Warum die Street Parade das Beste ist


Sich über die Street Parade lustig zu machen und sie scheisse zu finden, ist einfach und so 2006: Jedes Jahr will einem das Establishment—besser gesagt die heimische Nightlife-Szene—klarmachen, dass das grösste Technofest der Welt nichts mit ihnen zu tun habe und dass es sowieso nur eine grosse Fasnacht mit Techno als Vorwand sei.

Was an der Parade wirklich scheisse ist, hat mein Kollege Kamil hier bereits gesagt. In einigen Punkten kann ich ihm zustimmen. Grundsätzlich hätte die Veranstaltung aber mehr Liebe verdient und ich habe einige gute Gründe dafür.

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Die gute Musik

Dass auf den Love Mobiles nur Schrott läuft, darüber müssen wir uns nicht streiten. Ich bin immer noch für eine Subvention von Wagen aus der heimischen Clubwelt—aber es hört ja niemand auf mich. Dafür ist es genauso unbestritten, dass seit einigen Jahren trotzdem richtig gute Musik um das Seebecken läuft—auf den Bühnen. Im Line-up von 2016 sind Carl Cox, Loco Dice, Art Department, Chris Liebing und Nic Fanciulli nur ein Teil der Namen, die für Fans von guter elektronischer Musik wohl klingen. Und alle Schweizer Local Heros, die natürlich nicht Mr. Da-Nos oder Sir Colin heissen, sind auch dabei. Eine ganze Stage wird sogar von der Rakete-Party geschmissen, da wirst du mich sicher treffen.

Besser als Silvester

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Die Street Parade und Silvester haben einige Dinge gemeinsam: Du kannst bis in die frühen Morgenstunden und noch länger feiern, einige trinken massiv über ihren Durst hinaus und jeder vermeintliche Idiot kommt nach Zürich. Wenn ich mir einen dieser zwei Tage im Jahr aussuchen müsste, um in überfüllten Clubs zu feiern, dann ist es nicht Silvester. Die Street Parade ist ein viel besserer Anlass, weil wirklich jeder Laden mit grossen Geschützen auffährt—von der Zukunft übers Hive bis sogar zum Kaufleuten. Und da wären noch die Off-Events, wie etwa die Lethargy oder die Just Like That im Supermarket. Oder die Day-Dances am Sonntag. Oder die Homepartys, die deine befreundeten DJs schmeissen. Oder die halbprivaten, halblegalen Underground-Events, wo ein Vodka-Mate nur fünf Steine kostet.

Wenn du nicht weisst, wo du nach oder neben der Street Parade feiern sollst, kann ich dir leider auch nicht weiterhelfen: Die Auswahl ist so gross und du kannst nicht wirklich etwas falsch machen—ausser vielleicht an eine Hip-Hop-Party zu gehen.

Beste Erziehung

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Stell dir vor: In den 90ern war Techno etwas Unbekanntes, das die Generation X erforschen musste. Zum Glück kommt man heute nicht mehr an elektronischer Musik vorbei. Und wenn es dir noch nicht in die Wiege gelegt wurde, wachsen spätestens die heutigen Kids mit 4/4-Takt und treibenden Beats auf. Selbst wenn sie vielleicht auch nur vom Radio-Mainstream-Sound angefixt wurden, können sie jedes Jahr an der Street Parade eine Lektion in gutem Clubsound nehmen. Und wenn du schon weisst, wie der Hase läuft, nimm doch mal deinen jüngeren Cousin oder deine kleine Schwester mit.

Nieder mit dem Klassenkampf

Sorry, hier kommst du nicht rein”, wird an der Street Parade keiner hören. Für ein Mal teilt jeder mit jedem die Tanzfläche—nicht nur mit den immer gleichen Szenehipstern. Und weil sie die Musik verbindet, soll das gar nicht stören. Unter dem hoffentlich sonnigen Himmel, vor deiner favorisierten Bühne knüpfst du vielleicht eine Party-Freundschaft mit einem Aargauer, lernst ein paar Worte Italienisch oder lachst über einen Witz eines in Zürich lebenden Deutschen. Lass die Vorurteile zuhause, sie gehören eigentlich generell nicht an eine Party—an der Street Parade wird die Theorie aber zur Praxis.

Weltstadt Zürich

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400.000 Menschen am Electric Daisy Carnival, dem grössten Dancefestival in Amerika, 180.000 am Tomorrowland—alles Pipifax! Die Street Parade ist die grösste Dancemusic-Party der Welt. Dafür hätte die Parade selbst, die Schweizer Nightlife-Szene und die Stadt Zürich von vielen und vor allem von der gesamten Musikwelt mehr Anerkennung verdient—auch von dir.

Deine Erinnerungen sind der bessere Aftermovie

À propos Tomorrowland: Das Tomorrowland ist der heilige Gral der elektronischen Musikfeierei? My ass! Auch wenn der Aftermovie der Street Parade nie an die Produktionen des belgischen Festivals herankommt, zählen doch sowieso nur die Geschichten, die wir selber schreiben und nicht irgendein YouTube-Video. Ich für meinen Teil kann von jeder Ausgabe, seit ich 2004 als Knirps das erste Mal am Rave war, eine Anekdote erzählen. Wie mir Dani König 2004 ein T-Shirt nach meiner ersten Parade geschenkt hat, wie ich 2007 als Jüngster auf dem Love Mobile des Supermarkets mitgetanzt habe, wie 2013 ein Freund auf MDMA in den See gefallen ist und sich wie durch ein Wunder nichts getan hat. Und du kennst sicher auch genug Geschichten, die du jedes Jahr aufs Neue Revue passieren lassen kannst—egal ob sie dich die Street Parade lieben oder hassen lassen.

Weggehen

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Und, wenn du jetzt immer noch nicht überzeugt bist, dass die Street Parade grossartig ist, dann ist sie immer noch der beste Grund, dich einen Tag und eine Nacht lang einzusperren oder zu verreisen. Immerhin dafür könntest du der Street Parade verdammt noch mal dankbar sein.

Ganz allgemein sollten wir auch dankbar sein, dass sich die Macher der Street Parade trotz anhaltendem Gegenwind nicht unterkriegen lassen haben und das Boot am Zürichsee immer wieder in richtige Gewässer gesteuert haben: EDM und Charts-Gute-Laune-Deep-House wurden endlich verbannt. Und auch dafür, dass der Event den Clubs so viele Menschen zuspült, dass wir deswegen wahrscheinlich das ganze Jahr gute Party mit guten DJs in vollen Läden feiern können. Und jetzt wünsche ich gute Feierei!

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