Popkultur

​Das Dschungelcamp macht mich zu einem besseren Menschen

Helena Fürst beim Weinen. Screenshot via rtl.de

Nachdem die erste Woche von Ich bin ein Star, holt mich hier raus! vorbei ist, kann ich voller Euphorie berkünden: Der Dschungel, den ich immer geliebt, aber seit letztem Jahr schon totgeglaubt habe, ist in all seiner sozialpornografischen Pracht wieder da.

Nach dem Quotenflop von 2015 hat sich RTL besonders angestrengt, um seine sadistischen Zuschauer zufriedenzustellen: Mitunter unterhalten uns dieses Jahr Helena Fürst („Anwältin der Armen” und Albtraum eines jeden deutschen Beamten), Menderes (DSDS-Jacko-Double und Allstar der Herzen), Thorsten Legat (Helenas Antagonist und Ex-Fußballprofi, der einmal auf einem Mc Donald’s-Parkplatz „aus Notwehr” ein Samurai-Schwert zückte) und noch ein paar andere erfolgreich gescheiterte Halbstars, die unser aller Bedürfnis nach Voyeurismus bis zum nächsten Jahr befriedigen sollen.

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Auch Sonja und ihr Sidekick Daniel strengen sich wieder ein bisschen mehr an—oder aber ihre Schreiber sind einfach besser geworden. Die Gags bestehen zu fast gleichen Teilen aus Popkultur-Referenzen und akademischen Anspielungen und holen sowohl Hipster als auch Prolls ab, was in Hinblick auf ihre Zielgruppe eindeutig Sinn ergibt. RTL, das ist zu #IBES-Zeiten nicht nur der Sender für Leute, die RTLnow.de „rtlnau.de” schreiben.

Beim Dschungelcamp bringen sie sogar schmidteske Pointen wie „Und was machen Deutsche am liebsten, wenn die Fackeln brennen? Richtig, hetzen!”, wenn sie von lästernden Promis am Lagerfeuer reden und haben verdammt nochmal Recht. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber mittlerweile liebe ich sogar Sonja Zietlow und ihre wilden Muster-Mix-Shirts mit Fledermausärmeln ein bisschen.

Trotzdem bringt mich das Dschungelcamp Jahr um Jahr in ein moralisches Dilemma. Das Format funktioniert bei mir nämlich genau so, wie es funktionieren soll: Ich liebe, ich hasse, ich will Leid sehen—und gleichzeitig würde ich am liebsten niemandem erzählen, dass ich mich jeden Abend darauf freue, bis zu 12 fertigen Menschen dabei zuzusehen, wie sie Schwimmhäute fressen oder sich über angepisste Klobrillen aufregen. Es ist mein schlimmstes Guilty Pleasure, aber irgendwie auch mein liebstes. Und jetzt weiß ich endlich auch, warum.

Denn das Dschungelcamp bewirkt noch etwas anderes, viel Substanzielleres bei mir. Es lässt mich überdenken, wie schnell ich mir Meinungen über Personen bilde. Beinahe keiner der Kandidaten ist so, wie ich ihn oder sie im Vorhinein eingeschätzt hatte—zumindest von denjenigen, die ich vor Beginn kannte (was zu meiner eigenen Schande fast alle waren).

Menderes bringt die Mama in mir zum Vorschein

Menderes zum Beispiel hielt ich jahrelang für einen völlig wahnsinnigen Psycho, dem jegliche Fähigkeit zur Selbsteinschätzung fehlt. Nachdem er viel zu oft zum DSDS-Casting gegangen ist und ein paar Mal aus Mitleid in den Recall kam, konnte er einem nur noch leid tun. Ich war mir nie sicher, ob Menderes’ Wahrnehmung einfach völlig an der Realität vorbei geht oder er vielleicht doch eine masochistische Ader hat und ihm Dieter Bohlens Hohn auf perverse Art Befriedigung verschafft. Nachdem ich ihm jetzt ein paar Tage beim Leben und Leiden zugesehen habe (was bei Menderes dasselbe zu sein scheint), poppen in meinem Kopf beim Gedanken an Menderes kleine, hilflose Babykätzchen auf, die dringend Zuwendung und Liebe brauchen.

Menderes gibt sich im Camp überlegt und ruhig, gibt offen zu, dass er jemanden braucht, der ihn auch abseits seiner Rolle als Witzfigur wahrnimmt und hat außerdem gestanden, dass er mit über 30 Jahren noch Jungfrau ist. Was braucht es mehr, um den Mutterinstinkt aller Zuschauerinnen zu aktivieren? Jedenfalls hat er es schon nach der ersten Sendung geschafft, dass ich mein Weltbild ein bisschen überdacht habe. Irgendwo ganz tief in meinem Inneren hatte ich wohl immer schon eine Schwäche für Zartbesaitete. You are not alone, Menderes.

Sophia zeigt mir, dass es nicht auf Oberflächlichkeiten ankommt

Ähnlich erging es mir bei Sophia Wollersheim, Studienabbrecherin der Journalistik und Gattin von Rotlicht-König Bert Wollersheim. Im Vorfeld war für mich klar, dass sie die Rolle der Ober-Bitch einnehmen würde.

In Wirklichkeit—sofern das in Bezug auf den Fake-Dschungel ein passendes Prädikat ist—dürfte sie eine ziemlich bodenständige, coole Frau sein, die zwar hin und wieder ein bisschen lästert, aber sich damit erstens weitestgehend aufs Dschungeltelefon beschränkt und zweitens verdammt noch mal nur die Wahrheit sagt (zum Beispiel in Bezug auf Nathalie Volk).

Ich glaube, mit ihr geht es mir ähnlich wie mit Thorsten. Erst vor kurzem hat er ihr in einem Gespräch am Lagerfeuer gestanden, dass er sie lange Zeit für eine Tussi hielt, die sich nur durch ihre gemachten Brüste definiert, jetzt aber besser wisse, wie sie wirklich ist: nämlich sehr nett und völlig normal. Das ist vielleicht auf eine andere Art gruselig (und ich habe vor mir selbst Angst, weil ich mit Thorsten einer Meinung bin), aber es straft trotzdem unsere Trash-TV-Konditionierung Lügen.

Sophia ist tough und es ist ihr scheißegal, ob ihre mit Strass besetzten Fingernägel kaputt gehen oder sie sich mit einer Hühnermaske auf den blondierten Haaren zur Idiotin macht.

Helena ist eine Warnung vor dem Wahnsinn im Normalen

Helena Fürst hingegen habe ich vor Beginn des Camps für eine völlig durchschnittliche Deutsche gehalten, die einfach mal wieder ein bisschen Geld braucht. Aber spätestens in dem Moment, als ich zum ersten Mal ihre Frisur sah, wusste ich, dass ich nichts weiß.

Wie es diese Frau jemals geschafft hat, in ihrer Sendung irgendeine Art von bürokratischem Sieg für einen Hartz IV-Empfänger in der Schuldenfalle zu erreichen, ist mir ein Rätsel. Alle Diskussionen, die sie bisher in der Show geführt hat (und das waren viele), quittierte sie mit „Das hast du doch selber auch grad gesagt”, bevor ihre pink angestrichenen Lipgloss-Lippen zu bröckeln beginnen.

Dass sie es verdient hat, als Nachfolgerin von Sarah Dingens und Larissa bisher täglich in die Prüfung gewählt zu werden, ist damit wohl ausreichend erklärt. Ihr Martyrium wird wohl jetzt ein Ende haben, weil die Zuschauer nicht mehr über die Prüfungen bestimmen können. Andererseits müssen wir so zumindest nie mehr mitanhören, wie sie versucht, durch einen Helm voller Fliegen „Angels” von Robbie Williams zu singen. Helena hätte das Zeug zur Dschungelmama und Konfliktreglerin gehabt, ist aber letzten Endes der Grund für so ziemlich jeden Konflikt. Sie geht allen Campern und (nach den Kommentaren auf der offiziellen IBES-Facebook-Page zu urteilen) auch den Zusehern unendlich auf den Geist. Sie lehnt Dschungelprüfungen ab, ist besserwisserisch, haut Sätze wie „Ich bin Helena Fürst und stolz drauf” raus und lässt Thorsten bei der gemeinsamen Dschungelprüfung gefühlte 99 Prozent der Cocktails aus Rattenschwänzen, Eutern und Lammhirne essen, ohne sich dabei auch nur irgendwie schlecht zu fühlen. Immerhin bringt ihr das Aufmerksamkeit, wie sie selbst richtig erkannt hat. Mit dem Spitznamen „Furzfrau” wird sie wohl leben lernen müssen.

Fazit

Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber auch beim Dschungelcamp-Schauen kann man Dinge lernen. Nicht nur, dass Tauben die Nachfahren der Dinosaurier sind (die nur gestorben sind, „weil sie ziemliche Scheiße gebaut haben”), sondern eben auch, dass nicht immer alles so ist, wie es die anderen TV-Formate ohne Käfer und Grünzeug suggerieren.

Im diesjährigen Camp entpuppen sich die vermeintlich Gestörten als liebenswürdige Hascherl, wie der Kärntner sagen würde, und die Mutterfiguren werden zu den größten IBES-Opfern. Wahrscheinlich spreche ich dem Dschungelcamp an dieser Stelle ein bisschen zu viel Macht über mein Leben zu, aber offensichtlich lohnt es sich, festgefahrene Meinungen über Menschen noch einmal zu überdenken. Außer bei Nathalie Volk. Die ist immer noch genau so scheiße, wie ich sie von GNTM in Erinnerung hatte.

Verena ist wahrscheinlich immer noch ein schlechter Mensch und einfach nur auf Menderes’ Hundebaby-Masche reingefallen. Schimpft sie auf Twitter: @verenabgnr