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Warum die Terror-Klage gegen Zuckerberg ein Armutszeugnis ist

„Nimmt endlich den Ofen in Dachau in Betrieb”, „Kugel in kopf und weg mit dem dreck”, „unwerter Menschenmüll”—wegen dieser Hasskommentare könnten der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sowie neun weitere Facebook-Manager bald auf der Anklagebank sitzen. Ihr mutmaßliches Vergehen: Beihilfe zur Volksverhetzung, in mehreren hundert Fällen. Angezeigt hatte die Facebook-Bosse der Würzburger IT-Anwalt Chan-jo Jun.

Vor wenigen Tagen hat die Staatsanwaltschaft München I bekannt gegeben, die Ermittlungen gegen Zuckerberg & Co. aufzunehmen. Schockierend ist an dieser Meldung nicht, dass deutsche Staatsanwälte gegen den Gründer eines der größten Unternehmen der Welt ermitteln—schockierend ist, dass dieser Schritt überhaupt notwendig zu sein scheint. Das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Volksverhetzung ist der vorläufige Höhepunkt einer langen Debatte in Politik und Öffentlichkeit darüber, wie das soziale Netzwerk Facebook zu einer „Hass-Maschine” werden konnte und darüber, wie man die Hetze im Netz wirksam bekämpft.

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Das Problem existiert schon länger, als es der Politik lieb sein kann

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass eine Volksverhetzung-Klage gegen Zuckerberg das vielleicht effizienteste Mittel gegen Hass im Netz ist? Klar ist: Daran, dass das Thema noch immer Neuland wäre, kann es nicht liegen. Wir diskutieren schon lange und ausführlich über Hass im Netz—kein anderes Internet-Thema beschäftigte die Öffentlichkeit in den vergangenen zwei Jahren in vergleichbarem Ausmaß. Vor einem Jahr erreichte die Debatte dann sogar das Bundeskabinett: Im September 2015 gründete Bundesjustizminister Heiko Maas eine Task Force, um gemeinsam mit Facebook-Mitarbeitern eine Strategie gegen den Hass zu erarbeiten.

Tatsächlich ist schon viel länger bekannt bekannt, wie problematisch digitale Hassrede eigentlich sein kann—das zeigt ausgerechnet ein Blick auf eine Entscheidung vom höchsten deutschen Gericht. Schon im Jahr 2000 wies der Bundesgerichtshof (BGH) mit einem Urteil den Weg auf, Hass-Kommentaren juristisch beizukommen—und zwar sogar dann, wenn sie auf ausländischen Servern liegen. Damals wurde ein australischer Nutzer wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er antisemitische Inhalte „deutschen Nutzern zugänglich gemacht hat”.

Löschen ist einfacher, als es Facebook lieb sein kann

Doch noch eine Sache verwundert an der Debatte um Hasskommentare: Was genau ist überhaupt so schwer daran, Hass aus dem Netz zu löschen? Es ist ja nicht so, dass Facebook bei anderen Löschungen nicht konsequent agieren würde. Beim Thema Nippel zum Beispiel. Da sind Facebooks Kontrolleure päpstlicher als der Papst: Nippel sind ein No-Go. Die australische Künstlerin Ella Dreyfus wurde beispielsweise vor kurzem gesperrt, weil sie ein Foto ihrer eigenen Ausstellung aus dem Jahr 1999 postete, auf dem eine ältere Frau mit nacktem Oberkörper zu sehen war. Facebooks Begründung: Das Foto könnte „sexuelle Gewalt oder Ausbeutung fördern”.

Ein weiteres Beispiel für Posts, die schnell und rigoros gelöscht werden: Bilder, die die kurdische Flagge auf der türkischen Facebook-Version zeigen. Wer die Flagge von Irakisch-Kurdistan postet, riskiert postwendend nicht nur die Löschung seines Beitrags, sondern gleich die Sperrung seines Accounts. Es mag stimmen, dass es komplizierter ist, Textkommentare zu löschen als Bilder mit klarer Aussage—doch kann das für ein mit 300 Milliarden Dollar an der Börse bewertetes Unternehmen wirklich eine Ausrede sein?

Sackgasse Task Force

Kritiker werfen der Task Force des Justizministers vor, zu handzahm zu agieren: Mit konkreten Sanktionen, Strafverfolgung oder neuen Gesetzen wird zumindest öffentlich nicht gedroht; zuletzt kam immerhin die zarte Ankündigung einer „Deadline” und ab März nächsten Jahres Ernst zu machen und Facebook für ungelöschte Hetze haften zu lassen.

Nichtsdestotrotz scheint sich das Unternehmen seit der Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden tatsächlich ein Stück weit zu bewegen: Hasskommentare werden zum Teil schneller gelöscht, Initiativen zur Gegenrede unterstützt, darüber hinaus wurden Flüchtlinge als schützende Kategorie mit aufgenommen (und damit Hass gegen Flüchtlinge erstmals als solcher anerkannt). Doch in der Praxis bleiben Gewaltaufrufe und Hassbotschaften häufig weiter stehen. Zudem werden oft die falschen Inhalte gelöscht, beschweren sich Nutzer—etwa Beiträge, die über Hass im Netz aufklären wollen.

Doch die Task Force hatte einen unverhofften und ungünstigen Nebeneffekt: Es entstand der Eindruck, man könne nichts gegen Facebook unternehmen außer Dialog und runde Tische. Denn, so lautete der Einwand, die Server, in denen der Hass gärt, schlummerten in den USA—und die haben ja ein anderes Verständnis von der Meinungsfreiheit. Erst im Frühjahr lehnte etwa die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft eine ähnliche Klage gegen Zuckerberg ab, Begründung: Deutsches Recht sei nicht anwendbar, der „Handlungsort für die Taten” befänden sich dort, wo die Server liegen.

Klage hat politischen Sprengstoff

Die Klage gegen die Facebook-Bosse hat nun das Potential, die seit Jahren schwelende Debatte um Hasskommentare um 180 Grad zu drehen. Die Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen die Führungsriege des Internetriesen bergen bereits jetzt politischen Sprengstoff: Sogar der bayerische Justizminister Winfried Bausback hat sich bereits dezidiert mit dem Fall auseinandergesetzt.

Auf eine Anfrage des Würzburger Anwalts Juns an Bausback habe dieser ihm bereits im Vorfeld signalisiert, dass die Hamburger Rechtsauffassung falsch sei und deutsches Recht wohl anwendbar wäre, so der Anwalt gegenüber Motherboard. Demnach könnte der Entschluss der Münchner Staatsanwaltschaft darauf hinweisen, dass die Ermittlungen die politische Rückendeckung der bayerischen Landesregierung genießen. Obwohl die Position des Justizchefs nicht bindend für die Münchner sei, gehe Jun davon aus, dass die Aufnahme der Ermittlungen „mit dem Ministerium abgesprochen” sei und es „politischen Druck gegeben” habe.

Wie hoch sind die Chancen der Ermittlungen?

Jun hatte bereits im Frühjahr dieses Jahres Facebooks Führungspersonal bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg angezeigt. Damals wurden allerdings die Ermittlungen gar nicht erst begonnen. Das deutsche Recht sei auf Facebook nicht anwendbar, hieß es wenig später in Hamburg. In München, so scheint es, will man der Argumentation der Kollegen aus dem Norden nicht folgen. Die Kriterien für die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens seien erfüllt, nun müsse geprüft werden, ob tatsächlich strafrechtlich Relevantes vorliege, so ein Sprecher der Münchner Staatsanwaltschaft gegenüber Motherboard. Ob Zuckerberg wirklich etwas zu befürchten hat, wird sich also erst in den nächsten Monaten zeigen.

heißt es in einem Statement des Konzerns