Warum Hysterie die falsche Reaktion auf das Zugunglück in Bad Aibling ist

Rettungskräfte in Bad Aibling | Foto: Imago/Lukas Barth

Im oberbayerischen Bad Aibling sind heute am frühen Morgen zwei Regionalzüge der Firma Meridian auf einer eingleisigen Strecke zusammengestoßen. Bei dem schweren Zugunglück sind bislang neun Tote und annähernd einhundert Verletzte vermeldet worden. Der deutsche Verkehrsminister Dobrindt sprach auf der Pressekonferenz in Bad Aibling davon, dass sich ein „Zug förmlich in den anderen hineingebohrt” und „die Kabine komplett auseinandergerissen” habe.

Die Strecke sei für 100km/h ausgelegt gewesen, daher sei davon auszugehen, dass beide Züge mit hoher Geschwindigkeit aufeinandergeprallt sind. Beide Züge waren mit jeweils drei Blackboxen ausgestattet, die gerade gesichert und zum Teil schon gefunden wurden. Nicht sicher und daher aufgeklärt werden muss, ob es sich um technisches oder menschliches Versagen gehandelt hat. Diese Informationen stammen aus der Pressekonferenz zum Zugunglück.

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Gleichzeitig wird die Hysterie-Maschine des Online-Journalismus gerade wieder angeworfen. Listen werden laut, die die schlimmsten Bahnunfälle der Republik zeigen. Die Bild sprach unmittelbar nach dem Unfall mit einer überforderten Rettungsassistentin vor Ort und zitiert ihren unmittelbaren Schock. Listen zu ergoogeln gehört zu den simpelsten Aufgaben von Journalisten, unreflektierte Live-Witness-Dokumente anzufordern zu den widerlichsten.

Live-Ticker springen minütlich mit der Zahl der Verunglückten hin und her und sind in Zeiten von Periscope und Push-Eilmeldungen auf dem Smartphone ein gängiges Instrument der Berichterstattung. Im Online-Journalismus sind diese ursprünglich von Sportveranstaltungen übernommen worden, dort erzeugt der Ticker Spannung, welche überraschenden Wendungen das jeweilige Spiel nehmen wird. Ähnlich elektrisiert sitzen wir allerdings auch vor dem Katastrophen-Ticker—nur warten wir hier nicht auf Tore, sondern auf aktualisierte Spekulationen. Statt angemessen zu informieren, suggerieren derartige Listen, Ticker und Zitate, dass wir uns nicht mehr sicher fühlen sollten, wenn wir Bahn fahren.

Panik ist aber auch angesichts des Zugunglücks nicht angebracht, denn Züge gehören zu den sichersten Verkehrs- und Transportmitteln. Das ist so sicher wie die tägliche Verspätung der Bahn. Das Statistische Bundesamt Wiesbaden hat in einer Studie herausgefunden, dass nur bei Flugzeugunfällen durchschnittlich weniger Menschen verunglücken als bei Unfällen mit Eisenbahnen. Am höchsten sei das Risiko beim Fahren eines PKWs. Die Chance, in der eigenen Wohnung umzukommen, ist übrigens deutlich höher— So zählt das Statistische Bundesamt in Deutschland für 2014 9.044 tödliche Unfälle im Haushalt und 3.597 tödliche Verkehrsunfälle.

Wer sich nach so einem Ereignis fragt, ob man dennoch Sicherheitsmaßnahmen eingehen sollte, findet zwar keine offiziellen entsprechenden Untersuchungen, kann aber mit logischem Schlussfolgern darauf kommen, dass die Zugmitte als Knautschzone bei Auffahrunfällen und ein Gangplatz bei seitlichem Zusammenstoß die sicherste Position in einem Zug darstellen werden.

Viel wichtiger ist es allerdings, nicht in Hysterie zu verfallen. Statt Listicles und Mutmaßungen über die angeblichen Gefahren des Zugfahrens sollten wir lieber den Drang überdenken, immer alles sofort wissen zu wollen und dann vielleicht nicht mit der Geschwindigkeit der Informationen umgehen zu können. Man kann darüber reden, was Live- und Listenjournalismus darf, vom eigentlichen Unglück ablenken und unreflektiert Angst schüren sollte aber eher nicht dazu gehören.