Die Welt in Brand setzen mit TRÜMMER

Alle Fotos: Johannes Gierlinger, via VICE Media

Es könnte alles ganz, ganz anders sein. Die Welt muss anders werden, wir müssen uns ändern. Das Hamburger Trio Trümmer vertont den Aufbruch, den guten, alten Tanz auf den Ruinen. Alles muss zu Klump gehauen werden—damit es morgen schöner ist. Hoffnung besteht. Diesmal wirklich. Sänger und Gitarrist Paul Pötsch, Bassist Tammo Kasper und Schlagzeuger Maximilian Fenski finden auf ihrem gemeinsamen Debütalbum, das sich klar als Mission Statement wie die Band selbst schlicht Trümmer nennt, das genau richtige Mischverhältnis aus Punk-Gestus, Hast, Zwang, Drang, Ruppigkeit, beißendem Geruch, Dosenbier und alles überwältigendem, gleißendem Pop. So muss es sein.

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Dass Trümmer schon auf ihrer ersten Platte nicht mehr von einem freundlichen Dilettantismus und dem Glanz der Schrottigkeit leben, wie man das beispielsweise am Frühwerk von Tocotronic oder von den Trümmer-Kollegen Die Nerven schätzen gelernt hat, sondern produktions- und spiel-technisch so richtig “gut klingen”, mag den Menschen, der Lo-Fi gleich als Haltung begreifen will, verstören.

Man muss jedoch keine Glattbügelung durch die Verwertungslogik befürchten. Bei Trümmer durchdringen sich Rebellion, Revolution, Politik und Privatbegehren, Sinnlichkeit, Sexualität, Liebe. So muss eine Musik klingen, die das komplizierte, verwirrende, wilde, mal ganz schlimme, mal ganz schöne Leben begleiten und abbilden will. Die Räudigkeit und die Abgefucktheit aus der Garage, Verzweiflung, Pomp, Schmalz, Triumph. Postpunk, der quängelt und nervt, sauber ausgeklügelter Indierock, live eingespielt, groß aufgenommen.

Die Texte von Paul Pötsch besetzen in ihrer Direktheit eine bislang kaum bekannte Schnittstelle zwischen aufrührerischer Parole und schlagerhaftem Kitsch. Schon die Eröffnungsnummer der Platte trägt den radauoptimalen Titel „Schutt und Asche”: “Wenn alles in Schutt und Asche liegt”, singt Pötsch im Refrain, um danach in eine überraschende Wendung zu leiten: „Dann hat uns die Liebe besiegt”. Eine ästhetische Verwandtschaft zum Soul der späten 60er und frühen 70er tut sich auf: Hier verschwammen politische Agenda und Not, Bürgerrechtsbewegung, Rausch und die alles plattmachende Macht der Liebe zu einer der glottgleichsten Musiken ever. Die letzte Minute des Songs ist von Bläsersätzen durchsetzt, es ist ein Jauchzen der Leidenschaft.

Trümmer ist eine Platte, die uns drängt, darüber nachzudenken, wie wir leben wollen wollen. Die Verklärung der Vergangenheit, zumal einer, die man selbst vielleicht gar nicht miterlebt hat, stiehlt die Energie für das Neue: „Ja, ich weiß alles muss zugrunde gehen, nein, ich habe damit gar kein Problem. Komm, wir seh’n uns später auf den Barrikaden, Nostalgie ist prinzipiell nicht zu ertragen” heißt es in dem eine wohl nie aus der Mode kommende Gefühlsregung verhandelnden Stück „Nostalgie”.

Und wogegen gehen wir auf die Barrikaden? Zwar mögen die giftige Kraft des Kapitalismus, Gentrifizierung und ein grundlegend ungünstiges Klima, die den Wohnort Hamburg in der jüngeren Vergangenheit gut dokumentiert beuteln, klar in die Platte hineingewirkt haben, explizit werden Feindbilder jedoch kaum benannt. Ein Umstand, der aber eben nicht bedeutet, dass Punk hier nur als hohle Geste behauptet würde. Die Band Trümmer weiß bloß, dass auch sie die Antwort nicht kennt, und das es um alles gehen kann und muss. So auch um Selbstzweifel: „Bin ich eigentlich der, der ich mal sein wollte?” fragt uns der ebenfalls programmatisch betitelte Song „Revolte”. Die Revolte, so dürfen wir durch Trümmer und Trümmer wieder einmal bitter erfahren, spielt sich in nicht geringem Maße in uns selbst ab. Man muss Überzeugung und Wunsch nicht mit Naivität verwechseln. Fieber, Faust, Pop, Eleganz. Es ist unser Leben, wir müssen es uns nehmen.

„Trümmer”, das Debütalbum der gleichnamigen Band, erscheint am Freitag, 22.8., auf PIAS.

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