Nachdem über 1.000 Schulen geschlossen, über 18.000 Menschen verhaftet und über 66.000 Beamte entlassen wurden, scheinen die „Säuberungsaktionen” in der Türkei weiterzugehen—und die machen in manchen Fällen auch nicht vor alten Müllsäcken halt. Ein als regierungsnah geltender türkischer Fernsehsender hat im Zuge der Bemühungen Erdoğans, das Land wieder auf Kurs zu bringen, einen vermeintlich heißen Scoop im städtischen Abfall gefunden und eine exklusive Geschichte daraus gemacht:
„Da haben wir also ein paar sehr interessante Notizen in dem Müll gefunden, den die Gülenisten weggeschmissen haben! Was sich in diesem Notizbuch befindet, sieht aus wie Codes für den Putsch. Da sind ein paar Geheimcodes wie: Gesundheit und Waffen, Gesundheit und Schutzwesten, Wetter, Helikopter, Motorrad, und so weiter”, echauffiert sich die Moderatorin unter den ernsten Blicken zweier Mitarbeiter einer türkischen Entsorgungsanstalt, die den angeblichen Putschisten-Müllsack bereitstellen. „Also alles Dinge, die man für einen Putsch verwenden kann”, kombiniert sie.
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Tatsächlich steht auf einem handgeschriebenen Zettel, den die Moderatorin Özlem Aktay in die Kamera hält:
GTA IV
CHEATS
I / Gesundheit und Waffen 4825550100
II / Gesundheit und Panzerung 3625550100
III / Panzerung 4865550100
Eine kurze Google-Suche nach den Nummern führt jedoch wenig überraschenderweise nicht zum Haustelefonanschluss des Predigers Fehtullah Gülen in den USA, sondern direkt zu den GTA-Cheats, die in der Überschrift des Zettels auch versprochen werden und dem Spieler das Überleben im Game leichter machen.
Unabhängig von der politischen Gesinnung amüsiert sich die amerikanische und türkische Reddit-Community über den Fehlschluss.
Ein weiterer Redditor gibt dazu etwas Kontext über die Abfall-Recherche, der die Meldung weit weniger lustig erscheinen lässt: „Seit dem Tag des Putschversuchs sind Gülen-Bücher aus dem Nichts in Müllcontainern und an Straßenrändern oder in Wäldern aufgetaucht. Die Menschen, die die Bücher besitzen, sind wahrscheinlich verängstigt und werfen deshalb alles weg, was eine Assoziation mit der Bewegung nahelegen könnte”, schreibt der User river-cat.
Die Moderatorin verteidigt sich auf Twitter damit, dass „Terrororganisationen” schon in der Vergangenheit „Kriegsspiele” zur geheimen Kommunikation benutzt hätten und verlinkt einen Artikel—über das Spiel Clash of Kings.
Mit einem Vorwurf hat sie allerdings zumindest halbwegs recht: Es ist tatsächlich nicht das erste Mal, dass Kriegsparteien tatsächlich das Wetter beeinflussen wollten, um sich einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Im Vietnamkrieg versuchte die US-Armee unter dem Codenamen Operation Popeye, Wolken durch den Beschuss mit Silberoxidpartikel zum Abregnen zu bringen, um die Monsun-Saison zu verlängern und die Versorgungspfade durch den Dschungel für die Vietcong möglichst unwegsam und rutschig zu halten.
Der Schluss, so etwas hätten auch die Putschisten in Angriff genommen, war dann allerdings doch etwas zu weit hergeholt. Daher gibt die eigentlich lustige Episode vielleicht vor allen eine unangenehme Vorschau darauf, wie dreist Unwahrheiten in die Welt gesetzt werden, wenn viele kritische Journalisten im Gefängnis sitzen oder suspendiert worden sind.