Popkultur

Sami Slimani hat uns alle getrollt

Wir leben in informationstechnisch unsicheren Zeiten. Photoshop kann mittlerweile jeder, eine unübersehbare Flut an Informationen prasselt permanent auf uns ein und lässt kaum noch Zeit und Raum, das Wahre vom Inszenierten zu unterscheiden—kein Wunder, dass man schnell mal einer Falschmeldung aufsitzt oder einen Scherz nicht direkt als solchen erkennt. Das bezieht sich allerdings nicht nur auf manipulierte Fotos und Videos oder bewusst gestreute Zeitungsenten. Manchmal sind es auch in der Öffentlichkeit stattfindende Personen, die nicht das sind, was sie zu sein scheinen.

Bisher war Money Boy der Inbegriff der Medienpersönlichkeit, bei der Realität und Inszenierung schon immer recht schwer auseinanderzuhalten waren—und nach jahrelangem wirklich spektakulären Drogenkonsum dürfte sich auch der Künstler selbst nicht mehr so ganz sicher sein, wo seine bürgerliche Existenz aufhört und seine Swag-Personality anfängt.

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Wer allerdings glaubt, dass Money Boys „Scuuuuurrrrr”-Lifestyle—bei dem man sich immer ein bisschen so fühlt, als wäre man in einem Langenscheidt-Jugendwörterbuch gefangen—schon überzeichnet ist, hat sich wahrscheinlich noch nie ein Video von Sami Slimani angeschaut.

Der Mittzwanziger aus Stuttgart ist nicht nur immer wahnsinnig gut gelaunt und aufgedreht, sein Leben ist auch eine einzige Abfolge von tollen Ereignissen, die er sich hart erarbeitet hat, weil er seinen Traum nie aus den Augen verloren hat. Was er sagt, wie er es sagt und wie das Ganze inszeniert ist, ist so beliebig, dass es jeden und niemanden anspricht, und hat gerade noch genug Inhalt, um den Kiddies da draußen ein gutes Gefühl zu geben. Mit sich selbst, vor allem aber auch beim DIY-Anleitungen nachbasteln und dem Einkauf diverser Kosmetika, die Sami empfiehlt.

Ich habe versucht, eine Woche nach dem Slimani-Prinzip zu leben.

Mehrere Artikel habe ich geschrieben, in denen ich mich zugegebenermaßen manchmal etwas gemein über den Lifestyle-Blogger geäußert habe. Er gab einem aber auch stetig Anlass dazu—egal ob durch „Folgt mir durch den Tag!”-Videos, die durch ihre Überdrehtheit selbst bei gesunden Menschen Herzrhythmusstörungen auslösen könnten, oder fragwürdige Motivationsbücher, in denen zahlungswillige Fans lernen konnten, wie wichtig es ist, in regelmäßigen Abständen ihren Kissenbezug zu wechseln.

Sami Slimani war für mich immer jemand, den man vielleicht unerträglich finden mag, zumindest schien er aber authentisch unerträglich. Nach dem Interview, was RP Online jetzt mit ihm veröffentlicht hat, wurde diese Annahme allerdings ziemlich erschüttert.

Klar, Aussagen á la „Am Ende kann der Charakter viel schöner strahlen als jedes makellose Gesicht” kennt man bereits aus seinen Videos und Posts. Auch seine Vorliebe dazu, immer wieder von erfüllten „Träumen” und „Visionen” zu sprechen, überrascht nicht mehr. Tatsächlich versucht der Redakteur aber, sich nicht von den altbekannten 0815-Phrasen seines Interviewpartners abspeisen zu lassen und ziemlich schnell bekommt das Gespräch dadurch beinahe slapstickhafte Züge.

Mal klingt es so, als hätte der sonst so positive Slimani plötzlich seine passiv-aggressive Seite entdeckt, dann wieder, als wäre er durch einen Carpe-Diem-Algorithmus ersetzt worden. Bei manchen Fragen scheint er durch ungewohnt knappe, abkanzelnde Antworten regelrecht aus der Rolle zu fallen, dann beantwortet er die Frage nach einem Produkt, das mal nicht für ihn funktioniert habe, derart dramatisch, dass man fast glaubt, Jan Böhmermann höchstselbst hätte ihm die Antwort eingeflüstert („Okay, was hat bei Ihnen nicht funktioniert?” – „Eine Gesichtspflege, die ich mal ausprobiert habe und die nicht so feuchtigkeitsspendend war, wie ich es mir versprochen hatte”).

Falls sich übrigens irgendjemand von euch gefragt haben sollte, warum er sich im Vergleich zu anderen YouTubern nicht mehr für politische und soziale Belange, wie beispielsweise die aktuelle Flüchtlingsthematik, einsetzt: „Was Flüchtlinge betrifft, sind die Meinungen stets geteilt.”

So kann doch wirklich niemand sein, der wahlberechtigt ist und alleine leben darf. In diesem Menschen MUSS doch einfach mehr stecken als eine Mischung aus den schlimmsten YouTuber-Klischees und einem dieser kleinen Gedichtbände, die ältere Frauen Leuten zum Geburtstag schenken, die sie hassen—oder? Das Interview ist in seiner Absurdität so unbegreiflich, das es nur zwei Schlüsse zulässt: Entweder die Seite trollt uns und hat sich das alles ausgedacht, oder Sami Slimani hat uns alle verarscht und ist der ultimative Troll des Internetzeitalters. Je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird, dass es das Zweitere sein muss. Tatsächlich gibt es im Fall Slimani auch noch andere Punkte, die Fragen aufwerfen.

Allein in diesem Video sind es fünf.

Wirklich interessant ist beispielsweise, dass Sami Slimani so gar nicht Teil der YouTuber-„Szene” zu sein scheint. Im Gegensatz zu anderen Kanälen tauchen in seinen Videos nicht ständig andere Webvideo-Persönlichkeiten mit Abonnentenzahlen in Millionenhöhe auf. Wenn es mal Kooperationen oder Partnervideos gibt, dann mit seiner Familie (selbst seine Mutter hat mehr Twitter-Follower als ich) oder ehemaligen Germany’s Next Topmodel-Kandidatinnen.

Ist Sami Slimani selbst für Leute wie Dagi Bee ein bisschen zu viel schneeweiße Zähne und Carpe Diem, oder ist ER derjenige, der sich mit diesen Leuten nicht gemein machen möchte und es auch gar nicht braucht? Um erneut einen Vergleich zur Deutschrapszene zu ziehen: Das wäre so, als würde Money Boy Sentino auf dem Höhepunkt seiner Dipset-Phase sagen, dass ihm das alles ein bisschen zu swaggy und überzeichnet ist.

Ein weiteres Indiz dafür, dass die YouTube-Persona Sami Slimani nicht alles sein kann, was hinter dem hysterisch-fröhlichen Halbtunesier steckt, ist, dass wir eigentlich gar nicht so genau wissen, womit er sein Geld verdient. Er hält (rein gefühlt) nicht ganz so offensichtlich gesponserte Produkte in seine Kamera wie andere, bisher war er in noch keinem Kinofilm zu sehen, mit knapp 1,4 Millionen Abonnenten gibt es deutlich reichweitenstärkere YouTuber und seine Modekollektion ist auch noch nicht auf dem Markt (dafür aber ein Video, in dem wir sehen können, wie die Meetings zur Modekollektion ablaufen. Man beachte auch, wie irritiert er aus dem Off beobachtet wird, wenn er in die Kamera spricht).

Trotzdem jettet Sami—wie sein Instagram-Account sehr gut dokumentiert—um die Welt, als wäre er die schwäbische Taylor Swift. Oft ist von irgendwelchen nicht näher erläuterten Projekten die Rede, wenn denn überhaupt thematisiert wird, warum er sich gerade in einem Hotelzimmer in Hongkong befindet. Auch im alles enthüllenden Interview gibt er zu, so selten zu Hause zu sein, dass die „Wechsle alle fünf Tage deinen Kissenbezug”-Regel für ihn nicht greift. Liegt das Geld in YouTube-Kreisen wirklich so sehr auf der Straße und man muss es einfach nur aufheben? Oder ist er in Wirklichkeit ein ziemlich erfolgreicher Kosmetikvertreter, der sich mit seinem Alter Ego darauf abfeiert, die Medienbranche vorzuführen?

Eigentlich hätte schon dieses Video Beweis genug sein müssen.

Seien wir ehrlich: Was wissen wir wirklich über den Mann, der als HerrTutorial anfing, und mittlerweile zu einem Synonym für die inhaltsentleerte, konsumgeile YouTube-Jugend ist? Wir kennen Geschichten aus seiner Vergangenheit, nach denen er nicht immer porentief reine Haut hatte und auch mal etwas moppeliger war. Wir kennen seine Schwestern und seine Mutter, seine Katze und seine Lieblingsprodukte, wissen, welche gesunden Snacks er sich gerne in seiner blitzeblank geputzten Küche zubereitet. Guckt man hinter all die Selfies, perfekt durchorchestrierten Fotos auf Instagram und vielen Capslock-Tweets, begreift man aber: Eigentlich verrät er uns nichts.

Warum des Bild des nahbaren YouTube-Stars eine Lüge ist.

Sami Slimani ist eine Projektionsfläche der Bedürfnisse und Wünsche junger Menschen, die so eingängig, so konstruiert wirkt, dass es schon beinahe wie eine Persiflage wirkt. Er hat keine Ecken und Kanten, keine eigene Meinung zu irgendetwas und kein dokumentiertes Privatleben. Er ist die Art von ungefährlichem Schwarm, den sich pubertierende Mädchen wünschen, die noch nicht so richtig bereit für etwas real Sexuelles sind. Der, der immer das Richtige sagt, alle Hürden des Lebens (und seien es auch enttäuschende Hautcremes) mit einem strahlenden Lächeln meistert und den Traum aus Einkaufen, Glamour und mit der Katze auf der Couch kuscheln lebt, der für viele Heranwachsende eine Idealvorstellung des eigenen Alltags sein dürften.

So wie Money Boy die konsequente Fortführung und Übersteigerung aller überstrapazierten HipHop-Klischees ist. Wenn also ein plastikgoldbehangener Rapper, der eine intime Beziehung zu seinem Gucci-Bandana zu pflegen scheint, vom medienkritischen Gros dafür gefeiert wird, dass er der Musikszene den Spiegel vorhält—ist es dann vielleicht an der Zeit, sich ehrlich zu fragen, inwiefern Sami Slimani eine ähnliche Position für die Lifestyle-YouTube-Welt einnehmen könnte?

Vielleicht sitzt der Hautcreme-Gott gerade auf seiner makellos sauberen Couch, vor einem perfekt drapierten Obstteller, und lacht uns alle aus, weil wir ihm diese ganze Lifestyle-Guru-Sache so bereitwillig abgenommen und uns auf unsere zynische Verachtung gefeiert haben. Wenn dem so ist: Chapeau, Sami. Das ist fast besser als der gefälschte Varoufakis-Finger.

Lisa ist ein echter #saminator. Folgt ihr bei Twitter.


Titelfoto: Screenshot von YouTube aus dem Video „DIE VERRÜCKTESTEN ASIA-PRODUKTE – der Test!” von Sami Slimani.