Viele Menschen sterben jährlich an den Folgen ihres Drogenkonsums, ob an Alkohol, Nikotin oder illegalen Substanzen. Es ist an sich also eine gute Idee, sie möglichst früh über Risiken und Nebenwirkungen zu informieren. Aber wie läuft das an deutschen Schulen ab? Wir haben nachgefragt.
Jochen, 33
Zu uns kam ein Dorfpolizist mit einem Schaukoffer in die Schule. Wir waren in der 8. Klasse. Der Polizist hat einen Vortrag gehalten, uns erzählt, Cannabis sei eine gefährliche Einstiegsdroge, obwohl das ja eindeutig Alkohol ist. Nach Cannabis ging es direkt über zu Heroin. Psychostimulanzien und Psychedelika blieben außen vor. Der Vortrag wirkte auf uns ziemlich lächerlich. Schon alleine, weil der Polizist ständig das Wort “Cannabis” völlig falsch betonte. Nämlich etwa so: “Kaa-Na’biiis”. Alleine das sorgte bei uns in der Klasse schon für einige Lacher. Meine Freunde und ich hatten damals den Eindruck, dass der Mann wenig Ahnung von dem hatte, was er da erzählte. Nicht nur wegen der falschen Aussprache, sondern auch wegen der plumpen Schlussfolgerung, dass es vom ersten Joint direkt zur Heroinspritze geht. Auch wenn wir damals noch kaum Erfahrung mit Substanzen und solide Informationen besaßen, erschien uns der ganze Vortrag einfach zu unglaubwürdig.
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Im Schaukoffer hatte der Polizist nur verschiedene Haschischsorten und Cannabisblüten. Daneben lagen noch ein paar bunte Pillen, aber die hat er nicht einmal erwähnt. Während der Pause ließ er den Schaukoffer einfach offen auf dem Präsentationstisch in der Aula stehen. Einige aus meiner Klasse haben kurz überlegt, den zu plündern. Sie taten es dann aber doch nicht.
Zwei Wochen vor dieser Infoveranstaltung kam unser damaliger Klassenlehrer auf die Idee, uns ein kurzes Theaterstück einüben zu lassen. Er fragte die Klasse nach Ideen für die Umsetzung. Den Plot hatte er aber selbst schon festgelegt: die klassische Mär von der Einstiegsdroge. Vom Kiffer zum Heroinabhängigen. Ich spielte damals den Hauptprotagonisten und starb an einer dramatisch überzogenen Überdosis. Wir begleiteten den Tod mit Auszügen aus dem Hannibal-Soundtrack von Hans Zimmer, erleuchteten die Bühne mit Schwarzlicht. Drei in schwarze Laken gehüllte Schülerinnen tanzten um mich herum. Sie symbolisierten die rauschenden Todesengel. Das Stück kam bei den Zuschauern gut an und es machte uns auch Spaß. Aus heutiger Sicht war es inhaltlich natürlich völliger Quatsch.
Alba, 21
Ich bin in Bayern aufgewachsen und wie wir alle wissen, setzt man dort eher auf traditionelle, irrationale Tabuisierung statt auf effektive Prävention von Drogenkonsum. Das Thema Drogen wurde bei mir erst in der neunten Klasse behandelt. Ich hatte das Jahr wiederholt aufgrund einer Drogenpsychose. Ja, ich weiß, ironisch. Demnach kam ich gleich zweimal in den Genuss einer sogenannten Drogenprävention. Das erste Mal kamen ein paar Polizisten und brachten uns recht oberflächlich die Wirkung sämtlicher Drogen und natürlich ihre Risiken bei. Ich kann mich kaum daran erinnern, da ich zu der Zeit immer bekifft im Unterricht saß. Allerdings weiß ich noch, dass die Polizei eine recht dogmatische, dramatisierende Haltung hatte, was bei uns 14-Jährigen nicht sonderlich gut angekommen ist. Bei Jüngeren zieht Angstmachen vielleicht noch eher. Aber nicht in dem Alter, in dem einige Kids ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol oder Drogen schon hinter sich gebracht haben.
Die Polizei dafür einzusetzen war wohl auch nicht die beste Lösung, eher hätte ich mir gewünscht, dass Drogenberatende oder ehemalige Süchtige die Prävention durchführen und uns mit Verständnis für den Reiz von Drogen, aber auch mit der klaren Formulierung von Risiken begegnen.
Das zweite Mal war ein noch größeres Armutszeugnis. Es kam irgendeine Organisation mit VR-Brillen. Wir sollten sie uns aufsetzen, um die Simulation eines Alkoholrauschs zu erleben. Über andere Drogen wurde so gut wie nicht gesprochen, die gesamten zwei Stunden fokussierten sich maßgeblich auf Alkohol. Ich war damals 16 und hatte es gerade aus meiner Drogensucht geschafft, und dann kam da eine Tante, die mir erklären wollte, dass Alkohol gefährlich ist. Völlige Themenverfehlung. Ich wäre als 16-Jährige wohl deutlich kompetenter gewesen, diese Prävention zu führen, als das gesamte Team. Darauf bin ich nicht stolz, ganz im Gegenteil. Ich möchte damit aufzeigen, dass diese Prävention verdammt nochmal zu spät kam, auch wenn sie vielleicht nichts hätte aufhalten können. Und dass diese Leute weder kompetent waren, noch sich in den jugendlichen Geist einfühlen konnten, der Bock hat, alles auszuprobieren, was verboten ist.
Das dritte Mal wurden Drogen im Biologieunterricht erwähnt. Eine Referentin wollte uns ernsthaft weismachen, dass Cannabis die Pupillen weite, und sie bei MDMA-Konsum stecknadelförmig würden. Dann zeigte sie uns ein unfassbar schlechtes, unauthentisches Video, das einen Menschen auf einem Bad Trip zeigen sollte. Meine Anmerkungen wollte sie nicht hören, schließlich hatte sie das ja aus Büchern gelernt.
Ich würde Drogenprävention ganz anders organisieren. Zum einen sollte man unbedingt ehemalige Suchtkranke dafür einsetzen, die weder mit einer dogmatischen, noch einer zu fachlichen, noch einer naiven Haltung an die Kids herantreten. Zum anderen sollte man unbedingt über Drogen aufklären, die vermehrt von Teenagern konsumiert werden – dabei denke ich besonders an Kräutermischungen, die vermeintlich legal im Internet erhältlich sind und gravierende Folgen haben. Als ich 14 oder 15 war, haben das alle konsumiert, denn es war legal, billig und machte verdammt high. Und da es legal war, wurde es auch massiv unterschätzt. So manchen hat es ‘ne Psychose eingebracht, inklusive mir.
Und, am allerwichtigsten: früher anfangen. Das mag vielen komisch vorkommen, die erst gegen Ende der Pubertät oder Anfang ihrer 20er Drogen ausprobiert haben. Aber einige fangen doch sehr viel früher an. In meinem Freundeskreis waren alle zwischen 13 und 17 und wir haben uns konstant abgeschossen mit allem, was wir in die Finger kriegten. Das Argument, man könne Kinder ja auf dumme Gedanken bringen oder schockieren, ist naiv. Ich glaube kaum, dass es irgendjemanden in meiner Klasse gab, der nicht wusste, was Kokain, Heroin oder Gras ist. Und erst recht niemanden, der nach einer Drogenprävention am Hauptbahnhof Crack kauft, weil die Polizei es ihm so schmackhaft gemacht hat. Ich plädiere für eine konsequente Aufklärung in der siebten Klasse, denn ich war mit zwölf Jahren schon mit einer riesigen Gruppe Gleichaltriger unterwegs, die sich taschenweise Wodka im Edeka klauten. Man sollte eher vom Extremfall ausgehen als vom Streber, wenn man ernsthaft flächendeckend Prävention betreiben will.
Clara, 23
In der neunten und zehnten Klasse kam eine Frau in unsere Schule, um mit uns über Drogen zu sprechen. Ich weiß nicht mehr, was ihr Hintergrund war. Wir fanden das damals eher lustig. Aber es war sogar recht informativ. Sie erklärte uns zum Beispiel, was passieren kann, wenn man in der Schwangerschaft Drogen konsumiert oder was im Gehirn passiert, wenn man zu früh anfängt. Ich habe das Gefühl, sie hat nicht komplett auf die “alle Drogen sind super schrecklich”-Schiene gesetzt, sondern uns eher klargemacht, was passieren kann. Die Frau hat unsere Fragen beantwortet und alles so gestaltet, dass wir uns nicht wie kleine Kinder, sondern ernst genommen fühlten. Für mich war das meiste zu dem Zeitpunkt ohnehin unwichtig. Ich ich habe damals noch nicht einmal daran gedacht, zu trinken oder zu rauchen, geschweige den illegale Drogen zu nehmen. Ich glaube, dass wir mit dieser Frau Glück hatten. Bei anderen ist das vermutlich ganz anders verlaufen.
Ansgar, 27
Wir hatten in der neunten Klasse die Polizei als Aufklärungstruppe da. Eine Frau und ein Mann, wobei fast nur der Typ gesprochen hat. Ich erinnere mich vor allem an Floskeln und Halbwahrheiten: Dass Cannabis eine Einstiegsdroge ist. Dass man durch härtere Drogen wie Kokain und Heroin in eine Abhängigkeit gerät und im Drogensumpf landet. Um Alkohol ging es dabei kaum – und das, obwohl er als tödlichste Droge mehr Aufmerksamkeit bekommen müsste. Dazu hatten die beiden Polizisten ein paar Plakate an die Tafel gehängt, mit Bildern von den Drogen und deren Nebenwirkungen.
Am lustigsten war: Sie haben uns auch gefragt, wer schon mal Drogen genommen hat. Wir durften hinter die Tafel gehen und einen Strich bei der jeweiligen Droge machen; also so, dass niemand gesehen hat, wer was anstreicht. Von 30 Mitschülern hatten schon 14 gekifft und 6 sogenannte härtere Drogen konsumiert. Die Polizisten haben nicht schlecht geguckt.
Sebastian, 23
Als ich in der neunten oder zehnten Klasse war, bekamen wir an einem Tag Besuch von zwei Kripobeamten. Am Anfang haben sie ein bisschen was zu Alkohol gesagt: Welche Risiken mit dem Konsum einhergehen und wie man sie möglichst gering hält. Außerdem hatten die Beamten eine Brille dabei, die das Gefühl eines Alkohol-Vollrauschs simulieren sollte. Alles eher oberflächlich, aber immerhin. Sie behandelten den Alkohol als etwas “Normales”. Dann waren die illegalen Substanzen an der Reihe. Am meisten in Erinnerung blieb mir Cannabis. Dieser Droge haben sie die meiste Aufmerksamkeit gewidmet. Man hat uns erzählt, dass uns ein Dealer, wenn wir “Gras” auf dem Schwarzmarkt kaufen, beim ersten Mal etwas umsonst gibt, damit wir “auf den Geschmack kommen” und möglichst schnell mehr kaufen möchten. Des Weiteren haben sie behauptet, dass wir wahrscheinlich ziemlich schnell davon abhängig werden. Dann würden wir Schulden bei unserem Dealer machen, um mehr “Stoff” zu kaufen. Schließlich würden wir in die Beschaffungskriminalität rutschen und zum Beispiel Autoradios klauen.
Anschließend haben sie uns Bilder von Leuten gezeigt, die sich angeblich mit Cannabis zudröhnen. Einer hatte einen Motorradhelm als Hotbox aufgesetzt. Insgesamt haben sie Cannabis als etwas sehr gefährliches dargestellt und waren nicht objektiv – ganz anders, als beim Alkohol. Ich habe das in dem Moment noch nicht durchschaut, heute kenne ich mich ganz gut aus und finde es im Nachhinein ziemlich lächerlich. Ich hatte aber einen Klassenkameraden, der zu der Zeit schon etwas mehr darüber wusste als ich. Der saß neben mir und hat sich die ganze Zeit darüber aufgeregt, was die Leute von der Kripo da erzählen. Er war der Meinung, dass sie sehr übertreiben und teilweise Unwahrheiten erzählen. Wenn ich heute eine Klasse darüber aufklären sollte, würde ich objektiv über die Chancen und Risiken der einzelnen Substanzen berichten, den Menschen Safer Use beibringen – Dosis, Set und Setting – und ihnen von meinen eigenen Erfahrungen erzählen.
Christina, 28
Ich glaube, es war in der 7. Klasse. Wir hatten eine Suchtpräventionswoche. Ein Polizist hielt eine PowerPoint-Präsentation über Haschisch und Grassorten.. Er erzählte, dass neulich ein Mädchen in der Nachbarstadt an einer Ecstasy-Pille gestorben sei. Und er erklärte uns, wie sich Sucht anfühlt und wie wir das Gefühl nachempfinden können: einfach nichts trinken, solange wir können, bis es wirklich nicht mehr geht. Dieses Durstgefühl und das Verlangen, unbedingt etwas trinken zu wollen, wäre das gleiche, was ein Süchtiger nach seinem Suchtmittel hat. In irgendeinem anderen Fach haben wir dann natürlich noch “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” geschaut. All das war leider bei den wenigsten von uns erfolgreich. Ich fand diesen offensichtlichen Versuch, uns abschrecken zu wollen, zu albern. Und ich war wohl auch zu jung und zu neugierig.
Lucy, 37
Bei mir war es eine Mischung aus Verteufelung und Verführung, etwa so: “Also anfangs ist das ja alles gaaanz toll, und dann nach und nach, ohne dass du es merkst, kommt der Abstieg – und bevor du dich umschauen kannst, liegst du mit der Nadel in der Armbeuge in irgendeinem dreckigen Hinterhof.” Ich wusste danach nicht mehr über Drogen als vorher. Meine Neugier war auf eine absurde Art geweckt, ich habe angefangen, mich selbst zu informieren – und zunächst spezifisch auf Seiten, die warnen anstatt aufzuklären. Dabei ist mir aber aufgefallen, dass es kaum eine Droge gibt, die tatsächlich diesem ganz finsteren Bild entspricht.
Es hat trotzdem noch ein paar Jahre gedauert, bis die Neugier groß genug war, um mal eines dieser verruchten weißen Pülverchen in meine Nase zu ziehen. Und als ich am nächsten Tag nicht nur keinen Kater, sondern auch kein Craving hatte, waren die Vorurteile ziemlich dahin. Was ich zum Glück und dank des richtigen Umfeldes damals gemacht habe, ist, mich sehr gut über die Substanzen zu informieren, diesmal aber auf Internetseiten, die vor allem von Usern für User betrieben werden, und über Bücher aus einschlägigen Verlagen.
Mir haben die Substanzen extrem viel geholfen. Viele Geschichten der Schule haben sich als Lügen entpuppt und ich halte diese Lügen für äußerst gefährlich. Denn entdeckt man einmal, dass die meisten dieser Erzählungen Schwachsinn sind, ist man geneigt, alles andere auch nicht zu glauben und übersieht dabei möglicherweise reale Risiken. In diese Falle bin ich nicht getappt, aber ich glaube, dass viele andere das tun. Das ist ein Teufelskreis. Die Menschen, die aufgrund eines solchen Irrtums in Probleme hineingeraten, werden später wieder genau diese einseitigen Botschaften von der Droge als Teufelszeug verbreiten.
Aufklärung sollte vor allem ehrlich sein. Faktenbasiert. Ich bin selbst ehrenamtlich dafür auf Festivals und Partys unterwegs. Es geht natürlich nicht darum, Dinge zu verharmlosen, aber es darf genauso wenig darum gehen, Dinge zu verteufeln. Und ich sehe nach wie vor eine Tendenz, immer dann, wenn jemand positiv über eine Droge spricht, gleich draufzuhauen und zu sagen, das sei nun aber wirklich drogenverherrlichend. Das muss aufhören.
Ich fände es gut, das sauber aufzugliedern: Diese positiven und negativen Wirkungen hat die Droge. So schildern sie User und so beobachten sie Mediziner. Bei so einer Aufklärung könnte man aber kein Verbot mehr aufrecht erhalten. Es muss sich also politisch etwas ändern. Und wir müssen diskutieren, was diese Substanzen mit uns machen. Und damit meine ich nicht nur die illegalen: Warum konsumierst du morgens vor der Schule schon deinen ersten Energy Drink? Was macht es mit dir, wenn du in der Pause eine Zigarette rauchen gehst? Was hast du davon, wenn du abends ein Feierabendbier trinkst und welche Gefahren siehst du in all diesen Dingen? Wenn wir mal mit Alkohol, Koffein und Nikotin anfangen und diese nicht mehr so heuchlerisch von den anderen Drogen separieren, ist schon ein erster großer Schritt gemacht.
Weil Drogenbesitz in Deutschland eine Straftat ist, haben wir die Namen der Menschen anonymisiert.
Du möchtest mit jemandem über deinen Partykonsum sprechen und erfahren, wie du gesundheitliche Risiken und negative Folgen des Konsums minimieren kannst? In Berlin kannst du dich an das Beratungsangebot von SONAR wenden. Den Drogennotruf auch rund um die Uhr unter 030 19237.
Du hast ein Suchtproblem oder machst dir Sorgen um betroffene Freunde und Verwandte? Hilfe bei Drogenabhängigkeiten findest du in Deutschland über das Suchthilfeverzeichnis oder unter 01805 31 30 31. In der Schweiz bietet Safezone anonyme Online-Suchtberatung, lokale Suchtberatungsstellen findet man bei Infoset. In Österreich findest du Beratung über den Suchthilfekompass.
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