Eine Typologie aller Wahnsinnigen, denen du am Frequency 2015 begegnen wirst


Foto: Julian Haas

Alle Geschichten zum Frequency 2015 findet ihr hier—und bei unseren Kollegen von Noisey.

Mitte August ist Frequency-Zeit. Frequency-Zeit ist die Zeit, in der sich etwa 50.000 junge Menschen versammeln, um aus einer langweiligen niederösterreichischen Kleinstadt eine langweilige niederösterreichische Kleinstadt voller glücklicher, aber grenzwertig betrunkener Menschen zu machen, die sich gelegentlich auch ein Konzert anschauen. Frequency-Zeit ist toll.

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Ich war in meinem Leben auf mehr FM4 Frequencys, als mir selbst geheuer ist. In den letzten zehn Jahren habe ich dem Wahnsinn in die Augen geblickt und so ziemlich jede Sorte von Frequency-Campingplatz-Psychopath kennengelernt, die man sich vorstellen kann. Ich bin nicht stolz darauf, aber nicht selten war ich selbst einer von ihnen. Das ist einerseits die schrecklichste und andererseits die schönste Eigenheit des Frequencys: Man weiß ganz genau, welche Verrückten einen dort erwarten.

Der orientierungslose Zeltplatz-Streuner

Dieser Blick signalisiert einen sehr hohen Grad an Orientierungslosigkeit. Foto: Julian Haas

Der Frequency-Campingplatz, der entlang der Traisen verläuft, ist groß. Sehr groß sogar. Und nicht alle Menschen kommen mit der Kombination aus Hitze und Kubiklitern an Dosenbier auf Körpertemperatur gleich gut zurecht. Regelmäßig verirren sich junge Leute, die sich um ihren Verstand getrunken haben, in den unendlichen Weiten der Campinganlage.

Was dann passiert, ähnelt einem Teufelskreis: Weil sie nicht mehr nach Hause finden, suchen sich die verlorenen Seelen wildfremde Leute, machen sie zu ihren neuen Freunden, trinken noch mehr Alkohol mit ihnen, und werden letztendlich noch orientierungsloser. Ich habe betrunkene Freunde am Campingplatz verloren, bei denen es ganze Tage gedauert hat, bis sie wieder auftauchten. Vielleicht bin ich auch selbst ab und zu mal verloren gegangen, aber das tut hier nichts zur Sache.

Das Edding-Opfer, auch bekannt als Captain Penisgesicht



Foto: Oliver Capuder

Wer im normalen Leben mit einem Penis-Gemälde im Gesicht herumläuft, hat verloren. Normalerweise sind das die Leute, die als erstes auf Partys einschlafen und dann von ihren Freunden massakriert werden—eher die schwachen Glieder der Evolutionskette eben. Am Frequency sieht die Sache komplett anders aus. Hier gibt es eine eigene Subgattung von Festivalbesuchern, die komplett gewollt grausig schirche Filzstift- und Edding-Malereien auf der Haut trägt.

Wichtig ist dabei, dass das Motiv möglichst primitiv gestaltet ist, und irgendetwas mit Geschlechtsteilen, Sex oder Fäkalien zu tun hat. Besonders beliebt ist nach wie vor ein „Insert Penis here”-Schriftzug über dem Steiß (sowohl bei Frauen als auch bei Männern), die Preisliste für diverese Sexualpraktiken und, wie gesagt, oft gesehen aber doch immer wieder erheiternd: Der gute alte Schwanz im Gesicht.

Der Typ, der irgendeinen belanglosen Gegenstand anbetet



Das bin ich, mit einem Typen, der eine ausgestopfte Ente anpreist. Foto: Julian Haas

Das Leben am Campingplatz nimmt oft seltsame Ausmaße an. Die Menschen dort schaffen es, innerhalb von Minuten alle Konventionen des Lebens in der westlichen Zivilisation abzulegen. Ich nenne sie aus diesem Grund gerne auch Campingplatz-Ureinwohner. Und zu dieser eigenwilligen und schweralkoholisierten Lebensform gehört aus irgendeinem Grund auch das Anbeten von seltsamen Utensilien.

Diese Gegenstände müssen nicht einmal besonders sakral aussehen. Theoretisch könnten sie auch aus dem Sperrmüll gefischt worden sein. Es könnte auch einfach eine ausgestopfte Ente sein, wie auf diesem Bild hier. Ich kann mich an eine Gruppe Menschen erinnern, die am Frequency 2009 einen mobilen Radio angebetet hat, den sie „Radiohead” nannten, und der nur ein einziges, phänomenal beschissenes Lied abgespielt hat, zu jeder Tages- und Nacht-Zeit. Das Campingplatz-Dasein und eigenartige religiöser Riten sind definitiv untrennbar miteinander verbunden.

Der Trichter-Terrorist

Foto vom Autor

Der Trichter-Terrorist ist eine Art Missionar, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, möglichst viele Campingplatz-Ureinwohner in möglichst kurzer Zeit auf barbarische Art und Weise besoffen zu machen. Dabei erstaunt es immer wieder, dass ihm die lauwarmen Bierreserven niemals auszugehen scheinen. Man fragt sich gezwungenermaßen: Ist dieser Typ mit einem Kleintransporter voller Dosenbier angereist? Die Antwort: Nein. Er profitiert von den Bierspenden anderer Camper, die ganz einfach große Freude daran haben, dass jemand mit einem Trichter dicht gemacht wird.

Besonders häufig trifft man den mitteleuropäischen Biertrichter-Terroristen (so der vollständige Name dieser Gattung) auf der blauen Brücke des Campingplatz-Geländes an. Die blaue Brücke ist ohnehin ein Knotenpunkt für irre Besucher aller Variationen, und hier finden sich besonders viele bereitwillige Trichter-Opfer.

Der Borat

Foto: Julian Haas

Primär mag ich das Frequency ja dafür, dass die Leute hier endlich das sein können, was das restliche Jahr vermutlich auch gerne wären, aber aufgrund von lästigen gesellschaftlichen Konventionen nicht ausleben können. Für viele bedeutet das, dass sie sich in etwas abartige Kostüme zwängen, in denen sie besonders auffallen—Morph-Suits, Pikachu-Anzüge, all dieses Zeug eben, mit dem man normalerweise nicht an seinem Arbeitsplatz auftauchen würde (außer, man arbeitet als Model für Morph-Suits und Pikachu-Anzüge).

Die höchste Form dieser Frequency-Besucher sind aber diese exibitionistisch angehauchten Dudes, die das Festival in einer Borat-Swimsuit verbringen. Manche Leute, die sich im Alltag eher unauffällig verhalten, werden am Festival zur wahren Aufmerksamkeitshuren. Und das ist auch in Ordnung. Die Chance, dass du drei Tage Frequency überstehst, ohne einen haarigen, leicht pickligen Arsch zu erspähen, der so derartig ungebräunt ist, dass dich sein Anblick blendet, sind aber sehr gering. Und das ist weniger in Ordnung.

Das Möchtegern-Coachella-Fashion-Hippie-Girl

Foto: Shawn Ahmed | Flickr | CC 2.0

Das Frequency gehört definitiv nicht zu den hipsten Festivals dieser Welt, und du wirst hier vergleichsweise wenige Fashionbloggerinnen treffen (ob das ein Fluch oder Segen ist, sei dahingestellt). Trotzdem gibt es ein paar dieser Mädchen, die zu viel Zeit auf den Instagram-Accounts der Kardashian-/Jenner-Schwestern verbracht haben, und die sich ganz fest einreden, dass das Frequency doch ein bisschen wie das Coachella ist.

Es sind niemals viele Möchtergern-Coachella-Fashion-Hippie-Girls, die am Frequency herumstreifen. Ich würde schätzen, so ungefähr 30. Aber die fallen umso stärker auf, weil sie die Campingplatz-Wege als Laufsteg verwenden, dir während dem Selfiesmachen im Weg stehen, oder während des Auftrittes deiner Lieblingsband auf den Schultern ihres Bro-Boyfriends sitzen und dir permanent die Sicht versperren. Oft tragen sie Indianer-Kopfbedeckungen, was die Situation und Sicht noch schlechter macht.

Der wandelnde Sonnenbrand

Foto: Phil Kates | Flickr | CC 2.0

Viele Leute reisen am Frequency mit einer Ausrüstung an, mit der man problemlos eine nukleare Eiszeit überleben könnte. Dosenravioli-Reserven, die für Jahre reichen würden, Trockeneis, meterhohe Trichter-Apparaturen, Soundsysteme, die mit Autobatterien betrieben werden, und mit denen man einen kleineren Staat beschallen könnte. Was sie trotz immenser Vorbereitung fast alle vergessen, ist Sonnencreme.

Würde ein Hautarzt sehen, wie ein großer Teil der Besucher am letzten Festival-Tag aussieht, würde er sich weinend zusammenrollen und am nächsten Tag seinen Job kündigen. Das Frequency ist nicht das einzige Festival-Sonnenbrand-Eldorado, aber hier tragen die Menschen ihre Hautverbrennungen schon mit besonderes viel Stolz zur Schau.

Der „Shrimps mit Reis”-schreiende MoneyBoy Fan

Ich habe immer gedacht, dass sich manche Dinge nie ändern. Zum Beispiel, dass dir irgendwelche Leute auf Festivals „HELGA!!!” ins Ohr brüllen werden. Meine Reisen über die Frequency-Campingplätze haben mich aber eines Besseren belehrt. Schon letztes Jahr hat sich dort keine Sau mehr für Helga interessiert. Die Menschen am Frequency schreien „Shrimps mit Reis!” Ich glaube, das ist die Schuld von How I Met your Mother. Wahrscheinlich hat auch der gleichnamige (und wundervolle) Moneyboy-Song dazu beitragen, dass das Anpreisen von „Shrimps mit Reis” heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.



Apropos Moneyboy: Menschen, die am talken sind wie der Boy höchstpersönlich, wirst du am Frequency 2015 an jeder verdammten Ecke treffen. Das sind die Folgen eines Prozesses, den ich die „Moneyboyisierung des Abendlandes” nenne—und gegen den es aus unerfindlichen Gründen noch keine besorgte Bürgerbewegung gibt.

Der Typ, der auf alle Konzerte scheißt und seinen Campingsessel niemals verlässt

Foto vom Autor

Wenn jemand 130 Euro für ein Festival-Ticket bezahlt, dann will er sich das musikalische Angebot auch wirklich nutzen, richtig? Richtig? Falsch. Du wirst am Frequency in jedem Jahr mindestens eine Person kennenlernen, die nicht nur auf die Konzerte scheißt, sondern die eigentlich auf alles scheißt, was sie nicht direkt von ihrem Campingsessel aus erledigen kann.

Der Campingsessel-Mensch isst, feiert, schläft und lebt sein Leben im Campingsessel. Manchmal wird er im Schlaf mit Klebeband an seinen geliebten Sessel gefesselt. Aber dadurch lässt er sich nicht aus der Fassung bringen. Dieser Typ verkörpert den Frequency-Campingplatz-Spirit, wie kaum ein anderer Besucher. Der Campingsesselmensch ist ein Held.

Tori auf Twitter: @TorisNest

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