Politik

Verschwörungstheorien: Wie deutsche Rapper mit Attila Hildmann kooperieren

Attila Hildmann spricht vor dem Reichstag in ein Megafon

Wo auch immer Attila Hildmann auftritt, zieht er dubiose Gefolgschaft an. Egal, ob das mutmaßliche graue Wölfe sind, also türkische Rechtsextreme, Neonazis wie bei der jüngsten Corona-Demonstration in Berlin oder Verschwörungsgläubige mit Nähe zu QAnon und Xavier Naidoo: Wer sich in Hildmanns Dunstkreis bewegt, ist womöglich gefährlich, in jedem Fall aber zweifelhaft. Da verwundert es auf den ersten Blick, dass auch deutsche Rapper zu den Unterstützern des veganen Kochs zählen.

So zeigen VICE-Recherchen, dass zahlreiche Rapper mit Hildmann kooperiert haben. Besser gesagt: mit seiner Energydrink-Marke Daisho. Der “Muntermacher zum Genießen”, den es in Geschmacksrichtungen wie Matcha, Guarana und Litschi oder Holunderblüte, Cranberry, Maracuja, Limette und Kokos gibt, wird nicht nur von hunderten Biomärkten vertrieben – sondern zählt auch zum Inventar zahlreicher Deutschrapvideos.

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Etwa beim Kanal “TV Strassensound”, der Interviews mit bekannten und weniger bekannten (Gangster)rappern zeigt und monatlich Millionen Viewer anzieht. Bereits 2018 schaltete die Plattform Werbung für Hildmanns Energydrink, in manchen Videos ist sie bis heute zu sehen. Erst nach der Veröffentlichung dieser Recherche teilten die Betreiber des Kanals mit, man habe sich bereits im Mai 2020 von Hildmann getrennt.

2018 war Hildmann noch nicht dafür bekannt, Verschwörungsmythen zu verbreiten. Doch auch nach seinen Auftritten bei sogenannten Hygienedemos distanzierte sich kaum jemand öffentlich, der in Vergangenheit mit Hildmann arbeitete.

Und auch der YouTube-Channel “Deutschrap Charts TV”, der wöchentlich neue Songs bespricht und es immerhin auf 105.000 Abonnenten bringt, bewirbt Daisho per Werbung und Amazon-Kauflink. Übrigens auch in den jüngsten Videos, lange, nachdem bekannt wurde, was Hildmann im Rahmen der Corona-Krise behauptete (“Hitler war ein Segen im Vergleich zu Kommunistin Merkel. Denn sie plant mit Gates einen globalen Völkermord von sieben Milliarden Menschen.”).

Cameo-Auftritt im Silla-Video

Doch nicht nur YouTube-Channels, sondern auch Rapper selbst kooperieren mit Daisho. Silla etwa, mit Fler Teil von Südberlin Maskulin, trat 2018 als Werbegesicht für den Energydrink auf. Mehr noch: Im Mai 2019 veröffentlicht Silla die Single “Tempelhof Samurai”. Die Mercedes X-Klasse im Video ziert Hildmanns Energydrink-Logo, im Video werden außerdem Daisho-Fahnen geschwenkt. Hildmann hat im Video einen Cameo-Auftritt und schüttelt Hände mit Silla, während er einen grauen wolfsähnlichen Hund, vermutlich einen Husky, an der Leine hält.

Der Gangsterrapper Massiv droppte wenig später, am 7. November 2019, einen Song, der nach seinem Charakter in 4 Blocks benannt ist. In “Lativ” rappt Massiv, der sich ebenso wie Hildmann antisemitisch äußerte, ganz casual: “Wer ist auf Attilas Koffein? / Sag mir, wer hat das Matcha von Daisho im Urin? – Lativ!”

Erst im Mai war Hildmann zu Gast im Podcast 100Prozent Realtalk von B-Lash und MC Bogy. Das inzwischen gelöschte Interview nutzte Hildmann, um Verschwörungserzählungen unter die große Followerschaft der Hosts zu bringen. Auf seinem Telegram-Channel bewarb er seinen Auftritt mit den Worten: “ HOCHBRISANTES INTERVIEW gleich auf YOUTUBE! Gehe davon aus dass es schnell gelöscht wird da YT keine abweichende Meinung zur WHO mehr duldet, deswegen TEILT ES MIT ALLEN KONTAKTEN UND ARCHIVIERT ES!” Selbstredend trat Daisho auch als Sponsor für die Videos von 100 Prozent Realtalk auf.

B-Lash von 100 Prozent Real Talk meldete sich telefonisch bei VICE und sagte, er sei bereit, jede der Fragen der Redaktion zu beantworten. Gleichzeitig verwies er darauf, dass er dies nicht kurzfristig machen wolle, sondern, “dass das Thema zu komplex ist und Medien oft Sachverhalte verdrehen.” Zu einem späteren Zeitpunkt werde er sich aber gerne ausführlich zu Hildmann gegenüber Pressevertretern äußern.

“Aus heutiger Sicht würden wir nicht mehr mit Hildmann kooperieren”

Auch bei Supremos, dem Label des Berliner Rappers 18 Karat, auf dem etwa Hemso, Brecho und Hamada gesignt sind, ist Daisho-Werbung zu sehen. In den zwischen November 2019 und Februar 2020 veröffentlichten Videos der Gangsterrapper (“Knast oder Palast” von 18 Karat und Hemzo, “Cream” von Hamada und Brecho) tauchen die Energy-Dosen von Daisho als Gimmick zwischen Geldbündeln und Goldketten auf.

Auf Anfrage von VICE teilte ein Sprecher des Labels mit, dass es ihm leid tue, dass heute das Produkt des Verschwörungstheoretikers im Video zu sehen ist. “Dass wir für Daisho geworben haben, lag an mir. Die Künstler selbst unterhalten und unterhielten nie Beziehungen zu Hildmann.” Der Sprecher sagte, als Anfragen von Daisho gekommen seien, habe er entschieden, dass die Produktplatzierungen in den Videos Sinn machen würden. Geld habe man dafür keines von Hildmann bekommen, lediglich einen Vorrat an Energydrinks. “Aus heutiger Sicht würden wir diese Kooperation nicht mehr eingehen. Supremos distanziert sich von den politischen Äußerungen Hildmanns.”

Verschwörungstheorien finden sich nicht nur bei Rechten

Dass es bei anderen Rappern um mehr als Kontaktschuld und Produktplatzierungen geht, lässt Fler erahnen. Dieser trat am 9. Juli bei Marcus Staigers Interview-Format “Bunkertalk” auf. Darin sagt er zum Thema Hildmann: “Wir leben in einer Demokratie. Wenn er seine Meinung sagen will, dann soll er es tun.” Wenn Typen von alternativen Medien wie Hildmann sagten, etwas sei nicht so wie in der Öffentlichkeit, würden sie gefickt, sagt Fler. Seine Aussagen klingen als glorifiziere er einen Märtyrer, der zu Unrecht öffentlich geächtet wurde. Hildmann selbst verbreitete das Video auf seinem Telegram-Channel und bedankte sich bei Fler – natürlich Daisho trinkend.

Im Deutschrap haben Verschwörungserzählungen eine lange Tradition. Beispiele gibt es unzählige. Es sind aber nicht nur Nischenkünstler, welche sie verbreiten, sondern auch Superstars wie Fler. Auch Sido solidarisierte sich mit Xavier Naidoo und sagte in dem Interview mit Ali Bumaye, er glaube schon, dass es sein könne, dass Kinder von Eliten verschleppt würden, oder Kollegah, der eine “objektive Berichterstattung” über das “Pizzagate” forderte und antisemitische Stereotype verbreitet. Der Antisemitismusexperte Jakob Bair  kommt in einem Interview mit der Welt zu dem Schluss: “Antisemitismus im Rap ist über 30 Jahre alt.” In vielen Raptexten komme es zu einem “Zusammenspiel aus Israelhass und Verschwörungsglauben”.

Experten warnen schon lange vor dieser Entwicklung. Ben Salomo, ehemaliger Host von Rap am Mittwoch, Rapper und Buchautor, schreibt etwa in seinem Buch Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens: “Immer mehr Migranten schlossen sich der Szene an und bedienten sich in ihren Songs und Musikvideos antisemitischer Verschwörungstheorien, gepaart mit einer militant islamistischen Symbolik und Bildsprache.” Ihn wundere Hildmanns Nähe zu Deutschrap nicht, sagte Salomo gegenüber VICE: “Wenn man sich in der Branche auskennt und umhört, ist es wenig erstaunlich, dass so viele Künstler Nähe zu Extremisten und Verschwörungsmythologen aufweisen.”

Der Psychologe und Radikalisierungsexperte Ahmad Mansour  kommt in einem Tweet zu dem Schluss: “Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen und nicht exklusiv bei Rechten zu finden. Wer in den letzten Jahren mit Jugendlichen gesprochen oder Gangster-Rap hörte, weiß, dass diese Gedanken zu #Jugendkultur geworden sind. Fragt mal zum 11. September, Rothschild, Illuminaten.”

Von einer Szene, die sich für besonders tolerant hält und um Weltoffenheit bemüht, würde man eigentlich erwarten, dass sie sich von solchem Gedankengut distanziert. Stattdessen: Schweigen. Die Anfragen von VICE an Massiv, Silla, TV Strassensound, DeutschrapCharts TV und Attila Hildmann selbst blieben auch nach einer Frist von drei  Tagen unbeantwortet.

Klar ist dagegen, dass Verschwörungserzählungen im Deutschrap noch länger ein Thema sein werden. Am 13. September gab Fler bekannt, dass bald ein Interview von ihm mit Ken Jebsen erscheinen wird.

Update, 21.09.2020, 12:00 Uhr: Vier Tage nach Veröffentlichung unserer Recherche teilte ein Sprecher von “TV Strassensound” mit, man distanziere sich von den Aussagen des Sponsors und habe die Zusammenarbeit mit Daisho bereits Mitte Mai 2020 beendet. Wir haben die Stelle im Text entsprechend aktualisiert.

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