Warum ‘Fallout 4’s Commonwealth das bislang glaubwürdigste Ödland ist

Dieser Artikel ergänzt unser Video zu Fallout 4, das als Teil unserer ‘Open Worlds’-Reihe von NVIDIA präsentiert wird. Schau es dir an.

Fallout ist in mehrer Hinsicht eine Ikone. Da wäre einmal seine Pseudo-50er-Jahre Ästhetik, die fast zu einer ebenso vollwertigen Spiel-„Figur” geworden ist, wie die spielbaren Avatare selbst. Oder das Maskottchen der Serie, Vault Boy, der inzwischen auf allem erdenklichen Merchandising prangt. Dennoch war es weder Fallout 3 noch seinem Nachfolger New Vegas wirklich gelungen, eine Landschaft zu schaffen, die ein reales Bild des regelrechten Horrors zu vermitteln vermag—des Horrors, sich in einer postapokalyptischen Welt ein auch noch so bescheidenes Auskommen sichern zu müssen.

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Das lag daran, dass den Spielern zwar viel über die Gefahren in den Capital und Mojave Wastelands erzählt wurde, die Realität beider Gegenden aber ein sehr viel weniger furchteinflößendes Bild abgab. Viele Feinde, von verfaulenden wilden Ghulen bis hin zu den riesigen Supermutanten, werden als furchterregend und rücksichtslos beschrieben, aber es war für die Spieler nie sonderlich schwer, durch sie hindurchzufetzen wie eine motivierter RAD-Kakerlake durch ein Stück Reispapier.

Fallout 4 ist anders. Zu sagen, dass es vom Schwierigkeitsgrad her ein anspruchsvolleres Spiel geworden ist, wäre wahrscheinlich nicht ganz richtig, oder gar irreführend. Aber während Fallout 3 und New Vegas gut darin waren, die Gegner zu beschreiben, gelingt es Fallout 4 sehr viel besser, die Stärke der den Commonwealth mit dir teilenden Lebensformen abzubilden.

Wilde Ghule, die zuvor kaum mehr als Kanonenfutter waren, sind die besten Beispiele dafür. Fallout 4 präsentiert diese Monster, die einst Menschen waren, inzwischen aber von der Strahlung unwiederbringlich zerstört worden sind, als eine der größten Gefahren des Überlebens im Commonwealth – sowohl in den Ortschaften als auch bei Erkundungsstreifzügen. Ihr neues, aggressives Design sorgt dafür, dass Situationen, die noch in den Washingtoner Ruinen von Fallout 3 völlig ohne Schweißausbruch abgegangen wären, zu über Leben und Tod entscheidenden Konfrontationen geworden sind.

In Lexington zum Beispiel füllen die wilden Ghule die Straßen derart, dass sie einen übereifrigen Spieler schnell umzingeln und zu einer realen und handfesten Bedrohung werden können – sogar in den niedrigeren Levels. Raider sieht man auf den Straßen hingegen kaum, sie bevorzugen die Sicherheit der Dächer und der nahegelegenen Corvaga-Fabrik, welche beide von automatisierten Geschütztürmen und schweren Waffen geschützt werden.

Wenn man sieht, wie die Ghule hier aus geschlossenen Räumen hervorkrauchen und sich zusammenrotten, muss man sie schon allein wegen der großen Anzahl automatisch als gefährlichere Gegner sehen. Man versteht, warum sogar die Raider, die alle möglichen Schusswaffen und Sprengkörper dabei haben, es vorziehen, sich vor ihnen in Sicherheit zu bringen. Die Gefahren, die dann erst für Siedler von ihnen ausgehen – die selten mit etwas stärkerem als einer Impro-Pistole und einer paar harschen Worten über Goodneighbor spawnen– sind so klar wie der Mittagshimmel über dem zerstörten Boston und lässt die Bedeutung des einzigen Überlebenden bei der Verteidigung dieser Siedlungen nur noch glaubwürdiger erscheinen. Der einzige Überlebende seid übrigens ihr, also tut wenigstens so, als wärt ihr grad beschäftigt.

Das macht sie für die Spieler selbst nicht unbedingt gefährlicher; beim durchschnittlichen wilden Ghul braucht es maximal zwei Schüsse aus einem Jagd- oder Scharfschützengewehr, bis sie umfallen, und bei stärkeren Versionen bringt es einen schon ein ganzes Stück weiter, wenn man ihnen erst mal ein Bein oder einen Arm wegpustet. Trotzdem entsteht der Eindruck eines wesentlich gefährlicheren Wesens—nicht aufgrund eigener Erfahrungen, sondern einfach, weil man weiß, was diese Kreaturen ahnungslosen Aasfressern oder Siedlern antun können.

Das hat zur Folge, dass man, statt durch verlassene Gebäude zu rennen, jetzt langsam und vorsichtig durch sie hindurchschleicht, und dabei gelegentlich auf das V.A.T.S. zurückgreift, um sicherzugehen, dass nicht plötzlich irgendwelche Feinde unter einem eingestürzten Regal oder aus einem schmalen Fenster herausgekrochen kommen. Diese Anspannung während der Erkundungstouren sorgt dafür, dass ihr permanent extra aufmerksam seid, was sich im Gameplay so äußert, dass ihr auf immer längeren Strecken eure Powerrüstung anbehaltet, euch noch einmal mit Munition eindeckt, bevor ihr euch in die engen, klaustrophobischen Ruinen hineinwagt, oder einfach mehr Stimpaks oder Drogen einpackt, um euch zu heilen und durch alle Feinde hindurchzukämpfen, die euch auf dem Weg begegnen mögen.

Die wilden Ghule sind nicht die einzigen Monster, die für Fallout 4 überarbeitet wurden—eigentlich haben die meisten zumindest einen neuen Anstrich und eine höhere Schadensresistenz bekommen. Kreaturen wie die Maulwurfratten und die RAD-Skorpione haben zusätzliche Grabfähigkeiten bekommen, sodass es schwieriger geworden ist, sie im Auge zu behalten, sobald sie einen Spieler entdeckt haben; ihnen zu entkommen ist nun ein regelrechter Albtraum. Das ist eine weitere Veränderung, die die Spieler zwingt, permanent aufmerksam auf ihre Umgebung zu achten, und neben Waffen und Buffs auch einen groben Plan zur Hand zu haben, wie man mit den diversen Gegnern fertig wird.

Auf Motherboard: Was sind die besten Fallout-4-Survivalstrategien für einen nuklearen Winter?

Die Spielelandschaften fügen der allgemein schauerlichen Atmosphäre noch eine weitere Ebene hinzu. Die Hauptverkehrsadern von Boston lassen dem Spieler wenig Raum zum Manövrieren, so dass sie gezwungen sind, Raider oder Supermutanten entweder direkt zu bekämpfen oder viel Zeit mit umständlichen Umwegen durch kleinere Straßen und Gassen zu verlieren, wo sie zudem auf noch krassere Feinde stoßen können, als die, denen sie gerade auszuweichen versuchen. Außerhalb von Boston hat der Spieler etwas mehr Platz und Bewegungsfreiheit, was aber wiederum noch stressiger sein kann, vor allem, wenn man sich dem südlichen Ende der Karte nähert, wo noch schnellere und erbarmungslosere Feinde hausen.

Im Gebäudeinneren haben die Entwickler von Bethesda den Gefahren, die für Spieler von den Kreaturen auf offener Straße ausgehen, nun noch einen weiteren Aspekt hinzugefügt: ihr Verhalten in der Sicherheit ihrer eigenen Behausungen.

Das reicht vom spielerischen Ermorden gefangener Reisender—vermutlich aus geplünderten Campinganhängern oder ausgeraubten Kolonien—bis hin zum Einsperren und Foltern von Siedlern. Ein einziger falscher Schritt am falschen Ort, an jeder beliebigen Stelle im Spiel, und ihr könnt von unzähligen Guhlen umzingelt werden; und außerhalb der Mauern der Diamond City, die nicht unzerstörbar sind, fühlt sich das Ödland von Fallout 4 wirklich auf sehr viel realere Weise gefährlich an als jede andere bis dato von Bethesda geschaffene Open World.

Das Spiel endet irgendwann unvermeidlich damit, dass die Spielfigur so mächtig geworden ist, dass nichts auf der Welt eine reale Gefahr mehr für sie darstellt. Das vermindert zwar etwas die Spannung, die durch die vielfältigen Bedrohungen besonders in der Anfangsphase des Spiels erzeugt wird, aber es macht die eigentlichen Konfrontationen nicht weniger elektrisierend und angsteinflößend. Egal wie viele Waffen ihr euch in Fallout 4 zulegt—mutierte Monster bleiben eine permanente Präsenz in den Ruinen und offenen Räumen—nicht immer sichtbar, aber immer bereit den zu überraschen, der zu selbstsicher oder respektlos geworden ist. Sie streifen durch das Ödland und sie herrschen über die Nacht. Und keine Fallout-Version hat zuvor Raum und Zeit dahingehend so eindrücklich erfahrbar gemacht.

@BrackenLR

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