Valerie liebt Musik auch dann, wenn sie den Songtext nicht komplett versteht. Die 25-Jährige aus den Niederlanden ist ein glühender K-Pop-Fan, genauer gesagt lassen die Boybands BTS und EXO sowie die Girlgroup Blackpink Valeries sim-jang höher schlagen. Wie so viele kam sie zum K-Pop, ohne ein Wort Koreanisch zu können – und wie unzählige andere will Valerie das ändern.
“Ich denke nicht, dass es wirklich ein Sprachbarriere gibt”, sagt sie. “Aber die Songtexte liefern noch mal mehr kulturelle Bedeutung.” Zwar genieße sie die Songs auch ohne Text, doch bei ihren Lieblingstracks lese sie sich Übersetzungen durch. “Vor allem, wenn es in dem Song um etwas geht, womit ich mich identifiziere.”
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Wer schon länger als ein paar Stunden K-Pop-Fan ist, kann irgendwann automatisch ein paar Fetzen Koreanisch. Die Sprache zieht sich durch alles: die Insider-Witze; die großen Fernsehauftritte, für die es noch keine Untertitel gibt; die vielen Fan-Websites, wie das “Fancafé” von BTS auf der koreanischen Plattform “Daum”.
In westlichen Medien werfen Radiomoderatoren allerdings gerne mal alle koreanischen Idols in einen Topf, vermutlich weil für sie alles gleich klingt und aussieht. Dahinter steckt oft eine rassistische und xenophobe Sichtweise. Oder Musikkritiker schreiben über die europäischen Fans von BTS, sie hätten keine Ahnung von ihrer eigenen Lieblingsmusik – als wäre es heutzutage schwer, im Netz eine Song-Übersetzung zu finden. Oder ein Gefühl zu verstehen, das größer ist als Worte.
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Sprachschulen und diverse Medien haben längst bemerkt, dass K-Pop das Interesse am Koreanischen vorantreibt. In den USA stiegen die Teilnehmerzahlen bei Koreanischkursen zwischen 2013 und 2016 um fast 14 Prozent, berichtet der US-Berufsverband der Sprachwissenschaftler. Und das in einer Zeit, in der sich Menschen in den USA immer seltener für Sprachkurse anmelden. Die deutsche Seite Annyeong South Korea nennt K-Pop-Songs als Grund, die Sprache zu lernen. Portale wie gutefrage.net quillen über vor jungen Ratsuchenden, die Mama von ihrer Leidenschaft für Koreanisch überzeugen wollen oder Gratis-Onlinekurse suchen. Südkorea werde wirtschaftlich und kulturell immer wichtiger, schreiben auch deutsche Universitäten, die steigendes Interesse an ihren Koreanischkursen verzeichnen.
Hyunwoo Sun betreibt die preisgekrönte Lernplattform “Talk To Me In Korean” auf mehreren Kanälen. Auch bei K-Pop-Fans ist sein Angebot beliebt. “Das Interesse an Koreanisch ist schon immer da”, betont er. “BTS und andere berühmte Gruppen sind nicht der einzige Grund, warum Leute die Sprache lernen.” Allerdings erleichtere die Popmusik das Lernen. “Heutzutage kannst du dich zum Beispiel online mit anderen Fans aus der ‘BTS ARMY’ verknüpfen, das erhöht die Motivation. Auf einmal ist es nicht mehr so seltsam, dass du Koreanisch lernst.”
Die Britin Katy ist 25, liebt verschiedene K-Pop-Gruppen und studiert Koreanisch an der Uni. “Ich wollte verstehen, was die Idols singen und was sie in den Entertainment-Shows erzählen”, sagt sie. “Ich habe angefangen, hier und da ein Wort zu lernen, und bin daran hängengeblieben.” Nach ein paar Monaten habe sie das erste Lehrbuch gekauft.
Bei genug Leidenschaft für K-Pop bleiben zwar ein paar Wörter auch von allein hängen, viele Hörerinnen betonen aber, wie wichtig Fan-Übersetzungen für sie sind. Die Freiwilligen verbringen Stunden damit, Tweets, Videos und Musik global verständlich zu machen. Eine dieser Übersetzerinnen heißt auf Twitter @alittlefreakey, als “echten” Namen nennt sie uns lediglich “S”. Sie ist ein Fan der Boygroup Shinee, vor allem Sänger Key hat es ihr angetan.
“Ich bin koreanisch-amerikanisch, aber da meine Eltern beide Englisch konnten, lernte ich als Kind kaum Koreanisch”, erzählt S. “Deshalb konnte ich nicht so gut mit meinen Verwandten kommunizieren.” Sie habe es lernen wollen, und da seien Übersetzungen zu Shinee unterhaltsamer gewesen als ein Sprachkurs. “Ich bin seit dem Debüt der Band eine Shawol, so heißen Shinee-Fans. Videos zu untertiteln brachte ich mir extra bei, um ihnen bei ihrem internationalen Durchbruch zu helfen.”
S übersetzt seit 2009, zwischendrin gab es eine lange Pause, doch nun ist sie zurück, um Key bei seinen neuen Solo-Releases zu unterstützen. Der Aufwand lohnt sich aus ihrer Sicht. Sie sieht, wie das Fandom weltweit wächst. Gleichzeitig betont sie, wie viel Verantwortung auf einer Fan-Übersetzerin lastet – und beklagt, dass nicht alle die Aufgabe so ernst nehmen wie sie. “Ich würde mir wünschen, dass Fans, die Übersetzungen posten, besser aufpassen. Fans, die kein Koreanisch können, verlassen sich auf uns.” Man müsse extrem sorgsam vorgehen, um Aussagen nicht zu verzerren. “Schlechte Übersetzungen schaden mehr als gar keine Übersetzungen”, meint S.
Damit könnte sie Recht haben: Im K-Pop verbreiten sich häufig Falschinformationen aufgrund eines fehlerhaft übersetzten Tweets. Das kann der Karriere des Idols schaden. Zitate müssen aber nicht nur im Wortlaut stimmen, oft müssen die Übersetzerinnen und Übersetzer Aspekte der koreanischen Kultur erklären, damit die Aussagen global verständlich werden. Die YouTuber Danny und David Kim haben dieser Aufgabe eine ganze Video-Reihe namens “Explained by a Korean” gewidmet. In den Clips gehen sie gründlich auf Anspielungen und Wortspiele ein, die internationale Fans sonst nicht mitbekämen.
Das Phänomen, dass Fans durch ihre Lieblingsmusik Sprachen lernen, ist nicht auf K-Pop und Koreanisch beschränkt. Fast alle, die gern Musik mit Gesang hören und eine andere Muttersprache als Englisch haben, haben das wohl schon zu einem gewissen Grad selbst getan. Ich bin Brasilianerin, meine Muttersprache ist also Portugiesisch, und den Großteil meiner Englischkenntnisse verdanke ich den kalifornischen Punkbands, die ich als Teenager feierte. Damals, in meiner Ära des grauenhaften Eyeliners, verbrachte ich Stunden damit, Übersetzungen nachzuschlagen und untertitelte Dokus zu schauen. Diese Hingabe erschien mir nur natürlich: Ich mochte diese Bands und ihre Musik, also wollte ich mehr über sie wissen. Warum sollte es uns also verwundern, wenn westliche K-Pop-Fans Koreanisch lernen wollen?
“Ich denke, es gibt Vorurteile gegen K-Pop-Fans, die sexistische Gründe haben”, sagt Yady, ein 24-jähriger Fan von BTS und den Girlgroups EXID und Twice. Sie lebt in den USA, ihre Muttersprache ist Spanisch. “Ich weiß, dass auch andere fremdsprachige Medien in den USA ihre Fan-Subkulturen haben – internationale Filme, sogenannte Weltmusik. Aber diese Szenen sind eben männlich dominiert.” Yady meint, da es sich bei K-Pop-Fans oft um Mädchen und junge Frauen handelt, würden viele davon ausgehen, dass sie nicht clever genug seien, sich zu informieren und ihr eigenes Fandom zu verstehen.
Innerhalb des K-Pop-Fantums gibt es eine ungeheure Vielfalt an Nationalitäten. Das wissen die Fans, sie sind stolz darauf und helfen einander. Nicht nur beim Verständnis der Texte, die häufig einige Fetzen Englisch enthalten – “oh my god”, “baby, whussup”, “get ya hands up” –, sondern auch, wenn es um Infos zu den liebsten Stylingprodukten der Idols geht, oder um komplexe politische Zusammenhänge.
Es ist aber auch unter Fans nicht alles Friede, Freude, Pajeon (ein koreanischer Pfannkuchen). Nicht-koreanische Fans entwickeln manchmal regelrechte Fetische für die Sprache, oder verlangen englischsprachige Songs von koreanischen Bands. Yady sieht in solchen Anfragen eher Unwissenheit als Respektlosigkeit: “Es ist eben befriedigend, wenn man seine Lieblingsstimmen in einer Sprache hört, die man versteht. Die westliche Entertainment-Branche will vermutlich auch Ausländer in die Assimilierung drängen.” So erhoffe man sich wohl mehr Zugänglichkeit für Fans im eigenen Land und damit mehr Gewinn.
Dabei kann Musik Sprachbarrieren völlig sprengen. Der pulsierende Beat auf “내가 제일 잘 나가 (I Am the Best)” von 2NE1 versprüht reines Selbstbewusstsein. Wenn Kim Taehyung aka V von BTS in “Singularity” ruhig und hauchig auf den zurückhaltenden Beat singt, verstehen alle die Melancholie darin, auch wenn sie kein Wort Koreanisch können. In ein hochwertiges Musikvideo verpackt können diese Messages ganz ohne Sprachkurs in alle Ecken der Welt vordringen.
“Auch wenn es keine Übersetzungen und Untertitel gäbe: Die Musik ist selbst schon eine Sprache”, sagt Tássia, eine 28-jährige K-Pop-Anhängerin aus Brasilien. “Du weißt, ob ein Song traurig oder happy ist, auch wenn es ein Instrumental ist.” Mit der Mimik, der Choreografie und den Szenen im Video werde die Message nur noch deutlicher. “Alles ist Sprache”, sagt Tássia. “Aber nicht jede Sprache hat Wörter.”