Wer es zum ersten Mal hört, dürfte es für einen Scherz halten: Die Schweiz führte erst 1971 das Wahlrecht für Frauen ein und war damit eines der letzten europäischen Länder überhaupt. Deutschland gehörte zwar ebenfalls nicht zu den Pionieren, hierzulande bekam die weibliche Bevölkerung aber immerhin schon 1918 das Recht zugesprochen, ihre Stimme abzugeben.
Die Komödie Die Göttliche Ordnung, die am 3. August in die deutschen Kinos kommt, wirft Licht auf eine vermeintlich selbstverständliche Entscheidung, die noch gar nicht so lange her ist. Heiter und provokant erzählt Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Volpe die Geschichte der Schweizerinnen, die für ihr Wahlrecht auf die Straße gingen und zeigt gleichzeitig: So lange ist es noch gar nicht her, dass Frauen mitten in Europa selbst grundlegendste Rechte abgesprochen wurden.
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Im Interview mit Broadly erzählt die 46-jährige Filmemacherin, wie viel die damaligen Frauenrechtlerinnen mit den heutigen Feministinnen gemeinsam haben und warum es oft Frauen sind, die ihrer eigenen Befreiung im Weg stehen.
Broadly: Du hast viel Recherche für den Film betrieben. Wie schätzt du die damalige Frauenbewegung im Vergleich zur heutigen ein?
Petra Volpe: Die Schweizer Frauenbewegung, die hundert Jahre lang dafür gekämpft hat, dass Frauen abstimmen dürfen, war zwar eine kämpferische, aber auch recht angepasste Bewegung. Frauen haben sich sehr Mühe gegeben, Männer nicht zu sehr zu erschrecken. Sie waren der Meinung, wir müssten den Männern beweisen, dass wir Vernunftwesen sind und vernünftige Politik betreiben können. Sie haben unzählige Petitionen und Motionen [Anm. d. Red.: schweizerisch für einen schriftlichen Antrag in einem Parlament) abgeschickt und mit Geduld versucht, das Frauenstimmrecht zu erlangen. Die jüngere Frauenbewegung, die dann auch auf die Straße gegangen ist, wie man im Film sieht, war viel aggressiver.
“Die Gegner haben selbst in den 70er Jahren noch ein geradezu apokalyptisches Bild heraufbeschworen, was passiert, wenn Frauen wählen gehen.”
Diese beiden Strömungen haben sich in der Schweiz nicht so gut verstanden, es gab eine Art Graben. Heute kämpfen die Frauen auf vielen verschiedenen Ebenen. Die Bewegung ist wieder kämpferischer, aggressiver und auch viel physischer geworden. Frauen gehen wirklich erneut auf die Straße. Gewissermaßen wie die junge Frauenbewegung in den 70er Jahren. Zwei Tage nach unserer Premiere waren die großen Demos in Washington und New York. Die haben dieselben Plakate hochgehalten: “Women’s rights are human rights.” Man hat gemerkt, dass das alles Themen sind, die immer noch umherschwirren.
Was hältst du vom modernen Netzfeminismus?
Ich finde ihn sehr wichtig. Ich bin voller Bewunderung und Respekt für die jungen Frauen, die sich im Netz äußern, diese Plattformen nutzen und sich vernetzen – sich eine Stimme geben. Es ist auch wahnsinnig erschütternd zu sehen, mit welchen irren Anfeindungen sie leben müssen. Die Art von Kommentaren, die Frauen kriegen, wenn sie sich feministisch äußern, ist wirklich haarsträubend. Das zeigt auch, wie viel Arbeit noch getan werden muss. Wir müssen da mitmachen! Wir können diese Konversation und dieses Feld nicht den Männern überlassen.
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Wieso hat die Schweiz so lange gebraucht, das Frauenstimmrecht einzuführen?
Ich glaube es gibt mehrere Gründe. Als Hauptgrund wurde immer genannt, dass die Schweiz eine direkte Demokratie ist – was bedeutet, dass die Männer darüber abgestimmt haben. Hätten Politiker allerdings früher dafür plädiert, dass Frauen in der Schweiz das Stimmrecht kriegen müssen, wäre es wahrscheinlich auch früher passiert. Ich glaube, es hat viel damit zu tun, dass die Schweiz ein zutiefst konservatives Land ist, das sich mit Veränderungen schwer tut.
Die Gegner haben selbst in den 70er Jahren noch ein geradezu apokalyptisches Bild heraufbeschworen, was passiert, wenn Frauen wählen gehen. Die Weltordnung würde sozusagen auseinander fallen. Das Argument der Antisuffragette im Film (“Frauen in der Politik ist gegen die göttliche Ordnung.”) ist ein Originalzitat aus deren Propaganda. Man wollte wirklich einfach nicht, dass sich etwas ändert, weil man dachte, Veränderung bedeutet Verschlechterung. Solche Argumente finden sich auch heute noch in der Schweiz.
“Frauen brauchen ganz viel Galgenhumor.”
Die Widersacherin in Die Göttliche Ordnung ist eine Frau. Du hast dich mit den Antisuffragetten der 70er Jahren intensiv beschäftigt. Warum gibt es auch heute noch viele Frauen, die nicht glauben, dass sich in der Gesellschaft etwas ändern muss?
Zum Teil sind das Frauen, die schon teilhaben an der Macht und ebenso wenig ein Stück vom Kuchen abgeben wollen. Frauen sind ja nicht per se bessere Menschen als Männer. Ich glaube, dass den Feministinnen auf vielen Ebenen auch ein harter Wind entgegenschlägt. Man wird lächerlich gemacht und nicht ernst genommen. Wenn man sich entscheidet, für Frauenrechte und Gleichberechtigung zu kämpfen, macht man sich einfach auch oft unbeliebt. Das ist irre anstrengend. Das ist wirklich ein harter Kampf und man weiß nicht immer, ob man den gewinnt.
Eine universelle Wahrheit ist, dass Menschen manchmal lieber das Übel haben, das sie kennen. Das Unbekannte kann Angst machen. Ich denke, das ist auch für Frauen ein ganz starker Grund, nicht in Bewegung zu kommen. Dazu kommt noch ein anderes Phänomen: Es ist irgendwie auch demütigend, dass man immer noch für oft so simple Dinge wie Lohngleichheit kämpfen muss. Wenn Menschen in einer machtlosen Position sind, kommt es auch oft vor, dass sie einfach sagen: Was du mir nicht geben willst, das will ich gar nicht. Es ist die einzige Art, wie man noch eine Form von Würde und Macht behalten kann und sich nicht nur als Opfer fühlt. Bei den Schweizer Frauen, die gegen das Stimmrecht waren, war das auch ein Grund zu sagen “Wir brauchen das gar nicht, wir sind auch so schon zufrieden.”
Hast du mit Frauen gesprochen, die in den 60er und 70er Jahren aktiv für ihre Rechte gekämpft haben?
Ja, ich habe viel recherchiert, mit vielen Frauen gesprochen, viele Bücher gelesen. Eine wichtige Person war Marthe Gosteli, die im April mit fast hundert Jahren gestorben ist. Sie hat das Gosteli-Archiv, das einzige Frauenarchiv in der Schweiz, gegründet und dort Frauengeschichte und Frauengeschichten gesammelt. Ihr ganzes Leben hat sie dem Kampf für Gleichberechtigung gewidmet. Als ich sie vor drei Jahren interviewte, war sie mit 97 Jahren noch genauso kämpferisch unterwegs wie damals.
Es ist ein großes Problem, dass Frauen in der Schulgeschichte nicht vorkommen. Wenn man eine gleichberechtigte Gesellschaft will, muss man auch der Narration von Frauen einen Raum geben, sonst hat man keine Vorbilder für die nachfolgende Generation. Kleine Mädchen sollen merken, dass da tolle Frauen unterwegs waren. Am Erfolg von Wonder Woman sieht man, wie groß die Sehnsucht nach positiven, starken Frauenvorbildern ist. Mein Film zeigt ja auch eine Gruppe von tollen, unterschiedlichsten Frauen, die finden, dass es genug ist.
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Warum hast du dich entschieden, diese ernsten Themen als Komödie zu inszenieren?
Ich finde, dass sich Drama und Komödie nicht ausschließen. Im Gegenteil: Je dramatischer und existenzieller der Konflikt, desto besseres Material für eine Komödie. Ich bin auch von dem Fakt ausgegangen, dass Leute im Ausland immer lachen, wenn man erzählt, dass die Frauen in der Schweiz erst 1971 das Stimmrecht bekommen haben. Und man selber lacht auch, weil es so schlimm ist. Es ist eine Übersprungshandlung.
Ich fand, dass der Film unbedingt gleichermaßen lustig und leicht sein muss. Humor ist auch eine Waffe, Humor ist Anarchie, Humor ist wie ich durchs Leben gehe. Frauen brauchen ganz viel Galgenhumor. Gleichzeitig ist Film immer auch eine Form von Verführung und mit einer Komödie verführt man Leute, sich etwas anzugucken, was sie vielleicht normalerweise nicht sehen wollen. Deswegen ist Humor für mich als Filmemacherin ein sehr wichtiges Mittel – ein Verführungsmittel sozusagen.