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Warum der Bahnstreik die deutsche Wirtschaft kaum treffen wird

Jedes Mal, wenn die GDL ein Tarifangebot der Deutschen Bahn zurückweist und ankündigt die Arbeit niederzulegen, scheint sich fast ganz Deutschland mal wieder wunderbar einig zu sein in einem finalen Urteil: Dieser Streik schade allen Beteiligten—und nicht zuletzt massiv der deutschen Wirtschaft. Erst kürzlich postulierte Die Welt gar kämpferisch: „Nun ist die Politik gefordert, diesen Streikvandalismus zu stoppen!” Und auch ein empörter Sigmar Gabriel meldet sich zu Wort und fügte der Aufregernachricht endlich eine griffige Zahl hinzu: „Ein Millionengrab” nannte der Minister die Kosten des Streiks der Lokführer.

Eric Schweitzer, Chef des Industrie-und Handelskammertags, prognostizierte schließlich sogar eine halbe Milliarde Euro Schaden für die deutsche Volkswirtschaft während des besonders langen siebentägigen Streiks Anfang Mai (selbst wenn im Güterverkehr jeder zweite Zug fährt und bis zu 60 Prozent des Regionalverkehrs ebenfalls ersetzt wird). Mal abgesehen davon, dass das Streikrecht als Grundrecht auch für die gilt, die uns mit der Inanspruchnahme dessen echt nerven: Wie genau setzen sich diese angesetzten Kosten eigentlich zusammen und ist das Geld wirklich weg?

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Wir haben dafür den Konjunkturexperten Prof. Dr. Roland Döhrn von Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) angerufen und gefragt, wie genau man solche Ausfälle eigentlich beziffern kann.

MOTHERBOARD: Hallo, Herr Döhrn. Ich wollte gern wissen, wie man diese halbe Milliarde Euro Schaden durch den Streik der Lokführer genau aufschlüsseln kann.

Döhrn: Gar nicht?

Aber es fliegen doch gerade überall Zahlen herum, wenn es um den Streik geht.

Da muss ich Sie enttäuschen, diese Prognosen sind übertrieben.

Ärgerlich, aber auch nicht so wahnsinnig schlimm: Streik im Güter- und Personenverkehr. Bild: imago

Können Sie das genauer erklären?

Nun, es gibt da natürlich Berechnungsmodelle, die man auch auf den Transportsektor anwenden kann. Wenn wir uns da nur auf die Leistung beschränken, gibt es da natürlich einen negativen Effekt.

Aber wenn wir uns historisch mal Daten von alten Streiks angucken, müssen wir schon sehr ins Detail gehen, um da überhaupt eine Auswirkung auf die Konjunktur zu entdecken, geschweige denn messen zu können.

Wenn aber Züge nicht mehr fahren, entstehen doch Kosten und es wird dann gerne gesagt, dass die „Bänder still stehen”.

Es gibt Ausweichreaktionen: Erstens, man verlagert einfach das Transportmittel. Viele Container können ja auch mit Schiffen transportiert werden, dann müssen die nur eben erst nach Duisburg in den Binnenhafen gebracht werden. Und wenn es schneller gehen muss, gibt es ja auch noch LKWs. Ich gehe also davon aus, dass die Straßen nun etwas voller werden. Der Moment, in dem Produktion entsteht, ist davon immer noch nicht belastet.

Was den Personenverkehr angeht, sind natürlich die Fernbusse dann auch viel mehr gefragt. Dort haben viele Anbieter eine auslastungsabhängige Preisgestaltung —soll heißen, die freuen sich in genau solchen Fällen. Es wird also an anderer Stelle wieder Umsatz generiert. Und es könnte sein, dass die Mietwagen ein bisschen knapper werden.

In der Gütertransportstatistik sieht man einen Streik vielleicht—aber in der Konjunkturkurve kaum.

Zweitens: Die deutsche Wirtschaft kann viele ihrer Aufträge zeitlich verlagern. Dann wird eben etwas später gemacht oder verschoben, oder das Zeug liegt schlimmstenfalls eine Weile im Ausgangslager. Aber es ist ja nicht weg. Wir leben in einer globalisierten Welt und soweit ich mich erinnere, ist es nie so weit gekommen, dass die Produktion komplett ausgefallen ist. Der einzige Fall, bei dem ich mir das vorstellen könnte, wären Betriebe, die komplett auf Zulieferer angewiesen sind—da stockt dann vielleicht mal die Produktion etwas, aber ansonsten hat das kaum Auswirkungen.

Wenn ich das jetzt auf Personen beziehe: Dann verschieben Sie eben ihre Reise oder verzichten ganz darauf—da gibt es nur einen Produktionsausfall, sollten Sie beruflich unterwegs sein und gar nicht mehr wissen, wie Sie weiterkommen.

Letztlich kommen diese Streiks kommen ja mit Ansage und lassen sich dementsprechend vorbereiten. Wenn ich also kann, verschicke ich meine Güter eben früher statt später.

Also zusammengefasst: Klar, in der Gütertransportstatistik sieht man so einen Streik—aber in der Konjunktur kaum.

Können Sie sich in der Geschichte an einen Fall erinnern, bei dem es zu einem Produktionsausfall gekommen ist?

Nein, allerhöchstens vielleicht mal bei den ganz harten Streiks der IG Metall zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche. Da muss man schon bis in die 80er Jahre zurückgehen, um richtig tiefe Zacken in der Konjunkturkurve zu finden. Und: Schon im Monat danach gab es eine deutlich spürbare Gegenreaktion im Produktionsindex, indem der Vormonat locker ausgeglichen wurde. Also, diese Rhetorik von wegen „die Bänder wird stillstehen” ist wirklich total überzogen, denn so weit ist es noch nie gekommen.

Aber man muss umdisponieren und draufzahlen. Das ist aber schon ärgerlich für alle, oder?

Ich sage ja auch gar nicht, dass dadurch kein volkswirtschaftlicher Schaden entsteht. Er ist nur nicht so gravierend. Ein solcher längerer Streik führt definitiv zu vielen Unannehmlichkeiten und Verunsicherung, das sicherlich.

Heißt das also, der Streik trifft doch hauptsächlich das gewünschte Ziel, also die DB?

Ja klar, das liegt ja in der Natur der Sache. Ein Streik will ja vor allem dem eigenen Arbeitgeber einen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Aber einen Faktor dürfen wir trotzdem nicht vergessen: Man verliert das Vertrauen in die Schiene—wenn jetzt fortlaufend gestreikt werden sollte, kann man sich natürlich schon Gedanken darüber machen, was das für den Wirtschaftsstandort Deutschland heißt. Also: Bau ich jetzt meine nächste Fabrik in Deutschland, wo alle paar Wochen die Züge ausfallen? Das könnte ein ausschlaggebendes Kriterium für Unternehmen sein. Auf die Dauer wirken so viele Streiks rufschädigend und zermürbend—aber da gibt es viele Länder, die mit diesem Problem viel eher zu kämpfen haben.

Also entsteht letztlich doch ein Schaden für die Gesamtwirtschaft.

Ja, aber ganz ehrlich: Die paar Millionen gehen in weißem Rauschen unter. Bei der Konjunktur einer großen Volkswirtschaft handeln wir in Milliarden. Das dauert, bis man da unter konkreten Konsequenzen ächzen würde, die sich nicht nur auf eine Woche beziehen. Die Effekte für eine Volkswirtschaft sind wirklich sehr überschaubar.

Vielen Dank.