Berlin ist die schwulste Stadt Deutschlands. Schon 2009 schätzten Forscher des Robert-Koch-Instituts, dass von den etwa 600.000 schwulen Männern im Land 80.000 in Berlin leben. Auch wenn es wenige aussagekräftige Statistiken dazu gibt, kann man, alleine schon, weil es queere Menschen eher in Metropolen zieht, davon ausgehen, dass es auch die lesbischste, bisexuellste und die Stadt mit den meisten Trans*-Menschen des Landes ist.
Und trotzdem ist das offizielle Berlin extrem leise, wenn es um das Gedenken für die Opfer des Massakers von Orlando geht. Innensenator Frank Henkel schreibt in einer Pressemitteilung:
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“Wir trauern um die zahlreichen Opfer und sind in Gedanken bei den vielen Menschen, die bei diesem Massaker Partner, Freunde oder Familienangehörige verloren haben. (…) Der Todesschütze hat Menschen in einem Nachtclub in Florida ermordet, die nichts anderes getan haben, als fröhlich zu feiern und ihr Leben zu genießen.”
Angela Merkel spricht während ihres Besuchs in China von “Leuten”, die durch Hass und Boshaftigkeit ihr Leben verloren haben und, dass “wir” unser “offenes und tolerantes Leben” trotzdem fortsetzen werden.
Kein Wort darüber, dass die 49 Opfer von Orlando nicht in “einem Nachtclub” ermordet wurden, sondern in einem queeren Club, und kein Wort darüber, dass die meisten der Toten eben nicht Teil der so “offenen und toleranten” Mehrheitsgesellschaft waren, sondern LGBT*-Menschen, die in den USA und in Deutschland immer noch jeden Tag diskriminiert werden und um Anerkennung kämpfen.
Es gibt nur wenige Orte, an denen nicht-heterosexuelle Menschen sich wirklich sicher, willkommen und akzeptiert fühlen. Dazu gehören schwule, lesbische, queere Clubs. Dabei geht es nicht nur um Sicherheit, sondern auch darum, für wenige Stunden in der Woche wirklich gleichberechtigter Teil einer Gesellschaft zu sein und keine Minderheit. Es geht darum, einen Ort zu haben, an dem das Leben möglich ist, das Heterosexuelle in jeder Stunde des Tages leben. Das Pulse zu “einem Club” zu machen, nimmt den Opfern einen Teil ihrer Identität.
Gerade weil es diese Orte braucht, um ein Stück “Normalität” in die Leben von queeren Menschen zu bringen, zeigt, dass der Terror von Orlando an erster Stelle ein Angriff auf LGBT*-Menschen und unser Leben war. Vielleicht war es aus der Sicht eines menschenfeindlichen Islamisten ein Angriff auf die “offene Gesellschaft”. Aber auch nur, weil Homofeinde, egal welcher Religion, glauben, dass “der Westen” von einer Homo-Lobby dominiert wird, die Realität aber sieht anders aus.
Die “offene Gesellschaft” von der Merkel und Henkel sprechen, ist noch lange nicht offen. Die Ehe für Alle gibt es in Deutschland weiterhin nicht, genauso wenig wie die Möglichkeit für nicht-heterosexuelle Paare, Kinder zu adoptieren, unter anderem auch wegen des “Unwohlseins” der Kanzlerin. Und jetzt setzen “wir” also unser “offenes und tolerantes” Leben fort. Nur eben ohne die gleichen Rechte wie Heterosexuelle, ohne Gleichstellung, mit der Angst, in der U-Bahn oder auf der Straße angegriffen zu werden, weil wir die Hand unseres Partners halten.
Nach den Anschlägen in Paris und Brüssel war die Solidarität eine andere. Am Brandenburger Tor fanden Kundgebungen statt, organisiert von Stadt und Staat, öffentliche Gebäude erstrahlten in den jeweiligen Landesfarben.
Das Gedenken in Berlin für Orlando wurde vom LSVD organisiert, dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands. Die Wahrzeichen der Stadt bleiben der “offenen und toleranten” Gesellschaft in ihren Originalfarben erhalten. In Regenbogenfarben strahlt hier erstmal nichts.
Nach den anderen Anschlägen waren alle Charlie oder Brüssel. Schwul will aber niemand sein. Stattdessen wird lieber gebetet. Unter anderem von Menschen wie Birgit Kelle, die ansonsten nicht müde wird zu erklären, dass sie Homosexuelle vielleicht toleriert, aber keinesfalls akzeptiert.
Danke, aber nein danke. Gebete, egal von welcher LGBT-feindlichen Weltreligion könnt ihr euch gerne sparen. Wichtiger wäre es, dafür zu sorgen, dass die “offene Gesellschaft” wirklich offen wird. Für alle. Und nicht nur für Heterosexuelle. Solange das nicht der Fall ist, muss man die Opfer von Orlando benennen, als Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans*-Menschen und nicht einfach nur als “Leute”.