Kommt Walfleisch wieder vermehrt auf Norwegens Karte?

Man fährt ja meist nach Norwegen wegen der wunderschönen Landschaft—wegen der majestätischen Fjorde, der Wasserfälle, die aus den Klippen schießen, der atemberaubenden Gletscher und der strahlend blau funkelnden Gewässer.

Nicht unbedingt wegen des Walfleischs.

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Bei meinem letzten Besuch—ein dreitägiger Wandertrip um den Hardangerfjord und ein paar Tage gastronomisches Abenteuer in Oslo—hatte ich mir vorgenommen, Rentier zu essen und mich auf den zahlreichen Fischmärkten umzusehen, die wegen der umliegenden kristallklaren Gewässer für ihre hohe Qualität berühmt sind. Als ich an den Ständen mit frischem Lachs, Austern und hellrosa Kaviar in Tuben wie Zahnpasta, auf dem Fischmarkt in Bergen entlang spazierte, war ich nur ein kleines bisschen überrascht, als da plötzlich auch Walfleisch lag. „Free Willy!”, rief ein Fischhändler laut und pries damit seine dicke Walwurst an.

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Der Fischmarkt in Bergen, mit Walfleisch. Foto von Katherine Sacks.

Für die meisten Leute der westlichen Welt ist die Vorstellung, Walfleisch zu essen, völlig tabu. Das liegt zum Teil daran, dass der Walfang in vielen Teilen der Welt verboten ist. In Norwegen aber nicht. Schon seit tausenden von Jahren fangen die Norweger Zwergwale, eine relativ kleingewachsene Art, die nicht vom Aussterben bedroht ist und deren Population sich in den Gewässern von Norwegen, laut der International Whaling Commission (IWC), sogar wunderbar vermehrt.

„Die Tradition des Walfangs geht in Norwegen bis ins Mittelalter zurück und sogar noch weiter, bis in die Steinzeit”, sagt Jan Erik Ringstad, der Kurator des norwegischen Walmuseums. „Es gibt aber auch Aufzeichnungen von Gesetzen aus dem Hochmittelalter, die den Walfang in Küstennähe regulieren.”

Vor ungefähr 150 Jahren hatten viele Länder noch ihre Hände im Walfang, aber, so Ringstad, die USA besaßen den größten Teil des Walgeschäfts. Dank eines norwegischen Walfängers namens Sven Foyn, der im späten 19. Jahrhundert eine verbesserte Harpunenmethode entwarf, mauserte sich Norwegen zu einem der führenden Länder im Walfang. Dies und eine bessere Schifffahrtstechnologie sowie der uneingeschränkten Fangerlaubnis sorgten im letzten Jahrhundert für ungezügelten Raubbau am Walbestand. Darauf reagierte die International Whaling Commission im Jahr 1986 mit einem weltweiten Verbot des kommerziellen Walfangs.

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Blick auf den Hafen in Bergen. Foto von Katherine Sacks.

Heute ist Norwegen neben Island das einzige Land, das sich gegen das internationale Verbot stellt und weiterhin kommerziellen Walfang betreibt. (Japan macht dies unter dem Vorwand wissenschaftlicher Forschung, was kürzlich der Schwerpunkt des jährlichen Treffens der IWC war) In Norwegen sehen die Behörden den Walfang als Teil eines ausgewogenen Ökosystems an: Jedes Jahr wird eine Fangquote bestimmt und modernste Harpunen- und Fangmethoden werden eingesetzt, um 500 bis 1000 Zwergwale in Küstennähe zu fangen. Die Walfangsaison ist in Norwegen gerade vorbei (sie geht von 1. April bis 31. August) und 2014 war die beste, seit das Land den Walfang 1993 wieder aufgenommen hat.

Obgleich Walfleisch kulturell und historisch eine wichtige Rolle spielen mag, macht das Walfleisch nur einen sehr kleinen Teil der norwegischen Ernährung aus und das Land hatte Schwierigkeiten, die 700 Tonnen Zwergwalfleisch zu vertreiben. Für manche Norweger gehört der Walfang der Vergangenheit an. Sie erinnern sich noch an die Blütezeit des Walfangs in den 60er- und 70er-Jahren, wo minderwertiges, gefrorenes Walfleisch oft in Schulküchen serviert wurde und Teil der Tagesration des Militärs war.

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Gegrillter Wal mit Spargel und Pilzen. Foto von Marius Tvethaug.

Lars Jon Amundsen betreibt das Solsiden Restaurant, eines der erfolgreichsten Restaurants für saisonale Meeresfrüchte in Oslo. Walfleisch kommt dort nicht auf den Tisch. „Als ich ein Kind war, gab es Wal zum Abendessen, ich bin also damit aufgewachsen. Es ist Teil unserer Kultur”, sagt er. „Ich bin nicht strikt dagegen, aber wir servieren es nicht. Ich habe diese Entscheidung vor vielen Jahren getroffen. Manche Leute finden es nicht gut, deshalb haben wir entschieden, es von der Karte runter zu nehmen.”

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Geräucherter Wal. Foto von Marius Tvethaug.

Die Walfangcommunity tut aber ihr Bestes, um den Verkauf anzukurbeln und kreierte ein spezielles Etikett, damit die Kunden qualitativ hochwertiges Fleisch leichter erkennen können. Es gibt auch einige Unterstützer des Walfangs, die der Meinung sind, dass Walfleisch gerade im Kommen ist, besonders unter den jungen und kulinarisch Hippen.

Marius Tvethaug, eine ehemaliger Koch, der derzeit den Frøya Sjømat-Fischmarkt auf dem angesagten Essensmarkt Mathallen leitet, beobachtet ein steigendes Interesse an Walfleisch, besonders unter den jungen Norwegern. „Wir versuchen, Essen auf traditionelle Weise zu verwenden. Die neue nordische Küche verbreitet sich gerade auf der ganzen Welt und Walfleisch wird deshalb immer beliebter, weil den Leuten klar wird, dass es Teil unserer Kultur ist”, sagt Tvethaug, dessen Walfleischverkauf dieses Jahr auf 200 Kilo anstieg. „Das Walfleisch zu räuchern ist eine der ältesten Methoden, Essen zu konservieren. Und wir fangen Wale schon seit der Steinzeit. Wir gehen also irgendwie zurück zu unseren Ursprüngen.”

Für ältere Norweger ist es eine Art mysteriöses Fleischrelikt aus der Kindheit, für junge Köche aber einfach nur lecker. „Es ist wie eine großes Wild, Reh oder Elch”, sagt er. „Ein bisschen süßer, ähnlich wie Pferd—aber so wie Wild schmeckt es mehr nach Rindfleisch und ist sehr zart.”

Obwohl Ringstad, der Kurator des Walmuseums in einer der heutigen Walregionen lebt und mit Walfleisch aufwuchs, isst er es mittlerweile nur noch sehr selten. Er kaufte im letzten Jahr nur ein Mal Walfleisch und das liegt immer noch in seinem Gefrierschrank. Trotzdem bestätigt auch er den speziellen Geschmack von gutem Walfleisch. „Das Fleisch muss frisch sein und du musst genau wissen, wie man es richtig zubereitet”, sagt er. „Dann schmeckt es sehr lecker. Du würdest niemals glauben, dass du Walfleisch isst.”