Von Elfen, Analsex und erotischen Rollenspielen—die Welt der WoW-Sexclubs

„Kann man bei World of Warcraft Sex haben?”, das ist eine Frage, die sich ziemlich viele Menschen auf Yahoo! Answers stellen und sie ist tatsächlich gar nicht so leicht zu beantworten.

Technisch gesehen, nun ja … nein. Die Charaktere werden sich nicht einfach so zu deinem bloßen Vergnügen nackt vor deinen Augen besteigen—obwohl ein User einen hilfreichen Tipp hat, wie man sich dem Ganzen visuell annähern kann. Hierzu muss sich der eine Avatar nur mit dem Bauch auf den Boden legen, während der andere das schnelle koitale Auf-und-Ab simuliert: „Der eine muss sich hinlegen und der andere (der hoffentlich weiblich ist) drückt sitzen/aufstehen (X-Taste). Das sieht ziemlich geil aus.”

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Tatsächlich sieht es überhaupt nicht geil aus. Aber wer glaubt, dass man Leute davon abhalten könnte, Ingame-Sex zu haben, nur weil es keine eigenständige Tastenkombination dafür gibt, muss ziemlich naiv sein. World of Warcraft ist ein MMORPG, ein Massively Multiplayer Online Role-Playing Game, mit rund 5 Millionen Spielern. WoW zu spielen heißt, in einer riesigen, komplexen und interaktiven Fantasiewelt zu leben und zu Fuß, auf seiner Bestie oder mit dem Boot durch die unendlichen Weiten von Azeroth zu reisen. Auf dem Weg kämpft man gegen verschiedene Monster und erledigt Quests, um Level für Level aufzusteigen. Im Gegensatz zu seinem Ruf als Rückzugsort für einsiedlerische Nerds, setzt WoW in Wirklichkeit jede Menge soziale Fähigkeiten voraus. Wer das Spiel wirklich ernst nimmt, muss sich einer Gilde anschließen—einer Gruppe mit eigenem Chatkanal, die aus ein paar Spielern, aber auch aus mehreren Hundert bestehen kann—und an sogenannten Raids teilnehmen, bei denen sich mehrere Spieler zusammentun, um gegen einen schwierigeren Gegner zu kämpfen.

Um ins Spiel zu gelangen, muss man zunächst einen Server wählen. Jeder einzelne von ihnen stellt quasi eine andere Version der Spielwelt dar. Die Server sind in vier Kategorien aufgeteilt, die vorgeben, wie die Spieler miteinander und mit ihrer Umgebung interagieren sollen. Auf den Rollenspielservern sollen die Spieler ihrem Charakter entsprechend sprechen und handeln: In besonders anspruchsvollen Rollenspiel-Communitys nimmt jeder User eine komplex gestaltete Fantasieidentität an, deren Handlungen mit der Zeit zu einer großen gemeinsamen Geschichte verschmelzen. Natürlich geht es in diesen komplexen Geschichten unter anderem auch um Sex—wie könnte es auch anders sein. In anderen hingegen geht es ausschließlich darum.

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„Ich würde beim besten Willen nicht behaupten, dass das auf den Großteil der Spieler zutrifft”, sagt Katherine Cross, eine feministische Schriftstellerin und WoW-Spielerin, in einem Telefoninterview. „Aber wenn man lange genug World of Warcraft spielt, passiert es schon mal, dass man über zwei Charaktere stolpert, die sich irgendwo in einer versteckten Ecke nackt gegenüberstehen.”

Wenn du auf zwei mysteriöserweise unbekleidete Charaktere triffst, die in eine ungewöhnlich lange private Konversation verstrickt zu sein scheinen, wirst du wahrscheinlich gerade Zeuge eines erotischen Rollenspiels, auch ERP (Erotic Roleplay) genannt. ERPs sind—wie der Name schon sagt—eine Form von Rollenspiel, bei der es um den sexuellen Kontakt geht. ERPs gibt es nicht nur in WoW, sondern auch bei MMORPGs wie Guild Wars 2, Starwars: The Old Republic und Wildstar. Es gehört aber auch nicht wirklich offiziell zum Spiel: Laut den Nutzungsbedingungen von World of Warcraft ist „vulgärer, obszöner” oder „sexuell expliziter” Sprachgebrauch strikt verboten. Aber solche Formalität halten natürlich niemanden davon ab.

Wer sich nach „Pornshire” wagt, muss sich darauf gefasst machen, in eine Welt voller rollenspielbasierter Sexgelage einzutauchen.

Tatsächlich haben die ERP-Gamer sogar eine eigene Sexstadt erschaffen—trotz der offiziellen Missbilligung: Auf dem Moon-Guard-Rollenspielserver gibt es eine Gegend namens Goldshire, wo man überall auf Charaktere trifft, die vollkommen unverfroren auf der Suche nach erotischen Begegnungen sind. Viele WoW-Spieler nennen die Gegend auch abschätzig—jedoch nicht besonders kreativ—„Pornshire”. Wer sich nach „Pornshire” wagt, muss sich darauf gefasst machen, in eine Welt voller rollenspielbasierter Sexgelage einzutauchen, bei denen selbst Georges Bataille vor Scham erröten oder sich zumindest nachdenklich das Kinn kratzen würde. „Goldshire ist zu einem free-to-play Sexchat für Erwachsene und einer Art Kuppelbörse geworden”, sagt Nico, eine ehemalige WoW-Spielerin und Bloggerin und fügt lachend hinzu, dass einige Spieler gelegentlich vorbeischauen, um zu „gaffen”.

Lion’s Pride Inn
Im Lion’s Pride Inn in Goldshire wimmelt es nur so von verruchten Rollenspielern, von denen der Großteil ohne Hosen seine Runden dreht.

„Ich habe da schon ein paar ziemlich gruselige Sachen erlebt”, sagt sie. „Ich glaube zwar, dass ich nicht besonders empfindlich bin—auch wenn ich es nicht gutheiße—, aber ich habe Sachen gesehen, bei denen mir die Haare zu Berge standen.”

Das Lion’s Pride Inn in Goldshire ist das Epizentrum der haarsträubenden Aktivitäten. Anders als in den anderen Tavernen, die überall in der Landschaft verteilt sind—und anders als die ganzen anderen Lion’s Pride Inns auf anderen Servern—trifft man hier oft auf dutzende, wenn nicht sogar hunderte von Spielern. Diese virtuelle Versammlung lungert dort einfach so herum, führt ein paar private Konversationen und/oder versucht, die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen. Manche von ihnen wackeln—unterschiedlich weit entkleidet—verführerisch hin und her, während wieder andere etwas reservierter am Rand des Gedränges stehen und das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachten.

Wenn man eins über die Bewohner von Goldshire sagen kann, dann dass sie genau wissen, was sie wollen. Wer einen genaueren Blick auf die Szene werfen möchte, muss sich ein Ingame Add-on runterladen, über das man ein ausführliches Rollenspielprofil anlegen und sich auch die der anderen ansehen kann. In diesen Profilen findet man zusätzliche Hintergrundinformationen über die äußerliche Erscheinung, die Persönlichkeit und die Geschichte der Charaktere. Viele von ihnen werden ziemlich ausführlich und erstaunlich detailliert beschrieben. Außerdem ist es neben der ausführlichen Beschreibung der eigenen körperlichen Erscheinung üblich, eine stichpunktartige Liste von persönlichen Fetischen und inakzeptablen sexuellen Praktiken zu hinterlassen.

DEFINITION DER FETISCHBEGRIFFE
VORE: kurz für „Voraephilie”; der sexuelle Wunsch, von einer anderen Kreatur verschlungen zu werden (oder auch sich selbst verschlingen zu lassen)—meist an einem Stück. Anale Voraephilie ist der Wunsch, in das Rektum oder den Darm einer anderen Person gesteckt zu werden.
FUTANARI: Ein japanischer Begriff, der Individuen beschreibt, die die primären Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter haben. Meistens haben Futanari-Charaktere eine insgesamt weibliche Erscheinung.
HENTAI: Bezieht sich auf pornografische Anime oder Mangas.
LAKTATION: Ein Fetisch, der den sexuellen Wunsch beschreibt, gestillt zu werden.
GAPING: Ein pornografisches Subgenre, bei dem der Anus nach dem Analverkehr auseinander klafft.
SCAT: Ein Fetisch, bei dem die sexuelle Erregung mit Fäkalien verbunden ist.
WATERSPORTS: Erotische Spielchen mit Urin.
AGEPLAY: Ein erotisches Rollenspiel, bei dem die Teilnehmer so tun, als wären sie unterschiedlich alt. Meistens gibt einer der Teilnehmer vor, jünger zu sein, als er eigentlich ist.
BREEDING: Ein Fetisch, bei dem es darum geht, schwanger zu werden oder jemand anderen zu schwängern.
HOT DOGGING: Wenn jemand seinen Penis zwischen die Pobacken des anderen reibt, bevor er dessen Anus penetriert.
CORRUPTION: Ähnlich wie bei der Gehirnwäsche oder Gedankenkontrolle geht es darum, dass ein Charakter böse wird (in sexueller Hinsicht)

In einem Artikel des Paraphilia Magazine hat die Autorin Dixe Flatline einige dieser Inhalte von den Profilen unter die Lupe genommen und katalogisiert. „Erniedrigung ist eine weit verbreitete Vorliebe … Vore, kurz für Vorarephilie—die Fantasie, jemanden zu verschlingen oder verschlungen zu werden—ist ein anderer beliebter Fetisch”, schreibt sie. „Futa (Futanari), FUTA (fucked up the ass) und Hentai sind ebenso beliebt. Inzest, Laktation, Fisting, Scat, Watersports, unfreiwilliger Geschlechtsverkehr/Missbrauch/nicht einvernehmlicher Sex, Ageplay, Breeding, Hot Dogging, Kidnapping und Korruption sind weitere Favoriten der Community.”

Die Beschreibung der äußerlichen Erscheinung kann kurz und knapp („deine 08/15 Spermatonne”), aber auch ziemlich wortreich und, nun ja, malerisch sein: Dixe traf auf eine Spielerin, die ihr sagte, sie hätte „einen Schwanz wie ein Pferd, der weit runterhängt und fast doppelt so groß wird, wenn sie hart wird. Ihre Eier waren genauso riesig und von der Größe von Wassermelonen und aus ihrem Schwanz tropfe die ganze Zeit über Sperma.” Die Spielerin brüstete sich zudem mit ihrem „riesigen Hintern, der wackelte und schaukelte, wenn sie sich bewegte … Er schwabbelte und wackelte wild hin und her.” Ich bin auf meiner Reise durch Goldshire auch auf ein paar wassermelonengroße Hoden gestoßen, die mit einem tropfenden Phallus verbunden waren und deren Besitzerin sagte, dass anale Vorarephilie für sie OK sei, aber sonst nichts in der Art. Andere beliebte Punkte auf Fetischlisten: Erniedrigung, Blut, Angst vor Schwangerschaften, Tentakel, Sodomie und Handjobs („Ich gebe gerne schnelle oder auch ausgedehnte Handjobs … wenn du eine Vorhaut hast, kannst du bei mir ziemlich leicht punkten”).

Dixe scheint ziemlich gelassen mit der endlosen und vielfältigen Aufzählungen von sexuellen Ingame-Vorlieben umzugehen. „Ich glaube, dass man in jeder Ecke und jedem Winkel unserer von viralem Content geprägten Kultur auf extreme Fetische trifft”, schrieb sie. Außerdem unterscheiden sich die Vorlieben, die man bei WoW zu sehen bekommt, ihrer Meinung nach in keinster Weise von den Inhalten, die man auf Pornhub oder xHamster zu sehen bekommt. „Jede Frau macht mittlerweile schon beim ersten Date Ass to Mouth. Was ist also falsch daran, eine Figur zu erstellen, die sich gerne anzieht wie eine billige Hure, um nach Booty Bay zu fliegen und einen Goblin zu fisten?”

Ihre ungezwungene Ansicht teilen viele. Laut Katherine Cross, „gibt es in ERP-Communitys oftmals die extremsten Fetische, aber alle gehen sehr selbstbewusst damit um.” Im besten Fall schafft eine solche spürbare Aufgeschlossenheit eine Umgebung, in der offen und freiheraus über sexuelle Vorlieben verhandelt werden kann. In diesem Fall beschreibt die Fetischliste klar und deutlich, mit was ein User einverstanden ist—eine Art virtuelle Version der hypothetischen „Sexverträge”.

Nehmen wir beispielsweise mal die Dark-Nest-Foren, wo User, die auf der Suche nach erotischen Ingame-Abenteuern sind, persönliche Kontaktanzeigen posten können. Der Text zur Anzeige „Fürze liebende Schlampe sucht Herrin” enthielt eine lange List von Vorlieben, darunter auch—wie der Titel schon andeutet—unzählige „Toilettenspielchen”. Die Reaktionen der anderen Forennutzer waren alle völlig wertungs- und vorurteilsfrei. „Ich wünsche dir viel Glück!”, antwortete einer. „Viel Glück bei deiner Suche, nach einem versauten Po-Abenteuer”, meinte ein anderer ermutigend. Ein dritter ließ die Urheberin des Posts freundlich wissen, dass er ihr soeben eine private Nachricht geschickt hat.

„Online-Fantasiewelten und Rollenspiele sollen per Definition dazu dienen, die Fantasie von Leuten anzuregen, nicht wahr?”, meint Cross. „Du bist ja schon in dieser Fantasiewelt, in der es Goblins und Drachen und Zauberer gibt … Wenn du ein erotisches Rollenspiel anfängst, bist du dir also schon im Klaren darüber, dass du dieses Setting für alles nutzen kannst, was du willst. Um ein paar offensichtliche, konkrete Beispiele aus Fantasy-Spielen zu nennen: Druiden können Ranken verzaubern—überleg die nur mal, wie viel Spaß du damit haben könntest. Oder Hexenmeister, die Succubi beschwören oder dich mit Zaubersprüchen fesseln können.”

Jedoch geht es bei der Philosophie Ich kann die Fantasiewelt dazu nutzen, um zu tun, was auch immer ich will nicht immer nur um Spaß und den einvernehmlichen Einsatz deines Succubus. Und es beschränkt sich auch nicht immer auf das Reich der Fantasie. „Was in World of Warcraft passiert, ist real, weil es zwischen zwei realen Personen passiert—nur über ein anderes Medium”, sagt Nico. In anderen Worten: Was in Azeroth passiert, bleibt nicht immer in Azeroth. Nico sagt, dass sie Mitglied in einer Online-Community für WoW-Spielerinnen war, wo „es mindestens einmal pro Woche einen Post von einer verheirateten Frau gab, in dem ‚Mein Mann spielt zu viel WoW‘ stand.”

„Es gab sogar ein paar Posts von Frauen, die meinten: ‚Hilfe, ich bin in meinen Gildenleiter verliebt, aber ich bin noch verheiratet.’”

Auch wenn die Interaktion in WoW vordergründig nur virtuell ist, sind die emotionalen Auswirkungen zweifellos real. „Du findest dich schnell in Beziehungen wieder, die tatsächlich tiefe Gefühle und eine echte Verbundenheit zu anderen Menschen mit sich bringen—Menschen, die du vielleicht noch nie zuvor getroffen hast oder die du im wahren Leben nur selten triffst”, sagt Dixe. „Trotzdem können diese Beziehungen intensiver sein als die, die wir zu Menschen haben, mit denen wir tagtäglich zu tun haben.”

Viele dieser Beziehungen, die meist in Gilden entstehen und gepflegt werden, erinnern an Seifenopern. Wieder andere hätten das Potenzial zu einer echten Tragödie wie von Shakespeare—einschließlich Dreiecksbeziehung, gebrochenen Herzen und ruchlosen Charakteren, die am Rand der Konstellationen manipulative Intrigen spannen. Während eines besonders berüchtigten „Gildendramas”—wie sie gemeinhin genannt werden—wurde die angesehene Death-and-Taxes-Gilde durch eine skandalöse Dreiecksbeziehung erschüttert, in deren Folge Nacktbilder von drei Gildenmitgliedern—einer Frau und zwei Männern—auftauchten. Im Death-and-Taxes-Gildenforum wurde der gesamte Vorfall in voller Länge dokumentiert und auf diversen anderen Seiten voyeuristisch zerstückelt: „Es lädt nur langsam, weil es gerade 3000+ Leute lesen”, merkte jemand in einem Thread an, der zum ursprünglichen Post verlinkt war.

„Ich kann mich noch erinnern, dass ich damals gerade bei einem Raid war und mein gesamtes Raid-Team aufhörte zu tun, was sie gerade taten, weil sie in irgendeinem Forum Beiträge über diese Dreiecksbeziehung lasen”, sagt Nico. „Das war ne ziemlich große Sache.”

Mit „Gildendramen” scheinen prinzipiell vor allem Frauen isoliert und bestraft zu werden. Eine Studie, die 2013 in Frontiers in Psychology erschien, stellte fest, dass männliche Spieler solche Vorfälle als Entschuldigung nutzen, um Frauen systematisch auszuschließen. Viele der befragten Frauen gaben an, dass sie in Gildenbeschreibungen schon oft gelesen haben, dass sie „keine Frauen aufnehmen, wegen dem Drama, dass sie verursachen können.” Und obwohl World of Warcraft in gewisser Weise ein Ort ist, an dem man seinen sexuellen Fantasien freien Lauf lassen kann, existieren auch dort dieselben Grenzen und dieselbe triviale Doppelmoral wie in der realen Welt. „Wenn eine Frau Gildenoffizier oder sogar Gildenleiter wird und es aus irgendeinem Grund öffentlich wird, dass sie ein ERP mit einem männlichen Spieler gemacht hat, dann wird sie immer beschuldigt, sie hätte sich virtuell nach oben geschlafen”, sagt Cross. „Das wird dann zu einem öffentlichen Skandal. Und die Leute sagen, dass man ihr nicht trauen kann.”

„Das nimmt Ausmaße wie bei Rachepornos an”, sagt Nico. „Es werden Nacktfotos gepostet. Es dreht sich fast ausschließlich darum, die Frau fertigzumachen und die Leute steigen definitiv drauf ein und reden darüber. Ich kann mich an ein paar solcher Geschichten erinnern—auf meinem Server und auf anderen—und mit allen wurde dasselbe gemacht … Bis sie am Ende nur noch schikaniert wurden, was unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist.”

Obwohl die Anonymität eine ausgezeichnete Brutstätte für diverse Internetsoziopathen ist, hat sie auch ihre Vorteile.

Belästigung und Schikane sind ein anderes Thema, bei dem die Grenzen zwischen der realen und der virtuellen Welt ziemlich leicht und auch ziemlich oft verschwimmen. Auch unabhängig von ERPs kommt es oft zu Störaktionen und Einschüchterungsversuchen. In der Studie, die 2013 in Frontiers in Psycholgy erschienen ist, haben zahlreiche Frauen gesagt, dass sie das Gefühl haben, sie müssten ihr Geschlecht verheimlichen, um sich vor Belästigung zu schützen. Viele von ihnen sagten auch, dass sie sich aus diesem Grund auch weigerten, an Voice-Chats teilzunehmen. Eine der befragten Frauen sagte, dass sie sich einmal bereit erklärt hatte, ihre Gruppe bei einem Raid zu leiten. Jeder in der Gruppe war, wie sie sagt, „überrascht von meiner Stimme.” Im Verlauf des Raids fingen die Leute dann an, immer mehr sexistische Kommentare zu machen. Irgendwann „dachte irgendein so ein Idiot, es wäre witzig, jedes Mal pervers rum zu stöhnen, wenn ich etwas sagen wollte. Dann haben es irgendwann alle gemacht. Mir hat es danach gereicht und ich habe einfach den Computer ausgemacht. Seitdem spreche ich nicht mehr im Voice-Chat.”

Eine andere Frau, die für die Studie interviewt wurde, sagte, dass sie und eine Freundin aggressiv ausgepfiffen wurden, nachdem sie sich entschieden hatten, mit weiblichen Charakteren zu spielen:

Eine meiner Freundinnen war neu im Spiel und wollte mit mir zusammen spielen. Wir haben uns weibliche Blutelfen erstellt und haben etwa eine halbe Stunde ohne Probleme gespielt. Irgendwann sind wir zurück in die Stadt gegangen und wurden von da an von einer Gruppe von vier Jungs verfolgt, die uns ständig gestört haben, während wir unsere Quests erledigen wollten. Nachdem sie uns eine ganze Weile lang bei unseren Quest-Mobs dazwischen gefunkt hatten, versuchten sie [meine Freundin] dazu zu überreden, mit ihnen zurück in die Stadt zu kommen und boten ihr 100 G dafür, dass sich ihr Charakter auszieht und in einem der Inns tanzt. Ich schlug daraufhin vor, männliche Charaktere zu erstellen und sie stimmte mir zu. Mit den männlichen Charakteren hatten wir dann auch keine Probleme mehr.

Die Vorstellung, dass alltäglicher Sexismus seine hässliche Fratze auch in einem Medium zeigt, dessen Existenzberechtigung darin begründet liegt, die Grenzen der Realität hinter sich zu lassen, wirkt auf gewisse Weise ironisch. In WoW fliegen die Spieler auf den Rücken von Drachen, erwecken sich gegenseitig von den Toten wieder und der Anblick eines humanoiden Pandakriegers ist so normal, dass er kein Aufsehen erregt. Trotzdem haben viele von ihnen noch immer große, große Schwierigkeiten damit zu akzeptieren, dass menschliche Frauen gleichberechtigte Mitstreiterinnen sind.

Natürlich kommt die Beschissenheit der Dinge im Spiel nicht annähernd an die der realen Welt heran. Für einige, die ziemlich viel Zeit damit verbringen, World of Warcraft zu spielen, ist es dennoch schwierig, zwischen Belästigung im Spiel und dem wahren Leben zu trennen. In einigen extremen Fällen kann sich ersteres auch auf letzteres übertragen. Nico musste das am eigenen Leib erfahren: Sie wurde ganze vier Jahre lang von irgendeinem Typ aus WoW gestalkt und belästigt. „Wir haben kein RP gemacht oder so, aber er war ein Freund von mir”, sagt sie. „Er war ziemlich enttäuscht, weil ich nicht in ihn verliebt war. Und als ich mit meinem Freund zusammenkam (mit dem ich noch immer zusammen bin), wurde er wirklich sauer deswegen und beschloss, dass ich eine Lügnerin sei und eine Schlampe und begab sich quasi auf einen vierjährigen Kreuzzug, um mir mein Leben zur Hölle zu machen.”

Die Belästigung begann im Spiel—er schrieb ihr im Chat obszöne, beleidigende Dinge und sorgte auch dafür, dass andere Spieler ihr obszöne und beleidigende Dinge schrieben—sowie im Gildenforum und in den sozialen Medien. Irgendwann ist es dann eskaliert. „Nach einer Weile fing er an, mir Morddrohungen zu schreiben. Er schickte mir Fotos von meinem Haus. Er wusste, wo ich wohnte. Er drohte mir auch mit Vergewaltigung und anderen Dingen, bei denen sich mir der Magen umdrehte—jeden Tag, vier Jahre lang. Es war ein Albtraum”, sagt Nico. „Ich habe eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt, ich habe die Polizei mehrmals zu ihm nach Hause geschickt, aber all das hat nichts geholfen.”

Irgendwann gab er dann doch auf. Nico weiß noch immer nicht, warum.

Wie bei den meisten Dingen im Internet ist auch die Freiheit und die relative Anonymität bei WoW ein zweischneidiges Schwert. „Es ermöglicht einem ohne die Fesseln des sexuellen Stigmas herumzuexperimentieren”, sagt Cross. „Aber es entfesselt gleichzeitig auch sexuelle Dämonen, durch die Belästigung und ähnliches auf ein ganz neues Level gehoben werden.”

Doch obwohl die Anonymität eine ausgezeichnete Brutstätte für diverse Internetsoziopathen ist, hat sie auch ihre Vorteile. 2014 schrieb Laura Kate Dale im Guardian eine Gastkolumne darüber, wie ihr das Spiel mit einem weiblichen WoW-Avatar dabei geholfen hat, sich mit ihrer Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen. Sie begann in der High-School, als sie sich noch als männlich identifizierte, mit ihrem weiblichen Avatar zu spielen. „Ich habe einen Ort gefunden, an dem ich Freunde hatte, die mich wie eine Frau behandelt haben—sowohl im positiven, als auch negativen Sinne”, schrieb sie. „In dieser Welt war ich zufrieden, wie ich war. Ich wollte sie auch eigentlich nicht mehr verlassen.”

Nachdem sie monatelang Entschuldigungen und Ausreden fand, um nicht zu Skype oder in den Voice-Chat zu kommen, wurde sie geoutet und verlor „viele ihrer Online-Freunde.” (WoW ist, wie bereits erwähnt, nicht der fortschrittlichste Ort, was die Einstellung gegenüber der sexuellen und/oder Geschlechtsidentität betrifft.) Jedoch war diese Erfahrung sehr wertvoll für sie. In einer Phase, in der sie mit ihrer eigenen Identität rang, „habe ich in WoW mehr über mich selbst gelernt—in einer Umgebung, in der ich mich lange Zeit über sicher gefühlt habe.”

Cross stimmt dieser Umschreibung mehr oder weniger zu. Sie nutzte ebenfalls einen weiblichen Avatar, als sie sich selbst noch als männlich identifizierte. Eine 2014 herausgegebene Studie hat herausgefunden, dass die meisten Männer, die in einem MMORPG einen weiblichen Charakter wählen, sich einfach nur gerne Hintern ansehen—wie Männer das eben so tun. Als ich ihr von dieser heterosexuellen auf den Po bezogenen Studie erzähle, muss sie lachen: „Ich bin eine Transfrau und ich kann dir sagen: Als ich 17 war, habe ich das gegenüber meinen damaligen Kumpels auch als Entschuldigung genommen.”

Sie sagt weiter: „Es gibt vielleicht auch viele nicht geschlechtskonforme Männer, die es genauso machen wie ich, oder auch Männer, die versuchen—um es mal ganz abgedroschen zu formulieren—, mit ihrer femininen Seite in Kontakt zu treten, aber Angst davor haben, es öffentlich zu tun.”

Was bei WoW wirklich einzigartig ist, ist die Tatsache, dass die Spieler dort die Möglichkeit haben, in einer wertungsfreien Umgebung mit was auch immer sie wollen herumzuexperimentieren—sei es die eigene Geschlechtsidentität, ein bestimmter Fetisch oder die aggressive Belästigung von Frauen. Es ist alles straffrei, wenn man nur verschwiegen genug ist. Laut Nico gibt es auch einige WoW-Spieler, die das Spiel äußerst ernst nehmen und zusätzliche Accounts haben, um Goldshire einen Besuch abzustatten, „damit ihr Main Account nicht besudelt wird, wenn die Leute sehen, dass du dich länger in Goldshire aufhältst.”

Cross wurde eine Meisterin der Ausflüchte, als sie ingame ERPs gemacht hat. Sie schilderte mir nostalgisch und in voller Länger, was die besten Orte waren, um sich zu entkleiden und einen kleinen privaten Sexchat zu starten. „Man kann in die Kerker gehen. Dort wird einen niemand stören”, sagt sie. „Kennst du die schwebenden Inseln von Nagrand? Es gibt so viele von ihnen, dass die Chance, dass irgendjemand ausgerechnet über deine stolpert, relativ gering ist. Es gibt auch einen Wasserfall außerhalb von Stormwind … Das war auch ein hübsches Plätzchen. Ich bin dort ein paar Mal mit Leuten hingegangen.”

Aber was ist mit all den auf Magie beruhenden Fetischsachen, der äußerst expliziten und wortreichen Elfenerotik, der Voraephilie und den unzähligen riesigen Schwänzen? „Das ist ein Nerd-Fetisch”, sagt Dixe. „Wenn wir es erklären müssen, vergiss es einfach.”