Das “bestmögliche Survival-Game” erschaffen, das ist das Ziel des kroatischen Entwicklerstudios Gamepires mit ihrem Spiel SCUM. Der Survival-Shooter über Sträflinge, die im Hunger-Games-Stil gegeneinander kämpfen müssen, simuliert dafür auch ganz banale Aspekte des menschlichen Daseins: So zum Beispiel Zahnhygiene, den Vitaminhaushalt und den aktuellen Darminhalt. Die absurd realistische Simulation und die komplexen Spielmechaniken katapultierten SCUM Ende August in die Top-5 der meistgeschauten Spiele auf der Livestreaming-Plattform Twitch, ein Überraschungs-Hit – und ein Spiel, das seine besonders treuen Unterstützer mit Nazi-Symbolen belohnt hat.
In einem Reddit-Thread mit dem Titel “Devs=Nazis”, also sinngemäß “Die Entwickler sind Nazis”, postete ein deutschsprachiger Nutzer einen Screenshot, der den Hinterkopf einer Spielfigur zeigt. Die Glatze des Sträflings ist stark tätowiert. Um den leuchtenden implantierten Science-Fiction-Chip im Kopf ist ein keltisches Kreuz zu sehen, gesäumt wird das Kreuz von den Zahlen 14 und 88. Darunter ist ein eisernes Kreuz mit Totenkopf tätowiert. Die Symbole sind in der Nazi-Szene verbreitet, die Zahlenkombination “14 88” steht für “Heil Hitler” und für rassistische Zitate des rechtsextremen US-Amerikaners David Lane.
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Der Post sorgt für eine Kontroverse in der noch jungen Community von SCUM. Der Inhalt des Original-Threads, sowie der Screenshot ist inzwischen vom Ersteller des Threads gelöscht. Nach mehreren Presseberichten, unter anderem auf Polygon und PC Gamer, reagierten die Entwickler: “Das war unnötig und wir haben die Inhalte entfernt”, sagten die Entwickler gegenüber Spielemagazinen nach einem Patch, der die rechtsextremen Symbole aus dem Spiel löschte. Doch auch nach den Statements des Studios geht die Diskussion weiter, denn viele Fans des Survival Games stören sich an der Kritik an rechtsextremen Inhalten, sowie an der Reaktion der Entwickler.
Das Problem mit den Nazi-Tattoos in Scum
“Du spielst da Häftlinge, was erwartest du?”, so lautet der Tenor in vielen Kommentaren auf Reddit und auch in den Steam-Foren von SCUM, in denen die Tattoos hitzig diskutiert werden. Die Logik der Kommentierenden: In Gefängnissen sitzen auch Neonazis, die Neonazi-Tattoos tragen, und das müsste SCUM eben auch zeigen, um besonders “realistisch” zu sein. Neben anderen Gang-Zeichen müssten dann halt auch Nazi-Symbole vertreten sein, so die Argumentation einiger Fans. Die Kritik am Spiel sei nicht legitim, sondern Mobbing.
So einfach ist es allerdings nicht. Die Symbole und Zahlencodes gelten in Deutschland zwar im Gegensatz zum Hakenkreuz oder dem Hitler-Gruß als nicht verfassungsfeindlich, sie sind also nicht verboten. Trotzdem müssen sich die Entwickler die Frage gefallen lassen, warum sie es für eine so gute Idee halten, auch Neonazis zu den Charakteren zu machen, die die Spieler als ihre Helden steuern können. Eine kritische Einordnung der Aktionen der Neonazi-Charaktere fehlt im Gameplay dabei völlig.
Auch die Art, wie die Tattoos ins Spiel integriert wurden, ist fragwürdig. Die Tattoos, um die es geht, sind nicht von Spielerinnen und Spielern ausgedachte Designs, sie waren von Anfang an im Spiel. Und sie waren bis vor kurzem eine besondere Belohnung für treue Fans. Wer zum Grundspiel das etwa acht Euro teure “Support Pack” kauft, schaltet solch besondere Skills frei, wie die Fähigkeit, zufällige Gegenstände auszuscheißen. Außerdem bekommt man ein kosmetisches Item freigeschaltet, das die Entwickler als “Schädel-Tattoo” bezeichnen. Das “Schädel-Tattoo” bedeckt dabei das ganze Gesicht der Spielfigur mit einer stilisierten Totenschädel-Zeichnung, allerdings passierte noch etwas, was den meisten nicht sofort klar gewesen sein dürfte: Der Hinterkopf der eigenen Spielfigur wurde ebenfalls tätowiert und zwar mit den “14 88” Nazi-Tattoos.
Die Entwickler locken also besonders treue Unterstützer ihres Spiels mit Nazi-Symbolen. Im schlimmsten Fall biedern sie sich so an Rechtsextremen oder ihren Sympathisanten an, mindestens jedoch überraschen sie jene Spielerinnen und Spieler, die diese Ideologie ablehnen.
Die erste Reaktion der Entwickler auf die Kontroverse war weniger diplomatisch als die späteren Statements gegenüber der Presse: “Wenn Texturen im Game deine Gefühle verletzen, dann spiel das Spiel nicht. Wir sind keine Nazi-Unterstützer, schick den Screenshot halt an Spiele-Magazine wenn du willst”, schrieben die Entwickler im offiziellen Steam-Forum von SCUM . Anschließend schlossen sie den Foreneintrag.
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Der Publisher zwingt die Entwickler zum Umdenken
Die Aufmerksamkeit der Presse scheint jedoch jetzt zu einem Umdenken geführt zu haben. “Wir sind auf Tattoos aufmerksam geworden, die Neonazi-Symbole enthalten. Wir sind gegen den Einsatz solcher Symbole, egal zu welchem Zweck”, mit diesem Statement meldet sich nun auch der Publisher von SCUM, Devolver Digital, einen Tag nach dem Foreneintrag zu Wort. “Das Tattoo sollte helfen, ein realistisches Bild von Gefängniskultur zu zeichnen. Die Inhalte wurden mit einem Patch entfernt, sie hätten nie ihren Weg ins Spiel finden sollen. Wir entschuldigen uns vorbehaltlos.”
Auch das Entwickler-Team selbst spricht jetzt von einem Fehler: “Nach unserer ersten Antwort im Forum haben wir die Sache im Team und mit unserem Publisher diskutiert und sind zum Schluss gekommen, dass diese Inhalte unnötig waren. Wir haben sie entfernt”, so Gamepires gegenüber Polygon. “Wir entschuldigen uns für den Fehler und versprechen unseren Fans, dass wir in Zukunft umsichtiger handeln werden.”
Damit das Spiel “realistischer” wird, fordern manche Gamer die Nazi-Symbole zurück
Ein Blick in die Foren zeigt jedoch, dass “Umsicht” nicht das ist, was viele Fans von SCUM wollen. “Bringt die Nazi-Symbole zurück, ihr fucking pussies!”, heißt es von einem Nutzer auf Reddit. “Ich schäme mich für meine Generation aus Weicheiern”, von einem anderen. Zuspruch für das Entfernen von Nazi-Symbolik aus ihrem Spiel bekommen die Entwickler kaum.
Offenbar ist es vielen Spielerinnen und Spielern von SCUM wichtig, rechtsextreme Inhalte für ein “realistisches” Spielgefühl zu tolerieren. Das Argument für ein realistisches Spielerlebnis wird jedoch in den Foren besonders häufig dann herangezogen, wenn es um eiserne Kreuze und Nazi-Codes geht. Den Sinn und Realismus der Zombies und Killerroboter in dem Survival-Shooter diskutieren die Realismus-Befürworter dagegen deutlich weniger leidenschaftlich.
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