Im Mai letzten Jahres habt ihr euch fürchterlich über meinen Artikel „Wie mein Muschi-Tattoo mich zu einer besseren Feministin gemacht hat” aufgeregt und mich auf Facebook kollektiv als Schlampe betitelt. So weit, so gut. Als ich mir im Dezember dann die Titten vergrößern lassen habe, wusste ich, dass ihr es lieben werdet, mich auch für diesen Text zu hassen. Die Kommentare haben letztes Mal vor allem das Klischee bedient, dass viele Männer sich beim Thema Feminismus leider noch immer anstellen wie kleine Jungs, denen man ihr Spielzeug wegnimmt. Dabei wäre es an der Zeit, auf Augenhöhe zu reden über Sexismus, unrealistische Schönheitsideale, Bodydruck und schwachsinnige Competitions wie Kylie Jenners Lip Challenge.
Mein Name ist Suzie, ich bin 24 und bezeichne mich selbst als Feministin. Seitdem ich 13 Jahre alt war, wusste ich, dass ich den Busen, den mir die Pubertät gegeben hat, nicht so lassen würde, wie er ist. Es hat sich zwar nie einer meiner männlichen oder weiblichen Sexpartner negativ über meine Brust geäußert, dennoch fiel es mir den größten Teil meines Lebens sehr schwer, mich vor anderen Leuten in Unterwäsche, geschweige denn oben ohne zu zeigen. Für meinen Geschmack war mein Naturbusen einfach etwas zu klein, seine Form etwas zu spitz—es fühlte sich einfach nicht an, als würde er zu meinem Körper gehören. Da man Titten nicht trainieren kann, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich mich von einem Fremden aufschlitzen lassen würde, um mir für viel Geld zwei Stücke Plastik implantieren zu lassen. Klingt brutal—war es auch.
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Vielleicht wäre ich nie auf die Idee gekommen, meinen Körper durch Chirurgie zu optimieren, wenn ich als Kind der 90er nicht mit Schönheitsidealen wie Pamela Anderson großgeworden wäre. Vielleicht hätte mich die Form meiner Brust nie gestört, wenn mir Magazin-Cover, Werbeplakate und Musikvideos auf MTV nicht das Bild perfekt runder Titten in die Synapsen gebrannt hätten. Vielleicht aber auch doch. Ich war nicht älter als 15, als sich eine Mitschülerin nach dem Sport in der Umkleidekabine über meine Brüste lustig gemacht hat. Heute weiß ich: dass sie ein Arschloch war, war nicht allein ihre Schuld—uns beiden wurde das Gleiche vorgelebt. Als Mädchen werden wir in unserer Gesellschaft dazu herangezogen, unser Spiegelbild permanent als verbesserungswürdig zu empfinden und optisch in direktem Konkurrenzkampf zu stehen. Unsere Body-Shaming-Kultur ist nur eine logische Konsequenz des Selbstzweifels, der uns seit Generationen injiziert wird.
Laut einer Studie entwickeln wir schon im Kleinkind-Alter Präferenzen dafür, wie ein Körper unserer Meinung nach aussehen soll—basierend auf positiver und negativer Konnotation in unserem nahen Umfeld. Ich hatte schon sehr früh ein Bild davon im Kopf, welche Modifizierungen für mich in Frage kommen und wie ich eines Tages aussehen möchte. Heute heißt das konkret: Ich bin vom Hals bis zum Schienbein tätowiert, habe gedehnte Ohrlöcher, Piercings, künstliche Nägel und schminke mich mit der Leidenschaft einer Drag Queen. Keine Frage: Das Level meiner Eitelkeit befindet sich kurz vor „Endgegner”. Meine Optimierungsmaßnahmen haben zu einem Äußeren geführt, das in unserer Gesellschaft als „fickbar” eingestuft wird. Trotzdem machen zwei Stücke Plastik in meiner Brust mich nicht zu einer Puppe, nicht zu einer Person, der du auf der Straße hinterherpfeifen darfst, um ihr mitzuteilen, dass du Koitus mit ihrem Körper vollziehen würdest. Die völlig banale Vorstellung einer Gesellschaft, in der Frauen Menschen und keine Objekte sind, macht Feminismus bis heute notwendig.
Auch wenn mein ästhetisches Empfinden zu Teilen von dem Idealbild geprägt ist, mit dem ich großgeworden bin, gebe ich mir die Mühe bei meinem Make-up und meinen Outfits ausschließlich für mich selbst—es ist mir egal, ob ich dir gefalle. Die Meinung anderer interessiert mich ebenfalls zu wenig, als dass ich 5.000 Euro ausgeben würde, um mich durch eine Schönheits-OP in Lebensgefahr zu bringen. Bei meinem Körperkult geht es immer nur um Selbstverwirklichung—darum, das Bild, das ich von mir selbst habe, nach außen zu tragen. Manchmal schminke ich mich sogar, wenn ich alleine zu Hause bin. Nicht, weil ich mich ohne Make-up hässlich finde, sondern weil es mir Spaß macht, mich kreativ auszudrücken. Meine Euphorie darüber, wenn Lidschatten und Contour on fleek sind, ist mit der einer neuen Tätowierung zu vergleichen—kostet nur weniger und lässt sich wieder abwaschen.
Nur weil ich finde, dass mir persönlich der rasierte, aufgetakelte und unnatürliche Look am besten steht, trifft das nicht aus Prinzip auf andere zu. Ich habe in meinem Leben schon sehr viele naturbelassene Frauen gesehen (und das unfassbare Glück gehabt, mit einigen davon schlafen zu dürfen), die sowohl ungeschminkt als auch unrasiert und in verschiedenen Körbchen- und Kleidergrößen absolut flawless sind. Schönheit hat nicht nur eine starre Definition—sie kommt in vielen Formen und Farben. Sexuell fühle ich mich beispielsweise zum Gegenteil von mir selbst, nämlich zu androgynen Frauen, hingezogen, die nicht annähernd so lange vor dem Spiegel brauchen wie ich. Wenn du als Frau mit Frauen schläfst, hilft dir das, ein realistischeres Körperbild zu entwickeln—Tatsache ist nämlich, dass die Wenigsten von uns nackt wie ein Victoria’s Secret Girl aussehen. Lesbisch zu sein, hat mir definitiv dabei geholfen, meine natürliche Brust endlich als Teil meines Körpers zu akzeptieren.
Mein visueller Geschmack und mein angestrebtes Selbstbild haben sich durch diesen emotionalen Prozess aber nicht verändert. Haltet mich für bescheuert, aber für mich war es war ein Zeichen, dass mein Kontostand erst dann das nötige Kleingeld für eine Brustvergrößerung aufgewiesen hat, als ich aufgehört habe, meinen Körper zu hassen. Ab diesem Zeitpunkt an war ein Boobjob keine Notwendigkeit mehr für mein Glück—er war nur noch eine weitere Body Modification, ein Luxus à la „nice to have”. Meine Freundin hat natürlich versucht, mir den Eingriff auszureden—hat damals bei meinem Stacheldraht-Tattoo genauso wenig geklappt. Die Oberarm-Tätowierung ist allerdings nur ein ironischer Pamela-Anderson-Verweis, meine Brüste sind nicht annähernd so groß geworden wie ihre. Und auch wenn ich finde, dass kosmetische Eingriffe nicht glorifiziert werden sollten—wir erinnern uns: Kanye Wests Mutter ist einen Tag nach ihrer Fettabsaugung gestorben—, war meine Erfahrung positiv, alles andere wäre gelogen.
Im Internet habe ich einen Arzt in Berlin gefunden, der auf Brustvergrößerungen spezialisiert ist und in allen Foren als absoluter Streber abschneidet. Weil Kontrolle besser ist als Vertrauen, wenn du verdammt nochmal verrecken könntest, sollte jeder, der in Erwägung zieht, etwas an sich machen zu lassen, das Online-Stalking des Chirurgen genau so ernst nehmen, als ginge es dabei um den oder die Ex. Beim ersten Treffen habe ich mich bereits so gut bei meinem Arzt aufgehoben gefühlt, dass ich direkt einen Termin zur Besprechung der Operation vereinbart habe. Am OP-Tag selbst war ich früh morgens als Erste dran, weswegen ich keine Zeit hatte, mir vorher in die Hosen zu scheißen. Monatelang wurde mir von meinem Umfeld eingeredet, dass ich höllische Schmerzen haben würde. Als ich aus der Narkose wachgeworden bin—auf dem besten Drogen-Trip meines Lebens—, habe ich davon nichts gemerkt.
Erst einen Tag später, als ich aus der Klinik entlassen wurde, dachte ich, dass ich sterbe. Wenn du vorher noch nie eine OP hattest, dir die Brust aufgeschnitten wird und du ein paar Tage später im Bett liegst, dich kaum bewegen kannst, weil es sich anfühlt, als hättest du unfreiwillig einen PKW von unten gesehen, dann realisierst du erst, was für ein krasser Stunt so ein Eingriff ist. Durch den Druck, den die Implantate auf deine Brust ausüben, kannst du die ersten Tage nur schwer atmen. Die Schwellung macht jede kleinste Ader erkennbar. Der Muskelkater, der komischerweise weit über den Brustkorb hinausgeht, hält über eine Woche an. Als ich meine neuen Brüste das erste Mal ohne Bandage gesehen habe, waren sie so hart wie die Titten eines Roboters. Kurze Zweifel und die Ungewissheit, ob das jetzt für immer so bleibt.
Wenn ich heute, drei Monate nach der OP, nackt am Spiegel vorbeilaufe, denke ich mir anstatt dessen: „geile Titten, Süße!”—etwas, das ich vorher noch nie empfunden habe. Meine Körperproportionen ergeben endlich Sinn. Die Narben in meiner Brustfalte passen perfekt zu den Dehnungsstreifen an meinem Arsch. Meine Brust sieht endlich aus, als würde sie zu mir gehören. Ich fühle mich frei. Natürlich hätte ich mich darüber gefreut, wenn mein Naturbusen sich für mich nicht wie ein Fremdkörper angefühlt hätte. Wenn das Leben ein Wunschkonzert wäre, hätte ich meinen Oberlippen-Bart aber auch gegen vollere Augenbrauen getauscht. Das geht nicht allen Feministinnen so. Und das ist perfectly fine. Frau zu sein, schön zu sein, bedeutet authentisch zu sein. Egal in welcher Kleidergröße, egal ob mit Achselhaaren oder Brustimplantaten. Ich für meinen Teil werde meine BHs nicht verbrennen und darauf verzichten, meinen Körper nach meinen Vorstellungen zu optimieren, nur um ein paar sexistischen Bastarden eins auszuwischen.
Wenn unsere Gesellschaft darauf aufbaut, dass jeder seine Identität frei entfalten darf, wenn zu einer neuen Haarfarbe, einem Tattoo genauso gratuliert wird, wie zu einer Brustreduktion oder der Geschlechtsumwandlung von Bruce Jenner, wenn wir uns einig sind, dass unsere Natur nicht unser Schicksal ist und Frauen alles sein können, was sie wollen—ob karriere-orientiert oder Mutter oder beides—, dass sie ihrer eigenen persönlichen Entscheidungen mündig sind, dann ist es mir erlaubt, Schminke und die Farbe Rosa genauso sehr zu lieben wie meine gemachten Titten. Zu behaupten, ich würde nicht genau so sehr für die Gleichstellung der Frau brennen, in mir würde sich bei Alltags-Sexismus nicht alles drehen und wenden, nur weil mein persönliches Idealbild sich mit dem gesellschaftlichen Schönheitsideal überschneidet, sagt leider mehr darüber aus, was du für eine Feministin oder ein Feminist bist, als es das über mich tut. Oder um es mit Kim Kardashians Worten zu sagen: „I am a mother. I am a wife, a sister, a daughter, an entrepreneur and I am allowed to be sexy.”
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