Der Polizist drückt sein Knie in den Nacken. Mehrere Minuten lang liegt ein nicht-weißer Mann auf dem Boden, erst zappelt er noch, Minuten später liegt er regungslos auf dem Pflaster. Es ist diese Szene in einem am Dienstag viral gegangenen Facebook-Video aus Tschechien, das sofort an den Tod von George Floyd vor etwas mehr als einem Jahr in Minneapolis erinnert. Auch in Tschechien starb der junge Mann kurz nach dem Einsatz.
Der aktuelle Clip ist laut Zeitstempel am 19.6.2021 aufgenommen worden. Laut Medienberichten zeigt er einen Polizeieinsatz in Teplice, kurz hinter der deutschen Grenze und nur eine Stunde Autobahnfahrt von Dresden entfernt. In den 5,55 Minuten des Videos ist zu sehen, wie drei Polizeibeamte den jungen Mann auf dem Boden fixieren. Der Mann wehrt sich. Einer von ihnen kniet offenbar minutenlang im Nacken des Mannes.
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Der junge Mann in dem Video ist Rom, also Teil der Roma-Minderheit. Also wie George Floyd, ein Mann of Color. Die tschechische Polizei muss sich seitdem gegen Vorwürfe von Rassismus, Antiziganismus und illegaler Polizeigewalt wehren.
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Laut dem Portal parlamentnilisty.cz war der Name des getöteten Stanislav Tomáš. In einem Beitrag wird die Schwester des Toten zitiert, die der Polizei die Schuld am Tod ihres Bruders gebe. “Sie sollten ihm Handschellen anlegen, ihn zum Revier bringen, wenn er etwas tat, oder ihn sogar ins Gefängnis stecken, aber warum haben sie ihn getötet?”, schreibt das Portal. Auch Roma-Organisationen äußerten sich in Medienberichten: Der Vorfall zeige, wie rassistisch tschechische Behörden die Minderheit behandelten.
Das Video ist offenbar von Anwohnern aufgenommen worden. Im Hintergrund sind Stimmen zu hören. Laut dem Roma-Community-Portal romea.cz sagt ein Mann, “Bleib unten, steh nicht auf!”, eine Frauenstimme sage, “Sie ersticken ihn!”, eine weitere widerspreche, “Das ist ihr Job!”.
Die Polizei selbst gibt an, am Sonntag um 15 Uhr zum Einsatz in der Dubská-Straße in Teplice gerufen worden zu sein. Nach dem Eintreffen habe man einen Mann ohne Hemd auf dem Boden liegend gefunden, der offensichtlich verletzt gewesen sei. Als die Polizei auf ihn zukam, habe er sie “angegriffen”, einen “Kratzer verursacht” und einen “Kollegen gebissen”, heißt es in der Stellungnahme.
Anschließend habe man “Zwangsmaßnahmen” anwenden müssen und einen Krankenwagen gerufen. Im Rettungswagen sei der Mann kollabiert und habe nicht reanimiert werden können.
In einem Statement wehrt sich die tschechische Polizei gegen die Vorwürfe. Der Mann sei “Kein ‘Czech Floyd’”, heißt es darin. Die Polizeieinsatz sei “gesetzeskonform durchgeführt und stand in keinem Zusammenhang mit dem Tod” des Mannes. Das habe eine gerichtliche Obduktion bestätigt. “Der Arzt gab an, dass eine Überdosis Drogen die vorläufige Todesursache war”, heißt es in dem Statement.
Auch der tschechische Innenminister verteidigte die Polizei auf Twitter. “Die einschreitende Polizei hat meine volle Unterstützung”, schrieb er. “Vor allem dank der Arbeit von Polizisten gehören wir zu den zehn sichersten Ländern der Welt.”
Auf Twitter teilte die tschechische Polizei ein zweites Video, das im Vorfeld des Einsatzes aufgenommen worden sein soll. Der 27-sekündige Clip zeigt zwei junge Männer ohne Shirts augenscheinlich in einem psychischen Ausnahmezustand. Sie irren auf einer Straße umher, gehen sich gegenseitig aggressiv an. Einer von beiden beginnt, mit der Faust auf eine Autoscheibe einzuschlagen. “Hier sehen Sie, was dem Eingreifen der Polizei vorausging”, schreibt die Polizei dazu.
Es ist nicht der erste Fall, in dem der tschechischen Polizei Antiziganismus vorgeworfen wird. Und auch in Deutschland hatte zuletzt ein Fall Schlagzeilen gemacht, bei dem ein elfjähriger Rom mutmaßlich rassistisch beschimpft und in Handschellen auf die Polizeiwache gebracht worden war. In der Nähe von Freiburg war zuvor ein 48-jähriger Familienvater durch Bisse eines Polizeihundes schwer verletzt worden, zwei Frauen und ein weiterer Mann durch Schläge. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma forderte damals eine “Aus- und Weiterbildung der Beamtinnen und Beamten” zur “Geschichte und Gegenwart von Sinti und Roma” sowie eine “lückenlose Aufklärung”.
Aktivistinnen und Aktivisten in verschiedenen europäischen Städten planen in den kommenden Tagen Demonstrationen gegen den Vorfall in Teplice.