Verdacht auf Scheinehe: Wir mussten der Polizei unsere Liebe beweisen

Ein Polizist steht vor einem zerwühlten Bett

Ich öffne die Tür grundsätzlich nicht gerne, wenn ich das Gesicht des Besuchers durch den Türspion nicht erkenne. Nach gerade einmal zwei Stunden Schlaf bin ich an diesem Sonntagmorgen aber zu benommen, um Vorsicht walten zu lassen. Also reisse ich ohne zu zögern die Tür zur Wohnung auf, in der meine aus Russland stammende Frau und ich leben, bereit den ungebetenen Gast mit einer Schimpftirade wegzuschicken.

Eigentlich hätte ich mit dem Besuch der zwei Polizisten rechnen müssen. Das Migrationsamt hatte sie geschickt, um zu kontrollieren, ob Sofia und ich auch wirklich eine legitime Ehe führen – Gemeinsamer Wohnsitz, regelmässiger Sex, Spaziergänge am Sonntag. Die Namen, ihren und meinen, ändere ich lieber, weil man nie weiß, ob die Behörden mitlesen. Man kennt die sogenannten “Zahnbürstenbesuche” aus dem Kultfilm Die Schweizermacher mit Comedy-Legende Emil Steinberger. Dieser erschien vor über 40 Jahren, die darin gezeigten fragwürdigen Kontrollen sind aber weiterhin Realität.

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Im Jahr 2014 klingelte die Zürcher Stadtpolizei laut Tagesanzeiger bei rund 700 binationalen Paaren. Seit 2016 werden die Kontrollen angeblich eingedämmt. Statt flächendeckend Hausbesuche durchzuführen, arbeitet das Migrationsamt nun mit einer Liste von Kriterien, aufgrund derer entschieden wird, ob die Schnüffelei angemessen ist. Die Rechtsgrundlage bleibt zweifelhaft, ausserdem lassen sich Scheinehen vor Gericht fast nur in offensichtlichen Fällen nachweisen. Unser Anwalt erzählte etwa von einer Migrantin, die am Altar den Trauzeugen mit dem Bräutigam verwechselte.


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Dass wir auf einer Liste mit verdächtigen Ehepaaren landen würden, war uns bereits klar, als wir uns das Jawort gaben. Zwar ist Sofia eine Vorzeigemigrantin: Sie spricht fliessend Deutsch, verdient einen vernünftigen Lohn bei einem angesehenen Arbeitgeber, zahlt brav ihre Steuern, hat weder Vorstrafen noch Schulden, ist sowohl sozial als auch kulturell vorbildlich integriert. Sie kann jassen, isst mindestens einmal pro Jahr Fondue und benutzt Ausdrücke wie “Büez”, die ausserhalb unserer Schweizer Landesgrenzen niemand kennt.

Trotzdem rechneten wir mit Schikanen vom Migrationsamt, da Sofia zum Zeitpunkt unserer Hochzeit die Wegweisung drohte. Sie hatte sich von ihrem früheren Ehemann scheiden lassen und so ihr Aufenthaltsrecht verloren. Nach fünf Jahren und einem Bachelorstudium in der Schweiz war sie plötzlich nicht mehr willkommen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits verlobt. Kurz darauf heirateten wir. Weil wir uns lieben und zusammenbleiben wollen – nicht um ihr einen Schweizer Pass zu erschleichen.

Die Zivilpolizisten fragen, ob sie reinkommen dürfen. Wie ich erst im Nachhinein erfahre, bin ich nicht verpflichtet, ihnen Zugang zu gewähren. Darauf weisen mich die beiden aber natürlich nicht hin. Sekunden später stehen sie mitten in unserem Zuhause. Die Schuhe ziehen sie nicht aus.

Was folgt, ist ein massiver Eingriff in unsere Privatsphäre. Unter anderem sehen wir uns genötigt, zu erklären, wer im Bett auf welcher Seite schläft, wie der Kleiderschrank aufgeteilt ist und wo wir Erinnerungen an unsere bisherige Beziehung aufbewahren. Jedes Detail wird akribisch dokumentiert. Die Beamten schiessen Fotos von unserem ungemachten Bett, neben dem noch ein benutztes Kondom liegt, von unserem Aschenbecher, um festzuhalten, dass darin tatsächlich Zigarettenstummel zweier verschiedener Marken liegen, von kleinen Post-it-Notizen, die wir uns geschrieben haben, von Zahnbürsten und Geschirr mit Fast-Food-Resten. Und ja, der Polizist fotografiert mit seinem Handy auch Sofias Unterwäsche. Kulanterweise erlaubt man mir, das Säckchen Gras, das noch auf dem Sofatisch liegt, rasch zu verstecken – “deswegen sind wir nicht hier”.

Ungefähr 20 Minuten später verabschieden sich unsere Gäste mit der Ankündigung, dass wir in den nächsten Wochen zu einer getrennten Befragung antreten müssen. Ich fühle mich erniedrigt, und auch Sofia steht unter Schock. Völlig fassungslos sitzen wir nebeneinander und fragen uns, was wir angestellt haben, um wie Schwerverbrecher behandelt zu werden.

Wir zeichnen eine Timeline von der ersten gemeinsamen Nacht bis zu den Flitterwochen

Wie beweist man einer gesichtslosen, kühlen Staatsgewalt, dass man sich wirklich liebt? Es existieren unzählige Fotos und Videos, auf denen wir uns küssen, miteinander Ferien verbringen, feiern und tanzen. Hätte das Migrationsamt Zugriff auf unseren Whatsapp-Verlauf, würde es keine Sekunde an unserer Beziehung zweifeln. Dutzende Menschen aus unserem Umfeld können bezeugen, dass wir händchenhaltend durch die Stadt gehen. Trotzdem fühlen wir uns in dieser Situation hilflos. Was ist, wenn uns die Fremdenpolizei an einem kleinen Detail aufhängt? Was passiert, wenn wir uns bei der anstehenden Befragung widersprechen? Wie geht es weiter, wenn sie doch eine Kleinigkeit finden, die den Verdacht auf eine Scheinehe erhärtet und wir auseinandergerissen werden?

Statt mit Pizza und Trash-TV verbringen wir den Katersonntag nun mit Recherche zur kommenden Befragung. Im Netz finden wir einen unvollständigen Fragenkatalog, der bei einem Verdacht auf Scheinehe abgearbeitet wird – von “Was ist die Lieblingsfarbe ihres Ehegatten?” über “Wie heissen die Eltern Ihres Partners?” bis zu “Wie häufig haben Sie Sex?”. Als würde uns eine wichtige Prüfung bevorstehen, verinnerlichen wir die Antworten, zeichnen sogar eine saubere Timeline mit allen wichtigen Stationen von der ersten gemeinsamen Nacht bis zu den Flitterwochen.

Hier zeigt sich ein positiver Effekt des ganzen Schlamassels: Während wir unsere Vergangenheit bis in die dunkelsten Ecken analysieren, driften wir immer wieder in tiefgreifende Gespräche ab. Ich erfahre Dinge über Sofia und unsere Beziehung, die mir bislang nicht bewusst waren. Nach unserer Vorbereitung kennen wir uns vermutlich besser als viele Paare, die seit Jahrzehnten eine trostlose Ehe führen. Trotzdem bleibt ein mulmiges Gefühl zurück, schliesslich steht nicht nur unsere Partnerschaft, sondern für meine Frau ihre ganze Existenz auf dem Spiel.

Und dann rede ich mit einem Polizisten über mein Sexleben

Zwei Tage nach der Wohnungskontrolle klingelt das Telefon. Der Termin für unsere Befragung wird auf die darauffolgende Woche festgelegt. Wir sollen mit mindestens vier Stunden rechnen, heisst es. Ausserdem werden wir gebeten, einige Fotos unserer bisherigen Beziehung auszudrucken und mitzubringen. Digital geht nicht. Ich verkneife mir den Kommentar, dass diese Vorgabe sinnbildlich für die veralteten Methoden des Migrationsamtes stehe.

Wir beschliessen, die Angst nicht gewinnen zu lassen und den ganzen Prozess mit Galgenhumor zu nehmen. Zwischen die eher klassischen süssen Pärchenfotos basteln wir deshalb auch absolut lächerliche Schnappschüsse: wir zwei, stark betrunken beim Zähneputzen, ein Bild von der Hochzeit, auf dem ich Sofia mit einem unheimlichen Grinsen an die Brüste fasse, Selfies mit Mittelfinger. Es ist unsere Art, den Behörden mitzuteilen, dass sich unsere Beziehung nicht anhand konservativer Kriterien beurteilen lässt – und dass wir uns nicht einschüchtern lassen.

Als wir den Polizeiposten betreten, trennt man uns sofort. Sofia wird von einer Beamtin befragt, ich bekomme einen Herren vorgesetzt. Von der ersten Minute an achte ich darauf, keinesfalls nervös zu wirken. Lächeln und kooperieren. Schliesslich haben wir nichts zu befürchten. Über Stunden muss ich nun jeden Winkel unserer Beziehung offenlegen.

“Wo haben Sie sich kennengelernt?”

“Wann haben Sie sich zum ersten Mal geküsst?”

“Wer hat den Antrag gemacht?”

Ich rattere die Fakten problemlos runter, häufig geschmückt mit einer passenden Anekdote, etwa dass Sofia, als ich ihr den Antrag machte, ironischerweise eine Mütze mit der Aufschrift “Nope” trug.

Im Laufe des Gesprächs verbessert sich die Laune des Polizisten merklich. Am Ende gibt er zu, dies sei für ihn eine der angenehmeren Befragungen gewesen. “Sie wissen nicht, was hier sonst so für Leute sitzen.” Im Raum nebenan ergeht es meiner Frau ähnlich. Für den ersten Lacher sorgt sie, als sie ihr eigenes Aussehen beschreiben soll und sagt, sie habe “kleine Brüste, dafür einen fetten Arsch”. Das steht jetzt wortwörtlich so im Protokoll.

Obwohl sich unsere schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheiten, ist die Befragung alles andere als angenehm. Zum einen, weil wir trotz intensiver Recherche nicht auf jede Frage vorbereitet sind: Wer bitteschön kennt das genaue Geburtsdatum seiner Schwiegermutter? Zum anderen, weil ich ungern mit uniformierten Menschen über mein Sexleben plaudere. Der Polizist ist stellenweise selbst irritiert bis genervt von seinem Fragenkatalog und betont zweimal, dass dieser vom Migrationsamt stamme, nicht von ihm selbst.

Nach der Befragung erlebt Sofia mit, wie die beiden Polizisten unsere Protokolle abgleichen und dabei immer wieder schmunzeln müssen, weil sich unsere Antworten so genau decken. Musikgeschmack (“Ich mag Garage-Rock, aber sie hasst ihn” – “Er und sein blöder Garage-Rock”), das letzte gemeinsame Abendessen (“Eigentlich sind wir auf Diät, trotzdem haben wir uns eine ganze Packung Eiscreme reingedrückt” – “Gestern legten wir spontan einen Cheat Day ein”), Fragen zum Aussehen (“Ich versuche gerade, mir einen Bart wachsen zu lassen, aber besonders dicht ist er nicht” – “Er hat leichte Komplexe wegen seiner Gesichtsbehaarung”). So gut wie jede Aussage sitzt.

Eigentlich dürften sie nach solchen Befragungen keine Einschätzung abgeben, sagen die Polizisten, bevor sie uns gehen lassen. Wir müssten uns aber höchstwahrscheinlich keine Sorgen machen. Andere Paare könnten nicht einmal die Wohnung, in der sie angeblich gemeinsam leben, beschreiben. Das letzte Wort habe trotzdem das Migrationsamt und nicht die Polizei. Hausbesuche seien ausserdem auch bei einem positiven Entscheid jederzeit möglich: “Daran müssen Sie sich gewöhnen.” In Kombination mit den bürokratischen Repressalien, die binationale Ehepaare über sich ergehen lassen müssen, klingt das für mich nach Zermürbungstaktik.

Jede Schikane gibt uns einen “Wir gegen die da oben”-Ansporn

Immer wieder drängt sich mir die Frage nach der Verhältnismässigkeit auf. Abgesehen davon, dass im Laufe einer solchen Untersuchung jegliches Recht auf Privatsphäre mit Füssen getreten wird, ist das Vorgehen wahnsinnig teuer. Alleine mit der Befragung waren zwei Staatsangestellte einen halben Tag lang beschäftigt. Hochgerechnet auf hunderte solcher Verfahren, die jedes Jahr stattfinden, kann man sich ausmalen, was auf diesem Weg alles an Steuergeldern verprasst wird, nur um ein paar Ehen für ungültig zu erklären und ein paar Aufenthaltsbewilligungen zu entziehen. Gleichzeitig schwingt eine fremdenfeindliche Note mit: Binationale Paare beobachtet der Staat mit Argusaugen, während er akzeptiert, dass etwa der Schauspieler Walter Roderer seine 60 Jahre jüngere Grossnichte heiratet, um die Erbschaftssteuer zu umgehen.

Der erste Hausbesuch liegt nun knapp drei Monate zurück. Seitdem haben sich weder die Polizei noch das Migrationsamt gemeldet. Wir kennen unsere Testergebnisse nicht. Aber wir sind vorsichtig optimistisch, dass unsere Namen von der Liste der verdächtigen Ehen gestrichen wurden oder wenigstens etwas nach unten gerutscht sind. Um uns nicht zermürben zu lassen, haben Sofia und ich eine neue Perspektive auf die Situation entwickelt: So mühsam und emotional belastend der Prozess auch ist, schweisst er uns als Paar doch noch stärker zusammen. Jede Schikane gibt uns einen “Wir gegen die da oben”-Ansporn – eine gewisse Kampfeslust, die für eine Beziehung Gold wert sein kann. Es fühlt sich gut an, eine Schlacht gegen Vater Staat zu gewinnen, selbst wenn der Krieg jederzeit wieder aufflammen könnte. Sollen sie doch kommen. Beim nächsten Mal ziehen sie aber gefälligst die Schuhe aus.

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