Warum die Street Parade 2017 alle EDM-Acts rausgeschmissen hat

Dieser Artikel erschien in einer längeren Version zuerst auf Noisey Alps

Wenn das Lokalmagazin Tele Züri titelt: “Ciao Sir Colin! Warum sein Lovemobile weichen muss”, dann hat die Zürcher Street Parade eigentlich schon alles richtig gemacht. EDM und Schweizer C-Listen-Promi-DJs verschwinden 2017 komplett von den Bühnen und Umzugswagen, im Line-up reiht sich Techno-Hochkaräter an Techno-Hochkaräter, die Liveübertragung wird von Be-At TV produziert und visuell tritt die Street Parade nicht mehr als 00er-Jahre-Rave auf. Die Street Parade macht offensichtlich einen gehörigen Schritt in eine neue Richtung.

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Aus diesem Grund haben wir Street-Parade-Booker Robin Brühlmann zum Gespräch eingeladen. Seit 17 Jahren holt er die DJs nach Zürich, seit Frühjahr 2017 sitzt er im Vorstand des Vereins Street Parade. Dabei erzählte er uns auch, warum sich seiner Meinung nach in diesem Jahr gerade für Gäste aus dem (deutschen) Ausland die Anreise lohnt.

THUMP: Chris Liebing, Dubfire und Ellen Alien statt Oliver Heldens, Robin Schulz und Fedde Le Grand. Wieso macht ihr diesen Schritt?
Robin Brühlmann: Wir finden, wir sind ein Event für elektronische Musik – schon immer gewesen und schon immer mainly Techno. Jetzt wollen wir uns aber neu positionieren und da spielt das Booking eine wichtige Rolle. Die Idee muss sein, dass du an der Street Parade neue Musik und die Subkultur entdecken kannst – und nicht, das wieder gespielt wird, was eh bereits im Radio läuft.

Wie und wo setzt ihr das um?
Beim Stage-Programm, das zu 100 Prozent bei uns liegt, können wir unser Anliegen konsequent durchsetzen – auch bei den Schweizer Acts. Bei den Trucks ist es jedem selbst überlassen, welche Musik er spielen will. Aber auch da merken wir, dass es eher wieder back to the Roots geht, mehr zu technoideren Klängen und weg vom Pubfestival-“EDM”-Sound. Das ist nichts gegen diese Musikstilrichtung, aber let’s face it: Robin Schulz und Co. machen Popmusik und haben nicht viel mit elektronischer Clubmusik zu tun.


Auch bei THUMP: Einmal Gabber, immer Gabber:


Heißt: Die DJs und Residents von lokalen Clubs wie dem Nordstern, Hive, Rok und der Zukunft spielen auch auf der Street Parade?
Ich weiss nicht, wo die jeweiligen Acts überall Residents sind, aber wir haben geschaut, dass wir die lokale Subkultur berücksichtigen. Gleichzeitig müssen wir aber sehr viele Menschen mit unterschiedlichsten musikalischen Vorlieben beliefern und können kein Line-up wie zum Beispiel eine Lethargy fahren, die musikalisch noch mal einen Schritt weiter in die Subkultur hineingeht. Schlussendlich glaube ich, dass wir einen guten Mix gefunden haben.

Habt ihr Angst, dass durch den Wechsel auf undergroundigere Musik weniger Leute kommen, oder ist die Street Parade schon so groß, dass das Booking nicht mehr wirklich etwas ausmacht?
Das Ziel wäre ja, dass durch dieses Line-up mehr neue Leute kommen und gewisse wiederkommen. Aber die Street Parade hatte ja sowieso nie den Anspruch, möglichst viele Menschen nach Zürich zu holen – keiner sagt, wir wollen mal zwei Millionen Menschen in Zürich haben. Unser Ziel ist es, die Qualität pro Quadratmeter hoch zu halten. Und genau das machen wir mit dem diesjährigen Line-up in Kombination mit den 30 Lovemobiles. Durch ein gewisses Grundrauschen an Publikum und weil wir keine Tickets verkaufen müssen, können wir uns einen so konsequenten Schritt erlauben. Das könnte ein anderes Festival wahrscheinlich nicht.

Ein Luxus, den man sich also gönnt.
Ein Luxus, den wir uns in den letzten 25 Jahren vielleicht auch erarbeitet haben.

Robin Brühlmann, porträtiert von Mina Monsef

“Die Idee muss sein, dass du an der Street Parade neue Musik und die Subkultur entdecken kannst – und nicht, das wieder gespielt wird, was eh bereits im Radio läuft.”

Luciano etwa ist jetzt zum vierten Mal in Folge dabei. Gab es einen Meilenstein, bei dem ihr gesagt habt: “So soll es weitergehen.”?
Eigentlich nicht. Im Booking musst du immer ein Jahr im Voraus denken und schauen: Was wird passieren, wo geht der Trend hin? Ibiza ist da nach wie vor der Indikator. Was in Ibiza groß wird, wird es in der Regel auch auf einer globalen Ebene. Wir haben vor drei Jahren gemerkt, dass Techno das nächste groß Ding werden könnte. Da sind die EDM-DJs auch ein wenig selber schuld, weil sie es Veranstaltern mit ihren Gagen und horrenden Ridern nicht einfach gemacht haben. Aus musikalischer Sichtweise war es natürlich ein Risiko, dass wir von da an vermehrt auf die Karte “Techno” setzten – das hätte auch ein Schuss hinten raus sein können. Denn Clubmusik heisst nicht, dass diese eins zu eins an einer Street Parade umgesetzt werden kann. Ein Club ist klein, hat ein anderes Soundgefühl, als wenn du an einem Openair 80’000 Menschen vor der Bühne hast. Das war dann dankbar am sogenannten EDM, er hat openairmäßig entertaint.

Du hast Ibiza als Indikator genannt. Woran orientierst du dich beim Booking sonst noch? Wo schaust du nach Trends und Acts, die auf die Parade passen?
Es sind mehrere Faktoren: Ich mache das jetzt seit 17 Jahren und habe in dieser Zeit natürlich die Szene, Agencys und DJs kennengelernt. Mit denen tausche ich mich während dem Jahr natürlich aus und spüre so raus, was läuft. Ibiza, wie schon gesagt, ist wichtig. Ausserdem ist der Amsterdam Dance Event (kurz ADE) der absolute Place-to-be geworden, wenn es darum geht, in diesem Business professionell Business zu machen. Ich gehe eigentlich jedes Jahr eine Woche hin und treffe fast im Stundentakt Agenturen, Managements und Veranstalter. Wir tauschen uns darüber aus, was im Folgejahr läuft. Und dann ist es sicher auch noch die persönliche Note, die mitspielt – das ist ja menschlich und normal.

Was ist mit den Schweizer Clubs? Schaust du, was hier passiert?
Absolut. Wir tauschen uns auf nationaler Ebene genau wie auf internationaler aus. Hier natürlich nicht so intensiv, dass wir uns hinsetzen und besprechen würden, was das Jahr über in einem Club laufen wird. Aber anhand von Line-ups und von eigenenen Clubbesuchen sehe ich natürlich, was beim Publikum funktioniert und was nicht. Ich hör mir ab und zu auch gezielt ein Set von einem DJ an, von dem ich denke, er würde zur Parade passen.

Mit der Züri Sound Stage, bzw. der Stage der Hive-Partyreihe Rakete, habt ihr ja bereits einen Schritt auf die lokale Szene zu gemacht.
Dieses Jahr wird der Schritt sogar noch grösser. 2017 gibt es zum ersten Mal einen offiziellen Street-Parade-Clubbing-Guide. Da arbeiten wir eng mit den Lokalen zusammen. Die namhaften Zürcher Clubs können in unserem Magazin ihr Programm oder zum Beispiel die Club-Bio platzieren. Uns geht es dabei darum, dem Besucher, der früher anreist oder länger bleibt, zu zeigen, welches die coolen Clubs sind und wo was läuft. Außerdem wollen wir auch nach außen eine Einigkeit symbolisieren und es mittelfristig schaffen, dass Menschen aus dem Ausland ein, zwei Tage früher nach Zürich anreisen, weil wir eines der besten Nightlifes der Welt haben.

Foto: Mina Monsef

“Wir wollen es schaffen, dass Menschen aus dem Ausland ein, zwei Tage früher nach Zürich anreisen, weil wir eines der besten Nightlifes der Welt haben.”

Bei den Lovemobiles habt ihr meine Erachens gute Partner gefunden: Elrow, Hyte, Electric Love Festival, BPM Festival, Claptone …
Andere Festivals machen ja Stage-Hosting und das ist mittlerweile ausgelutscht. Das coolste an der Street Parade sind einfach die Wagen. Für Elrow, BPM Festival und alle anderen gehört es zu einem Highlight, mit einem eigens designten Truck durch eine Million Menschen zu fahren. Loco Dice und Chris Liebing sind ein super Beispiel: Wir haben ihnen letztes Jahr zum ersten Mal angeboten, einen Hyte-Truck ins Rennen zu schicken. Die haben das so krass gefunden, dass Chris Liebing seine Radiosendung auf dem Truck aufgenommen und das Wochenlang abgefeiert hat. Während der ADE haben wir dann gleich gesagt: Let’s do it again!

Hat euch beim Booking und bei den neuen Trucks auch die Kooperation mit Be-At TV geholfen – dass man einen internationalen Broadcaster im Boot hat, der im Gebiet der elektronischen Musik eine große Plattform bietet?
Das ging Hand in Hand. Als wir mit den Labels verhandelt haben, waren wir auch schon mit Be-At TV im Gespräch. Auf Be-At TV umzusteigen war ein weiterer strategischer Entscheid. Wenn wir den Event global bekannt machen wollen, brauchen wir einen globalen Partner, der das glaubwürdig und repräsentativ umsetzt. Wenn du dann sagen kannst, Be-At TV ist offizieller Streaming-Partner, hat das in der Szene und für DJs auch einen Wert.

Wie werden die Livestreams aussehen? Klassische Be-At-TV -Livesets?
Es wird die grösste Produktion sein, die sie je umgesetzt haben. Details kann ich noch keine bekannt geben, weil wir noch in der technischen Umsetzung sind. Aber es werden minimum drei Channels sein – die zwei Mainstages und der Elrow-Truck.

Gibt es wieder eine Hymne? Und zielt die wie jedes Jahr aufs Radio ab?
Nein. Denn die macht Luciano.

Und wie lange dauert es noch, bis die Street Parade zum zweiten Sonar wird?
Nie. So etwas ist absolut nicht vorgesehen und dafür haben wir die Mittel auch gar nicht. Wenn wir es stattdessen aber irgendwie schaffen, den Clubbing-Städtetourismus zu fördern, hilft das allen – den Clubs, der Stadt, der Street Parade.

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