Nutzer auf der ganzen Welt, 40 Millionen Euro Umsatz, 24 Server in mehreren Ländern – der Betrieb eines modernen Darknet-Marktes ist oft aus Sicherheitsgründen über den ganzen Globus versprengt. Einen der größten dieser Schwarzmärkte gibt es trotz aller Bemühungen seit einigen Tagen nicht mehr: Das BKA, das FBI und die niederländische Polizei haben die Seite vom Netz genommen und ein Sicherstellungsbanner auf die .onion-Domain geschaltet, die man ausschließlich mit der Anonymisierungssoftware Tor erreichen konnte.
Auf dem “Wall Street Market”, der im Aufbau einer Art illegalem eBay ähnelt, handelten rund 1,1 Millionen registrierte Nutzer mit rund 63.000 Angeboten aus gefälschten Ausweisen, gestohlenen Kreditkarten, Drogen aller Art und Medikamenten. Bezahlt wurde in den Kryptowährungen Bitcoin und Monero, verschickt in die ganze Welt. Benutzer konnten die Seitensprache auf Deutsch oder Englisch umstellen. Waffen und Material, das sexuelle Gewalt an Kindern zeigt, war allerdings streng verboten – möglicherweise auch, um die Aufmerksamkeit der Strafverfolger nicht unnötig schnell auf sich zu ziehen.
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Das hat nicht ganz geklappt: Die drei mutmaßlichen Betreiber sind allesamt Deutsche: ein 22-Jähriger aus Kleve, ein 29-Jähriger aus dem Landkreis Esslingen und ein 31-Jähriger aus dem hessischen Bad Vilbel – ein Zugriffsort, der genau wie bei der Abschaltung der riesigen Kinderporno-Plattform Elysium mal wieder mehr oder weniger um die Ecke von der Zentralstelle für Internetkriminalität (ZIT) liegt. Die hatte von Gießen aus die Ermittlungen geführt. Die Verdächtigen wurden am 23. und 24. April festgenommen und sitzen nun in Untersuchungshaft. Bei den Razzien der Wohnungen nahmen Ermittler auch die Server der Plattform mit, außerdem noch über eine halbe Million Euro Bargeld, ein paar teure Autos und sechsstellige Kryptowährungs-Beträge. Bei dem jüngsten der drei Verdächtigen fand man zudem noch eine Schusswaffe.
Die drei sollen an der Plattform eine gute Million Euro verdient haben und werden der Beihilfe zum Drogenhandel beschuldigt – es ist eine behelfsmäßige Anklage, denn ein Darknetforum zu betreiben, ist in Deutschland noch nicht per se strafbar.
Das wollen Ermittler und einige Politiker aber ändern. Aktuell wird ein entsprechendes Gesetz auf Bundesinnenminister Horst Seehofers Initiative hin im Bundesrat diskutiert. Der Entwurf ist höchst umstritten, weil auch die Polizei mehr Befugnisse bekommen soll – unter anderem könnte sie die Post zwingen, Auskunft über bereits verschickte und empfangene Sendungen bei Verdächtigen zu geben. Das würde einen erheblichen Eingriff in das Postgeheimnis bedeuten.
Dass sich die Betreiber gegen einen Waffenhandel entschieden hatten, war auch ohne den neuen Straftatbestand eine gute Idee – schließlich liegt das Strafmaß für den Handel mit solchen Gütern weitaus höher.
Die Geschichte vom Ende des Wall Street Market führt aber noch etwas weiter zurück. Vor wenigen Wochen irritierte eine seltsame Nachricht die Hunderttausende Nutzer des größten Darknet-Markts Dream Market: Der Marktplatz kündigte auf seiner Startseite ohne Begründung an, zum 30. April zu schließen. Ein so regulierter Abgang ist höchst ungewöhnlich und kam deshalb den meisten Händlern und Käufern verdächtig vor. Nach Spekulationen über die Unterwanderung des Marktes verlagerten deshalb viele ihre Handelsaktivitäten auf den zweitgrößten Kryptomarkt: Wall Street Market. Weil sie sich dort sicherer fühlten.
Der enorme Zulauf an Händlern inspirierte wohl wiederum die Betreiber von Wall Street Market dazu abzuhauen – mit den zwei bis sechs Prozent Kommission, die sie bei Deals und Gebühren verdient hatten. Still und heimlich begannen sie, die Gelder auf ihre privaten Konten zu transferieren, um sich damit aus dem Staub zu machen – doch sie flogen auf.
Und so kam das Ende von Wall Street Market mehr oder weniger mit Ansage: Schon am 21. April warnten anonyme Nutzer auf dem Reddit-ähnlichen Darknet-Diskussionsforum Dread, dass sich die Betreiber des Wall Street Markets mit einbehaltenen Geldern aus dem Staub machen wollen.
“Wir können gerade zu 99% sicher sein, dass die Betreiber nicht zurückkommen”, schreibt der Händler HugBounter. “Der Administrator meldet sich seit 72 Stunden nicht, und die Bitcoin bewegen sich weiterhin [von der Plattform weg].”
Am 23. April schalteten die WSM-Administratoren die Plattform angeblich wegen “technischer Probleme mit der Blockchain” in den Wartungsmodus – spätestens da glaubte kaum einer der Nutzer mehr, dass er sein Geld jemals wiedersehen würde.
Während die Betreiber ihren sogenannten Exit-Scam vorbereiteten, wusste das BKA bereits seit März, wer sich da mutmaßlich die Drogengelder abzog – und schlug noch am 23. April bei den Verdächtigen zu. Es war wohl eben dieser versuchte Exit-Scam und die Krypto-Geldflüsse, die die Ermittler auf die entscheidende Spur brachte.
Wie schon vergangene spektakuläre Fälle um korrupte Ermittler und skrupellose Plattform-Betreiber bei Silk Road und anderen Darknet-Märkten gezeigt hatten, kennt die Gier in den letzten Tagen eines großen illegalen Marktplatzes oft keine Grenzen. So scheint es auch hier: Denn wie mehrere Nutzer übereinstimmend berichteten, waren sich die Betreiber und ihre Mitarbeiter völlig darüber im Klaren, dass gegen sie ermittelt wird – und sie nutzten kurz vor ihrer Festnahme offenbar die Gunst der Stunde, um die Händler auf der Plattform noch in letzter Sekunde zu erpressen.
Der Drogenhändler “californiafinest” schreibt dazu auf Dread: “Der Kundensupport schreibt mir Nachrichten mit allen meinen Bestellungen, schickt direkt noch eine Bitcoin-Adresse mit und will Geld. Der Markt will die Nutzer erpressen, damit sie entweder sofort zahlen oder in eine Liste aufgenommen werden, die die Betreiber ans FBI und an Europol weitergeben wollen.”
Ein anderer Nutzer auf Dread gibt sich sorgloser: “Ich bin echt glücklich, dass die Marktbetreiber mit unseren Bitcoin davonrennen, statt dass die Behörden sie konfiszieren und weiterhin diesen dummen Krieg gewinnen.”