Weshalb wünschen österreichische Rechte Frauen Vergewaltigungen durch Flüchtlinge?

Wo die einen Mut schöpfen und sich Besserung durch einen neuen Bundeskanzler und -präsidenten erhoffen, sehen andere dieser Tage Österreich in Flammen vor ihnen; Horden von Ausländern, die nun über unser Land hereinbrechen, um “unsere Frauen” zu vergewaltigen. Dass Rechte schnell zu vermeintlichen Feministen werden, wenn sie glauben, so ihren Rassismus legitimieren zu können, hat man nach Köln erlebt.

Was sich nun abspielt, ist sehr schwer einzuordnen. Denn vielen Usern auf Twitter und Facebook scheint es jetzt darum zu gehen, dass, wenn schon jemand vergewaltigt wird, dann doch wenigstens die Frauen, die es nicht anders wollen, weil sie schließlich Alexander Van der Bellen gewählt haben. So in etwa konnte man es zumindest in den vergangenen Tagen in den sozialen Netzwerken und hier vor allem auf der Seite von Heinz-Christian Strache lesen. Strache löschte daraufhin einige seiner Postings, unter denen es zu massiven Anfeindungen kam, und rief zur Mäßigung auf.

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Ein Mann, der sich auf Facebook als Polizist ausgab, schrieb zum Beispiel unter einem Posting des FPÖ-Chefs zum Ausgang der Wahl: “Und hoffentlich dawischts an Grün-Wähler mit Vergewaltigung und dergleichen.” Auf Twitter waren ähnliche Dinge zu lesen. Der Sieg von Alexander Van der Bellen schien für einige User Anlass zu sein, drohende Vergewaltigungen zu sehen oder den Frauen welche zu wünschen, die den Sieg Van der Bellens befürworteten.

Ein paar Tage zuvor hatte das Gatestone Institute, das zwar versucht, sich seriös zu geben, aber mit islamophoben Weltuntergangsszenarien und Verschwörungstheorien à la “Islamisten infiltrieren die schwedische Regierung” glänzt, einen Artikel mit dem Titel “Migrantenvergewaltigungsepidemie erreicht Österreich” veröffentlicht. Der Artikel strotzt vor falschen Zahlen, Vorurteilen und Verallgemeinerungen. Auf Facebook wurde er trotzdem von knapp 8.000 Menschen geteilt.

Unter einem Artikel von Oe24, der am Mittwoch, dem 25. Mai, erschien und über eine Vergewaltigung vor rund zwei Wochen in Salzburg berichtet, sammeln sich wieder hunderte Kommentare mit ähnlichem Inhalt.

“Dank VdB-Wählern werdens (Anm.: Vergewaltigungen) auch nicht weniger. Erst wenn sie es am eigenen Leib erfahren, werdens munter. Hätten halt wo anders das Kreuzerl machen müssen.”

“Man kann nur hoffen, dass es eine VdB-Wählerin erwischt hat.”

“Hoffentlich trifft es die Van der Bellen-Wähler, die wollen das so.”

Das Opfer in dem Artikel ist aus Deutschland—woher die Täter kommen, steht im Artikel nicht. Das ist den Kommentierenden aber egal. Sie unterstellen Oe24, die Vergewaltigung nicht früher öffentlich gemacht zu haben, damit Hofer die Wahl verliert und geben Van der Bellen und seinen Wählerinnen und Wählern die Schuld an dieser Vergewaltigung. Eine Userin schreibt: “… dass es durch die Asylinvasion jetzt so viele Vergewaltigungen und Übergriffe gibt wie nie zuvor!! Ihr Linkslinken bildet euch nur weiter ein, dass es nicht noch schlimmer kommt.”

Dabei zeigte gerade die Bundespräsidentschaftswahl, dass gerade in jenen Bezirken und Ortschaften, in denen es viele Ausländer gibt, weniger Menschen Hofer wählen. Am Yppenplatz zum Beispiel, den einige Medien nach dem Mord an einer Frau durch einen Kenianer zur absoluten Gefahrenzone erklärten, kam Alexander Van der Bellen auf 83 Prozent der Stimmen. Simmering war mit 50,3 Prozent für Norbert Hofer der einzige Bezirk, in dem der Freiheitliche gewann. Auch jene Bezirke mit einem hohen Ausländeranteil wählten bei der Bundespräsidentschaftswahl mehrheitlich den weltoffeneren Kandidaten. In Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild.

Je niedriger der Ausländeranteil in in einer Ortschaft, desto höher der Anteil von Pegida-Fans auf Facebook. Oft resultieren Ängste und Vorurteile also nicht aus dem direkten Kontakt mit Asylwerbern, sondern aus einem fehlenden Kontakt mit ihnen. Viele Menschen beziehen so ihre Informationen aus dem Internet, aus den Kommentaren anderer, reißerischen Medienberichten und populistischer Politik und schaukeln sich so gegenseitig auf.

In einem Artikel hat die Wienerin ebenfalls Facebook-Kommentare gesammelt, in denen Frauen vorgeworfen wird, sie seien selbst Schuld, wenn sie vergewaltigt würden, schließlich hätten sie mehrheitlich Van der Bellen gewählt. (60 Prozent der Frauen stimmten für Van der Bellen, 60 Prozent der Männer für Hofer.)

“Die weiblichen VdB-Wähler sollen sich gefälligst von Asylanten vergewaltigen und erschlagen lassen.”

“Für mich hat sich Zivilcourage erledigt. Da Frauen im hoher Prozentzahl Hr. VdB ihre Stimme gegeben haben, haben sie meinerseits keinen Schutz mehr verdient.”

Rechte in Österreich fürchten also auf der einen Seite nicht nur Männer, die nach Österreich kommen und hier Frauen vergewaltigen. Sie wünschen auf der anderen Seite auch noch jenen Frauen, die sich gegen eine Flüchtlingspolitik nach Orbán-Vorbild aussprechen, selbst vergewaltigt zu werden.

Das wirft verschiedene Fragen zum Thema Vergewaltigungen auf.

Gibt es tatsächlich mehr Vergewaltigungen?

Grafik: VICE, anhand von Zahlen des Bundeskriminalamts. Anzahl der Vergewaltigungen durch in Österreich wohnhafte Männer.

Mein Kollege Christoph hat sich schon einmal mit der Frage beschäftigt, weshalb so viele Menschen glauben, die Fremdenkriminalität sei gestiegen. Um diese Aussage zu untermauern, werden meist relative Zahlen herangezogen, die viele Fakten ausklammern. Ob zum Beispiel auch mehr Asylwerber in Österreich leben. Norbert Leonhardmair, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wiener Zentrums für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung (VICESSE), sagt zu den Zahlen Folgendes: “Die Anzeigen sind in den letzten paar Jahren etwas zurückgegangen, in der Mehrzahl der Fälle kennen sich Täter und Opfer und sind gleicher Nationalität. Die Bereitschaft, ein Delikt im öffentlichen Raum durch jemand Fremden anzuzeigen, ist viel höher. Entscheidend ist, ob Übergriffe innerhalb der Familie angezeigt werden.”

Laut einer Rechnung des Standard ist “Fremdenkriminalität” zuletzt nicht gestiegen, sondern gesunken. Auch Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, hat bereits vor einem halben Jahr in der Zeit im Bild bestätigt, dass diese nicht gestiegen ist. “Was wir sehen, ist, dass ein bestimmtes Feld steigt: Das ist nicht die Kriminalität von Flüchtlingen, sondern die Kriminalität gegen Flüchtlinge”, sagte Grundböck damals im Interview. Das Statement ging viral—und erreichte anscheinend trotzdem nicht diejenigen, deren Befürchtungen hier widerlegt wurden.

Auch der Verfassungsschutz sieht einen “dramatischen Anstieg” bei rechtsextrem motivierten Straftaten. Gerade vergangenen Freitag wurde in Oberösterreich ein 20-jähriger Mann festgenommen, der drohte, “alle Asylanten mit seiner Schrotflinte” niederschießen zu wollen. Bei einer Hausdurchsuchung wurden diverse Waffen, Munition und Devotionalien aus dem 2. Weltkrieg gefunden, am Dienstag wurde eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Oberösterreich niedergebrannt. Diese Aktionen werden in den Augen der Täter durch das subjektive Gefühl, sich und andere beschützen zu müssen—das durch gewisse Parteien und Medien verstärkt wird—legitimiert.

Wenn die Zahl nicht gestiegen ist, weshalb plötzlich die große Angst davor?

Was hat es mit dem Gedanken an eine Vergewaltigung auf sich, dass sie gerade so stark (sowohl als Drohung, als auch zur Angstmache) genutzt wird? Norbert Leonhardmair erklärt das so: “Es geht hier ja auch um ‘unsere Identität’, also ‘die jungen Männer von dort kommen her, um unsere Frauen zu vergewaltigen.’ Damit lassen sich Männlichkeits- und Beschützerphantasien aktivieren und mobilisieren, sodass sich dann zum Beispiel Gruppierungen wie Bürgerwehren bilden. Es spielt auf jeden Fall, wie es für den rechtsradikalen bis -extremen Bereich passend ist, in diese überhöhte Männlichkeit, die da auch ein Stück weit unter Bedrohung ist. Nach diesem Weltbild sind ja nicht nur die Frauen bedroht, sondern auch die Männer und die Männlichkeit, die die Frauen nicht entsprechend schützen können.”

Auch der österreichische Ableger der Identitären fordert “Frauen schützen—Grenzen schließen!” und verteilte diesen Frühling auf den Straßen Pfefferspray an Frauen, damit sich diese gegen Übergriffe durch Ausländer wehren könnten. Das Team Stronach erntetet mit derselben Aktion am Weltfrauentag jene Reaktionen, die eigentlich jede Aktion des Team Stronach hervorruft: Ärger und Kopfschütteln. Der steirische RFJ-Landesobmann, Stefan Hermann, sagte ebenfalls im März: “Wenn radikale Steinzeitislamisten Frauen wie Freiwild behandeln, muss mit aller Härte dagegen vorgegangen werden”, und forderte eine Ausgangssperre für Asylwerber während der Nachtstunden.

“Vergewaltigung ist ein Stück weit Tabuthema, es ist emotionalisierbar und die Diskussion ganz stark verwoben mit einem überhöhten männlichen Geltungsbedarf”, erklärt Norbert Leonhardmaier im Gespräch. Das kann man nützen.

Instrumentalisieren Rechte Vergewaltigungen durch Asylwerber?

“Vergewaltigung ist kein Menschenrecht”, wurde Norbert Hofer in einer Presseaussendung Ende März zitiert und bezog sich dabei auf straffällig gewordene Asylwerber. Von Seiten der FPÖ wird dieses Thema nur dann aufgegriffen, wenn es ihrer Politik dienlich ist. Bei Vergewaltigungsdrohungen auf FPÖ-Seiten gegen Ingrid Thurnher oder Mirjam Weichselbraun gibt es hingegen keine FPÖ-Presseaussendung zu sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen.

Stattdessen bringt die Partei Asylwerber auch dann in Zusammenhang mit Vergewaltigungen, wenn es keine Vergewaltigungen gab. Der FPÖ-Landtagsabgeordneten David Schießl bezeichnete im April die Unterbringung von 100 Flüchtlingen in der Landwirtschaftsschule Burgkirchen als “eine inakzeptable Vergewaltigung der Burgkirchner Bevölkerung”.

“Es gibt Gruppen, bis hin zu Parteien, die natürlich versuchen, anhand von Vergewaltigungen zu mobilisieren,” so Leonhardmair. “Es wird versucht, politisches Kapital daraus zu schlagen, aber wenn man sich diese Diskussionen ansieht, dann wird klar: Es ist kein breiterer Diskurs über Gewalt und sexualisierte Gewalt an Frauen, sondern es ist wirklich nur auf die Gruppe der Asylwerber bezogen. Da diskutiert ja keiner über die Tatsache, dass solche Übergriffe meistens in den eigenen vier Wänden passieren.”

Interessant—aber wenig überraschend—ist, dass sich im Kampf für die Emanzipation die Anliegen von FeministInnen und Rechten manchmal zu überschneiden scheinen—wenn auch oft mit völlig unterschiedlichen Intentionen. (Sexualisierte) Gewalt gegen Frauen darf nicht totgeschwiegen, aber sie darf genau so wenig politisch missbraucht werden. “Von einer Debatte über Männlichkeit und sexualisierte Gewalt würde unsere Gesellschaft profitieren, allerdings ohne sich auf ein paar Sündenböcke zu beschränken”, so Norbert Leonhardmair.

Hanna auf Twitter: @HHumorlos