Es war der 9. August 1997, als Spielerinnen und Spieler Ultima Online unsterblich machten – mit einem Mord. An diesem Tag loggte sich Richard Garriot, der legendäre Entwickler hinter dem Rollenspiel, in eine Beta-Version ein. Wie immer benutzte er dafür seine Spielfigur, Lord British, eine Art unsterblichen König Arthur der Spielewelt. Eigentlich sollte Lord British in diesem Test unverwundbar sein, doch aufgrund eines vorhergegangenen Servercrashs vergaß er, den God Mode erneut zu aktivieren. Ein Fehler: Plötzlich sprach ein anderer Spieler einen Feuer-Zauberspruch, Lord British ging in Flammen auf und starb noch am gleichen Ort. Das wohl erste Attentat der Games-Geschichte zeigte wie kaum etwas anderes zuvor das Potential von Online-Rollenspielen: als Spiele, in denen die Community selbst Geschichte schreibt.
Tausende Spieler konnten sich 1997, als Ultima Online erschien, gleichzeitig in einer komplizierten und detaillierten Welt aufhalten. Ein lebendiges Fantasy-Reich voller Monster, Drachenbändiger, Quests, Freundschaften und unzähligen Geschichten. Der Gaming-Welt bewies Ultima Online, dass Online-Multiplayer die Zukunft der Videospiele sein würden. Und heute? “Ich habe schon so oft gehört, dass es bald mit Ultima Online vorbei sei, und dann ging es immer wieder weiter”, erzählt Lyraa. Sie ist eine der Spielerinnen, die ihre Welt bis heute nicht aufgeben will. Motherboard hat sie erklärt, was sie seit 17 Jahren immer noch weiterspielen lässt.
Videos by VICE
Seit 17 Jahren spielt Lyraa ‘Ultima Online’
Als Ultima Online vor 21 Jahren erschien, wurde es fast sofort zum Erfolg. Über 65.000 verkaufte Spiele innerhalb der ersten zwei Monate. Ein Jahr später zahlten über 100.000 Menschen weltweit eine Abo-Gebühr. Und das zu einer Zeit, in der viele Menschen noch an Modems hingen und Online-Freiminuten sammelten. Der Erfolg sollte den Weg ebnen für Spiele wie World of WarCraft. Heutzutage müsse man bisweilen ein bisschen länger durch die Spielwelt reisen, um auf Mitspieler zu treffen, sagt die Spielerin Lyraa. Aber immerhin: Es gibt noch aktive Spieler und Ultima Online wird weiterentwickelt. Seit April 2018 ist es erstmals Free to Play: Man muss nicht mehr eine monatliche oder halbjährliche Gebühr bezahlen sondern kann kostenlos, wenn auch mit Einschränkungen, spielen.
Lyraa hat als sogenannte Event-Moderatorin (EM) eine offizielle Funktion im Spiel inne und veranstaltet mehrmals im Monat in Absprache mit den Entwicklern Events auf dem deutschsprachigen Server Drachenfels. Damit niemand von ihrer Rolle als EM Lyraa auf ihre private Spielfigur schließen kann, die auf einem anderen Server aktiv ist, möchte sie in dieser Geschichte nicht mit ihrem echten Namen und privaten Details genannt werden.
Seit 17 Jahren spielt Lyraa nun schon Ultima Online. 17 Jahre, in denen das Internet die Welt veränderte, Computerspiele nahezu fotorealistisch wurden, und Richard Garriott alias Lord British ins All flog. “Ein Freund hatte mir damals von dem Spiel erzählt”, erinnert sich Lyraa, “ich habe mir die CD irgendwo bestellt, das war alles ziemlich kompliziert. Am Anfang war es auch frustrierend, denn das Spiel war nicht sehr einsteigerfreundlich.” Doch trotz der Startschwierigkeiten blieb sie bis heute dabei. Auch wenn die regelmäßigen Beiträge seit dieser Zeit einiges verschlungen haben, war ihre längste Pause nur vier Wochen lang. Und das auch nur, weil sie sich über einige Mitspieler in ihrer Gilde ärgerte.
Einst trafen sich Dutzende Spieler zur Drachenjagd
Die Welt von Ultima Online war anfangs gerade für Beginner harsch; Spieler konnten sich nahezu jederzeit und überall gegenseitig töten. Erst drei Jahre nach der Veröffentlichung teilten die Entwickler mit dem Renaissance-Update die Spielwelt in zwei Teile: Eine war friedvoller und verbot sinnloses Gemetzel. Die andere blieb mit ihren Regeln näher am Original. Das Update gefiel nicht allen Veteranen, aber das Spiel bekam dadurch noch einmal einen Schub: Im März 2003 gab es 250.000 zahlende Spielerinnen. Ein Jahr später aber erschien World of Warcraft (WoW) – und besiegelte den Untergang des grafisch und spielerisch in die Jahre gekommenen Ultima Online.
Auch Lyraa ging zwischenzeitlich fremd, spielte Earth and Beyond, WoW, EVE Online , Project: Gorgon, Minecraft und andere Online-Rollenspiele. Ultima Online überlebte alles. Vielleicht, weil Sosaria, wie die Spielwelt heißt, für sie so etwas wie ein zweites Wohnzimmer ist: “Es gibt immer noch viele Spieler, die ich von früher kenne. Damals waren wir alle zwischen 20 und 30, mittlerweile hat sich unser Leben natürlich verändert, aber viele loggen sich immer noch ab und zu ein. Mit einigen schreibe ich auch auf WhatsApp”, sagt Lyraa. Gleichzeitig freue sie sich immer, neue Spieler kennenzulernen: “Es ist immer schön, jemandem zu helfen, der noch nie gespielt hat und ganz simple Fragen zu seiner Rüstung hat.”
Wie das Leben der Spieler, hat sich auch der Alltag im Game selbst verändert. Kamen in den besten Zeiten an einem Abend auf dem Drachenfels-Server Dutzende Mitglieder einer Gilde zusammen, um gemeinsam auf Monster- und Beutejagd zu gehen, sind es heute deutlich weniger. Große Gilden-Allianzen können das zwar etwas ausgleichen, aber auch deshalb es Event-Moderatoren wie Lyraa: Bei regelmäßigen Events sollen die Spieler zu festgelegten Zeitpunkten zusammenkommen. “Letztens haben wir einfach nur mal Frühjahrsputz in unserem Königsschloss gemacht, da habe ich ein paar Ratten und kleinere Monster platziert”, erzählt Lyraa. Das sei schnell organisiert gewesen und ist vielleicht auch ein Zeichen für die älter werdende Community: Statt stundenlanger Monsterjagd ist nun eben gemütliches Rollenspiel angesagt. Für größere Events, an deren Ende es wertvolle Belohnungen gibt, sitze sie aber schon mal zwei bis drei Stunden dran, bis das Konzept stehe. Es solle ja schließlich auch Spaß machen und nicht immer das Gleiche sein.
‘Ultima Online’ ist ein lebendes Museum
Ultima Online war eines der ersten Spiele, das seinen Spielerinnen ein Gefühl grenzenloser Freiheit gab. Auf insgesamt 27 Servern, die wie Drachenfels für verschiedene Regionen errichtet wurden, entstanden in kürzester Zeit von der Community erschaffene Gilden, Allianzen, Handelsplätze. Man lernte sich kennen, hassen, lieben. Als ein Mitglied der deutschen Community verstarb, hielten seine Mitstreiter von Drachenfels zur Trauer einen Gedenkmarsch, wie ein Video auf YouTube zeigt. Ultima Online unterstützte den Community-Gedanken, indem es etwa Spielerinnen ermöglichte, eigene Häuser und Burgen zu bauen. Die Welt wirkte lebendig, sie veränderte sich, neue Siedlungen entstanden, andere gingen.
Heute ist die Entwicklung langsamer. Lyraa konnte beobachten, wie sich die ehemals lebhafte Welt von Sosaria veränderte. Die Treffpunkte hätten sich nun zu den Banken als Handelszentren verschoben. Es gebe zwar noch Auktionen, Gemeinschaftszentren und Spielerevents. Aber die seien seltener geworden; viele Spieler loggen sich nur noch ab und zu ein. “Je nach Region findet man mittlerweile Geisterstädte oder ganze Ebenen mit verlassenen Schlössern”, sagt sie. Eigentlich fielen Häuser von Spielern, deren Account geschlossen wird, nach 90 Tagen zusammen. Aber richtig alte Häuser aus der Frühzeit von Ultima Online seien davon nicht betroffen. Sie stehen in der Welt, oft abgeriegelt, verwaist bis in alle Ewigkeit oder wartend, dass die Besitzerin doch noch zurückkommt.
Wenn sie manchmal durch die Landschaft von Drachenfels spaziert, fühle sie sich schon wie eine Museumswärterin, erzählt Lyraa. Wie jemand, der aufpasst, dass diese über 20 Jahre alte Welt weiterhin bewahrt wird. Umso mehr freue sie, dass manche Spieler ihre Häuser zu privaten Museen gemacht haben, und die Geschichte des Spiels für die Ewigkeit konservieren.
Auf illegalen Servern existiert eine Parallel-Community
Weiter geht es aber nicht nur auf den offiziellen Servern, sondern auch auf den sogenannten Freeshards. So heißen Server in Ultima Online, die von der Community betrieben werden. Sie emulieren die offizielle Software, sind aber nicht an dessen Entwicklung gebunden. Sie benötigen deshalb auch kein Abo; auf ihnen kann man kostenlos spielen.
Das Problem: Diese Server sind eigentlich illegal, denn sie umgehen Teile der Original-Software. Da sie aber schon seit dem Beginn von Ultima Online existieren, werden sie geduldet. Die Entwickler des Spiels stecken in einer Zwickmühle: Einerseits wünschen sie sich natürlich, die Spieler kämen in den offiziellen Client und bezahlten für das Spiel. Andererseits würden viele Spieler der Freeshards aber ohnehin nicht mehr in die offizielle Version zurückwechseln. Entweder, weil es ihnen zu teuer ist oder weil sie mit der Entwicklung nicht einverstanden sind.
Auf VICE: LARPing hat mir das Leben gerettet
Viele Freeshards haben die Welt von Ultima Online nämlich nach ihren Wünschen gestaltet. Es gibt einzigartige Charaktere, Monster und Spielfunktionen. Manche versuchen, das Spiel aus der Anfangszeit zu simulieren und bewerben sich etwa als Renaissance-Server in Anlehnung an die große Erweiterung aus dem Jahr 2000. Andere Freeshards eignen sich vor allem für Spieler, die gerne gegen andere kämpfen. Manche sind für Veteranen, andere für Anfänger. In jedem Fall hat auch jeder Freeshard seine über Jahre gewachsene Community. Auf manchen tummeln sich sogar mehr Spielerinnen als auf den offiziellen Servern.
Deshalb sollte man auch nicht nur die offiziellen Server besuchen, um zu sehen, ob Ultima Online immer noch gespielt wird. Wer erst einmal in die Freeshard-Szene eintaucht, findet immer noch lebendige Communities, die sich über Jahre hinweg ihre eigene Parallelwelt aufgebaut haben – und die es wohl selbst dann noch geben wird, wenn Ultima Online abgeschaltet wird. Und was würde Lyraa in diesem Fall tun? “Für mich wäre das dann wohl das Ende”, sagt die erfahrene Spielerin, “dann hätte ich es wirklich fertig gespielt.”
Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter