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Warum ‘Fifty Shades Darker’ gefährlich ist – erklärt von einer Kriminalpsychologin, die zu Sadisten forscht

Trotz der unterirdischen Kritiken haben 2,16 Millionen Deutsche Fifty Shades Darker in den ersten elf Tagen nach seinem Kinostart gesehen. 610.000 gingen allein am vergangenen Wochenende ins Kino – das sind elf Mal so viele Zuschauer wie Trainspotting 2 hatte. In Finnland und Australien waren einige Kinobesucher so sehr davon erregt, dass sie sich gleich im Kinosaal mit ihrer Gurke vergnügten.

Es ist der zweite Teil der Verfilmung der Fifty-Shades-Reihe und die Geschichte ist schnell erzählt. In Teil 1 schließt der superreiche Sadist Christian Grey einen Sexvertrag mit der Jungfrau Ana ab. Als er sie zu fest verhaut, ist sie aber so entsetzt, dass sie Schluss macht. In Teil 2 braucht es ein Abendessen und 15 Sekunden Cunnilingus, damit sie ihn zurück will. Christian, erfahren wir, steht nämlich deshalb darauf, Frauen zu verhauen, weil er eine ganz schwere Kindheit hatte – Schläge, crackabhängige Mutter. Ana ist daraufhin fest entschlossen, ihn zu retten. Und siehe an, in seiner harten Schale aus Muskeln und gestärkten Hemden steckt ein verletzlicher Kerl, der sich nach Kochabenden sehnt.

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Alles halb so wild, ist halt Hollywood? Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke forscht zu Sadisten und sieht das anders. 

VICE: Du hast deine Diplomarbeit über BDSM geschrieben und siehst die Fifty-Shades-Reihe sehr kritisch. Warum?
Lydia Benecke: Jemand, der keinerlei Berührung mit dem Thema hat, könnte denken, der Film gibt einen realistischen Einblick in BDSM-Beziehungen. Dabei ist das, was Christian und Ana haben, eine Mischung aus psychischen Störungen, Grenzenverletzungen und emotionalen Bindungsproblemen. Kurz gesagt: Christian Grey ist ein gefährlicher, traumatisierter, bindungsgestörter Egomane, der Frauen als Spielzeug behandelt und sie emotional und finanziell abhängig machen will. Stalking ist bei ihm ganz normal. Allein die Tatsache, dass er sich mit Ana eine Jungfrau als Partnerin ausgesucht hat und versucht, ihr sein sexuelles Skript aufzudrücken, ist beunruhigend. Er weiß ja überhaupt nicht, ob es ihrer sexuellen Neigung entspricht. Das zeigt, dass es ihm letztendlich ziemlich egal ist, was sie will. Und er sie einfach wie ein Tier dressieren will und schauen, wie weit er gehen kann. Bei Menschen, die sich mit BDSM auskennen, gehen da alle Warnflaggen an.  

In Fifty Shades Darker wird Ana allerdings selbstbewusster. Sie zeigt Christian Grenzen auf und setzt ihre eigenen Regeln. Darauf hin taut Christian auf, lässt Nähe zu, will, dass sie bei ihm einzieht und ihn heiratet.
Aber auch das ist eine problematische Botschaft: Wenn du lange genug leidest und Schwierigkeiten erträgst, wird dein Partner sich ändern. Das Leben ist allerdings kein Disney-Märchen, in dem alles gut wird, wenn man nur an die Liebe glaubt. Geduld heilt keine Persönlichkeitsstörungen. Dass ein Narzisst allein durch die aufrichtige Liebe einer Jungfrau eine positive Verwandlung durchmacht, ist auch der Plot von Die Schöne und das Biest. Ich mache mir Sorgen um junge und eher lebensunerfahrene Menschen, die dann einen gestörten Partner wie Christian treffen und glauben, ihn alleine durch die Kraft der Liebe ändern zu können. Eine Beziehung kann zwar zusätzlich zu einer Therapie unterstützend wirken, nur ist sie eben kein Ersatz dafür.  

Schöne Frau trifft komplizierten Typ, das ist der Plot jeder zweiten romantischen Komödie. Denkst du nicht, dass die Menschen die Fifty-Shades-Filme nicht einfach als das sehen, was sie sind – eine unrealistische Hollywood-Schmonzette?
Viele Menschen können das zum Glück klar unterschieden, leider gibt es aber auch andere. Nachdem die Bücher und die Filme rauskamen, tauchten immer wieder Menschen bei den BDSM-Stammtischen auf und haben ihren Christian gesucht. Und das waren keine abstrusen Einzelfälle. In der internationalen BDSM-Szene gab es deshalb sogar gut besuchte Gesprächskreise und Workshops dazu, wie man diesen Neuankömmlingen vermittelt, dass Fifty Shades wenig mit BDSM zu tun hat. Es war vor allem beunruhigend, dass viele dieser Shades-of-Grey-Touristen, wie sie in der BDSM-Szene auch genannt werden, jung waren, also noch auf der Suche nach ihrer Sexualität und ihrem Beziehungsmodell.

Und was erzählen erfahrene BDSMer diesen Leuten?
Dass in der Fifty-Shades-Reihe Dinge propagiert werden, die in der Szene sehr kritisch gesehen werden. Ich will nicht sagen, dass 100 Prozent aller BDSM-Beziehungen gesund sind – ebenso wie es auch nicht 100 Prozent aller anderen Beziehungen sind. Aber die Stärke dieser Subkultur ist ja genau, dass Menschen ihre eigenen Grenzen mit Sinn und Verstand kennenlernen und die Grenzen anderer respektieren. Kommunikation, Einvernehmen und Vernunft werden groß geschrieben.

In Fifty Shades Darker zwingt Christian Ana immerhin nicht mehr, Sachen im Bett zu tun, auf die sie keine Lust hat. Sie ist es, die den Hintern versohlt haben will und die BDSM-Erfahrungen initiiert.  
Die Ausgangslage ist das Problem: Ana will eigentlich eine ganz normale Beziehung und erstmal ihre eigene Sexualität entdecken, wobei sie feststellt, dass sie gerne ein bisschen aufregenderen Sex mag, auch mal mit Augenbinde und Fesseln. Er ist ein Sadist mit einer kaputten Vergangenheit, der eigentlich auf viel krassere Dinge steht als sie. Es wird ja ausführlich erklärt, dass Christian ein traumatisierter Mann ist, der seine Bindungsstörung damit kompensiert, dass er Frauen wie Haustiere behandelt. Zumindest in der Romanreihe wird seine Art, Sexualität und Beziehungen zu gestalten, als Symptom seiner gestörten Persönlichkeit dargestellt, weshalb er seinen Partnerinnen auf unterschiedlichen Ebenen schadet.

In einer Szene aus Fifty Shades Darker taucht er wie aus dem Nichts in einer Bar auf, in der Ana ihren Boss trifft und macht eine Szene. Seine Begründung: “Er will etwas, was mir gehört.” Außerdem bestellt Christian ungefragt Essen, Kleider, Unterwäsche und Sexspielzeug  für sie und überweist ihr gegen ihren Willen 24.000 Dollar.  
Das alles sind Grenzüberschreitungen und Ausdruck eines pathologischen Beziehungsverhaltens. Außerdem versucht er, sie von Leuten abzuschotten, die ihm nicht gefallen, lässt sie von seinen Mitarbeitern ausspionieren. Er versucht, die völlige Kontrolle zu erlangen, finanziell, sozial und emotional. Es gibt in der Szene zwar auch extreme Beziehungsmodelle wie “Total Powerexchange”,  in dem der submissive Part dem dominanten die Kontrolle in allen Lebensentscheidungen überlässt. Aber diese werden nur von einem kleinen und meist sehr BDSM-erfahrenen Teil der Szene ernsthaft ausgelebt. Es ist ein No-Go, eine lebensunerfahrene Person, die ihre eigene Neigung und ihre Grenzen noch nicht in Ruhe kennenlernen konnte, in eine solch vielfältige Abhängigkeit zu drängen. In gesunden BDSM-Beziehungen geht es vor allem darum, dass die Partner auf menschlicher Ebene gleichberechtigt sind und beide am Wohl des anderen interessiert sind.

Und das sind Ana und Christian nicht?
Zumindest in der Ausgangslage sucht Christian genau das Gegenteil. In meinem Buch Sadisten: Tödliche Liebe – Geschichten aus dem wahren Leben habe ich Unterschiede zwischen einvernehmlichen und gefährlichen Sadisten definiert. Ich habe sogar einen echten Fall beschrieben, der einige Parallelen zu der Fifty-Shades-Reihe aufwies: Sie war lebensunerfahren, er etwas älter und stellte sich als ein BDSM-Experte dar. Sie zog bei ihm ein, arbeitete für ihn und war nach einer Zeit absolut von ihm abhängig. Er hatte Wutanfälle und unterdrückte sie, bis sie völlig depressiv und selbstunsicher wurde. Die Frau hatte noch Jahre mit den Folgen der Beziehung zu kämpfen. Gerade, dass Christian zumindest am Anfang sein Gegenüber als ein leicht manipulierbares Objekt sieht, das er zur Umsetzung seines vorgefertigten Drehbuches missbrauchen will – das sind schon typische Kennzeichen von eher gefährlichen Sadisten.

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