen, warum man trotzdem nicht auf ein Kondom verzichten sollte.
Frank Reißmann, 57, Apotheker in Berlin: “Ein Kunde nannte das mal ‘angstfreien Sex’.”
Wir müssen einfach die Infektionsrate senken. Wir haben das 90-90-90-Ziel. 90 Prozent sollen von ihrer Infektion wissen. 90 Prozent von ihnen haben den Zugang zu Medikamenten. Und bei wieder 90 Prozent schlägt die antiretrovirale Therapie so an, dass sie nicht mehr infektiös sind. Ich finde es wichtig, dass Menschen durch die Einnahme eines Medikamentes die Möglichkeit haben, sich nicht anzustecken. Ein Kunde nannte das mal “angstfreien Sex”.
Die preiswerteste Variante kostet 40 Euro. Es gibt aber unterschiedliche Hersteller. Je nach Krankenkasse wird es in Zukunft unterschiedliche Rabattpartner geben. Das Problem ist, dass manche dieser Partner momentan Lieferengpässe haben. Ich bin wirklich gespannt, wie das laufen wird. Ich versuche natürlich, immer die passenden Medikamente da zu haben, aber laut Großhandel sieht das momentan nicht gut aus. Die Apotheken stürzen sich gerade auf die Medikamente. Ich habe täglich zehn bis zwanzig Kunden, die sich die PrEP holen – primär Männer.
Ich finde es richtungsweisend, dass PrEP jetzt von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Den Menschen geht es heutzutage mit der HIV-Therapie gut. Trotzdem handelt es sich bei HIV um eine chronische Krankheit, die wir noch nicht heilen können.
In der Szene entsteht momentan jedoch ein Druck auf Menschen, die nicht auf PrEP sind. Es kann also gut sein, dass Menschen in Zukunft PrEP nehmen, um überhaupt einen Sexualpartner zu finden – obwohl sie eigentlich nicht täglich ein Medikament nehmen möchten.
Claus, 24, Student und PrEP-Nutzer aus Frankfurt am Main: “Ich habe einfach lieber Sex ohne Kondom.”
Mein Freund ist HIV-positiv – allerdings nicht infektiös. Er hat mich aufgrund seiner Geschichte bei dem Thema PrEP bestärkt. Ich nehme PrEP seit Februar 2018. Seitdem bin ich sexuell aktiver als vorher. Ich habe einfach lieber Sex ohne Kondom. Jetzt bin in einer offenen Beziehung, hatte aber auch vorher schon Sexdates – häufig ohne Kondom. Nach den Dates fühlte ich mich oft unsicher. Durch PrEP mache ich mir weniger Gedanken darüber, was alles passieren könnte, und genieße den Sex mehr. Global betrachtet sehe ich PrEP als eine wirkungsvolle Möglichkeit, HIV-Infektionen weiter einzudämpfen.
Ich lasse mich alle drei Monate auf Geschlechtskrankheiten testen. Das wird auch von den Ärzten empfohlen, wenn man PrEP nimmt. Am Anfang habe ich die Test alle selbst bezahlt, mittlerweile bin ich Teil einer Studie, die die Kosten übernimmt. Früher habe ich für die Nieren- und STI-Tests im Quartal etwa 60 Euro gezahlt. Dazu kamen 40 Euro monatlich für PrEP. Ich glaube, dass sie Anzahl an PrEP-Nutzern durch die Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherungen zunehmen wird, da die Kosten für viele Menschen eine Hürde waren. Trotzdem glaube ich nicht, dass jetzt alle Menschen ohne Kondom rumficken.
Jacques Kohl, 32, psychosozialer Leiter des Checkpoints in Berlin, Anlaufstelle für schwule und bisexuelle Männer und Trans- und Interpersonen: “Es ist schwer zu sagen, ob Geschlechtskrankheiten in Zukunft zu- oder abnehmen.”
Die meisten Leute, die zu uns kommen, sind sehr gut informiert und wissen, was sie möchten. Es gibt Menschen, deren Safer-Sex-Strategie Kondome sind. Andere haben Schwierigkeiten, das Kondom zu benutzen, möchten aber trotzdem einen HIV-Schutz. Dann ist PrEP die richtige Option. Wir beraten nur hinsichtlich der jeweiligen Vor-und Nachteile.
Ab September geben wir PrEP kostenlos an alle Menschen mit einer Krankenversicherung aus. Wer PrEP nimmt, lässt sich in der Regel sehr häufig auf Geschlechtskrankheiten testen. Das bedeutet, dass diese schnell erkannt werden – auch dann, wenn die Patienten noch keine Symptome zeigen. Es ist also schwer zu sagen, ob Geschlechtskrankheiten in Zukunft zu- oder abnehmen. Auch Kondome sind nur ein mittelmäßiger Schutz. Kondome und PrEP sind gut kombinierbar und wir raten unseren Patienten, beide Möglichkeiten so flexibel einzusetzen, wie es für sie gut ist. Wenn wir über Safer Sex sprechen, geht es hauptsächlich um Schutz vor HIV. Und da finden wir, dass die PrEP gleichberechtigt mit Kondomen zu sehen ist. Es handelt sich um unterschiedliche Methoden für unterschiedliche Formen von Sexualität und Safer Sex.
Ich glaube nicht, dass unser Zulauf durch die Kostenübernahme weniger wird. Bei uns muss man anders als bei Ärzten keinen Termin ausmachen, sondern kann auch spontan vorbeikommen. Außerdem sind wir sprachlich anders aufgestellt. Wir haben Berater und Beraterinnen, die Arabisch, Russisch und Farsi sprechen. Außerdem bieten wir neben den medizinischen Belangen auch eine ausführliche Beratung an.
Lars Esmann, 40, Arzt in Berlin : “Bei der PrEP muss man Nutzen und Risiko abwägen “
Ich habe aktuell etwa zehn Patienten, denen ich PrEP verschreibe. All diese Patienten sind homosexuelle Männer, die ungeschützten Sex mit Personen haben, deren HIV-Status sie nicht kennen. Die Kosten werden in Zukunft für alle Personengruppen übernommen, bei denen ein relevantes Infektionsrisiko besteht. In der Gesamtbevölkerung ist HIV nicht sehr verbreitet. Aber häufiger ist eine HIV-Infektion unter homosexuellen Männern, Menschen aus sogenannten Hochprävalenzländern, insbesondere Afrika südlich der Sahara, und Patienten, die intravenöse Drogen nehmen. Bei Sex mit Personen aus diesen Risikogruppen ist die PrEP sinnvoll. Und sie wird empfohlen bei Personen, deren Partnerinnen oder Partner HIV-infiziert, aber nicht sicher effektiv therapiert sind.
Bei der PrEP muss man Nutzen und Risiko abwägen. Bei Personen, die keinen Geschlechtsverkehr mit Personen aus den genannten Gruppen haben, ist das Infektionsrisiko nicht hoch. Die PrEP wird in der Regel gut vertragen, kann aber auch Nebenwirkungen haben wie Kopfschmerzen, Magen-Darmbeschwerden, Knochenstoffwechsel- oder Nierenfunktionsstörungen. Das Risiko für diese Nebenwirkungen kann man eingehen, allerdings nur, wenn dem auch ein relevantes Infektionsrisiko gegenübersteht.
PrEP senkt das Risiko einer HIV-Infektion sehr effektiv. Der Schutz ist natürlich optimal, wenn zusätzlich ein Kondom benutzt wird. Und: Die PrEP schützt nicht vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Es besteht die Gefahr, dass andere Geschlechtskrankheiten durch die vermehrte Einnahme von PrEP zunehmen könnten. Die Anzahl der gemeldeten Fälle von Syphilis hat in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen. Das wird auf ein zunehmend riskanteres Sexualverhalten, sprich Sex ohne Kondom, zurückgeführt.
Einige meiner Patienten sagen, sie kommen besser damit zurecht, jeden Tag eine Tablette zu nehmen, als jedes Mal an ein Kondom zu denken. Andere möchten Sex ohne Kondom. Grundsätzlich empfehle ich, bei ungeschütztem Verkehr mit Unbekannten aber immer ein Kondom zu benutzen.
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