Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.
Es gibt Läden, da gehe ich aus Prinzip nicht rein. Schon beim Eintreten bellt mir Musik in einer Lautstärke entgegen, bei der ich mir einen temporären Hörverlust herbeisehne. Ich kann auch ohne die Tally Weijl-Filialen dieser Welt leben.
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Es gibt lärmige Orte, bei denen es mir schwerer fiele, sie zu meiden. Restaurants etwa, in deren Geräuschkulisse ich weder den Kellner noch mich selbst verstehe, die aber dummerweise meinen liebsten Burger braten. Habe ich nicht gerade zu Randzeiten reserviert, beschränkt sich der Aufenthalt in meinem Lieblingsrestaurant daher bloss auf: Essen und schnellstmöglich das Weite suchen. Perfekt für ein Treffen mit Menschen, auf die man ohnehin keinen Bock hatte.
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Restaurants bespielen ihre Gäste schon seit den 90er Jahren mit Musik, damals hat sich in New York der Trend der “geschäftigen Gastronomie” durchgesetzt. Mit den richtigen Beats im Hintergrund sollte eine aufregende Atmosphäre geschaffen werden, die sogar die Bereitschaft für mehr Trinkgeld erhöhen soll. Besonders wenn im Restaurant ein Song von ABBA läuft, wie eine aktuelle Studie behauptet.
Eine ausgelassene Stimmung im Restaurant kann aber auch schnell umschlagen. Der Gesetzgeber hat von diesem Punkt eine exakte Vorstellung. In der Schweiz liegt der Richtwert für den Lärmpegel in Restaurants bei rund 60 dB, das kommt in etwa der Lautstärke eines normalen Gesprächs gleich. Oder einer halben Vuvuzela, je nachdem wie man es sieht. Österreich und Deutschland haben keinen Richtwert festgelegt, in beiden Ländern gilt etwas erst als “zu laut”, sofern sich jemand darüber beschwert hat. Über die akustischen Stränge zu schlagen geht also ganz einfach, da muss sich noch gar kein Soul über die Atmosphäre legen. Aber wie gehen die Restaurantbetreibenden mit der Herausforderung um, dass sie einerseits eine lässige Stimmung schaffen, ihre Gäste andererseits aber auch nicht zwingen wollen, sich bei einem Date anzuschreien, als stünden sie am Ende einer Romanze und nicht an deren Anfang?
“Ein Laden der brummt, kann nicht ruhig sein”
Christoph Gysi, Les Halles
“Schuld am Lärm ist bei uns nicht die Musik, sondern die grosse Anzahl Gäste sowie die Akustik. Mit zunehmend alkohol geschwängerten Gesprächen schaukelt sich der Pegel nunmal hoch”, erklärt mir Christoph Gysi vom Les Halles in Zürich. Die Brasserie in Zürich-West ist beliebt – und dementsprechend auch laut. Seinen Gästen wird er aber kein “Bitte beim Essen gefälligst leise sprechen”-Schild auf die Tische stellen: “Ein Laden der brummt, kann nicht ruhig sein. Und eine Brasserie ist ja eigentlich immer laut.”
Auch das Rosso gilt als eine der lauteren Locations in der Stadt Zürich. Ein altes Industriegebäude ohne raumtrennende Wände bietet den perfekten Nährboden für weinselige Gespräche zur italienischen Küche, die auch am Nachbartisch noch zu hören sind. Vor allem an manchen Freitagen werde es durchaus mal laut, sagt Franziska Kempf, eine Mitbegründerin des Lokals. “Es gibt aber auch Abende, bei denen man sich ganz normal unterhalten kann. So ist lebhafte Gastronomie und der Gast ist ein Teil davon.”
“Für einen Hochzeitsantrag würde ich wohl eher nicht bei uns vorbeischauen.”
Oliver Zemp, Cartel
“Bei vollem Lokal regeln wir die Musik eher runter, da die Gäste selbst ja oftmals schon viel Lärm machen”, sagt Oliver Zemp vom Burrito-Shop Cartel. Das kleine Lokal ist vor allem als Take-Away beliebt. Wer sich aber schon mal durch die Tequila-Karte des Schuppens getestet hat, weiss die wenigen Sitzgelegenheiten im Restaurant besonders zu schätzen.
Die Musikauswahl im Cartel reicht von mexikanischem Folk und Hip Hop bis hin zu Gangsta Rap und Mariachi-Musik. “Alles nicht gerade ‘ruhige’ Musik”, wie Oliver zugibt. “Ich selbst fand es in Lokalen auch schon mal zu laut”, erzählt er. Er empfinde das aber als lebendig und entscheide darum immer im Vorfeld, ob er auf so ein Lokal gerade Bock hat oder nicht. “Für einen Hochzeitsantrag würde ich wohl eher nicht bei uns vorbeischauen.”
Oliver empfiehlt lärmempfindlichen Gästen daher, nicht gerade in der Rush Hour vorbeizukommen und sich einen Platz in einer der hinteren Ecken zu suchen. “Es gibt zwar viele, oft sehr teure Schallschutzmassnahmen. Die können ein Lokal aber auch optisch verschandeln.”
Mit teuren Massnahmen hat sich bis vor kurzem auch das ROSI herumgeschlagen. Das bayrische Restaurant in Zürich hat vor allem in seiner Anfangszeit immer wieder Klagen von Gästen erhalten, dass es eindeutig zu laut sei: “Wir hatten ein echtes Lärmproblem, das ist mir auch selbst irgendwann aufgefallen. Wir haben kürzlich eine Schallisolierung installieren lassen”, sagt Elif Oskan, eine der treibenden Kräfte hinter dem ROSI (und Zürichs ungekrönte Dessertkönigin).
Das kann sich aber nicht jeder Restaurateur leisten. Vor allem wenn man, wie im Fall von ROSI, erst vor wenigen Monaten eröffnet und das Startkapital vor allem in eine gute Küche in gemütlichem Ambiente gesteckt hat: “Es ist nicht immer einfach, auf die Schnelle eine perfekte Lösung für alle zu finden”, sagt Elif. Wer sich in Zürich also unbedingt selbst beim Kauen zuhören will, geht besser in die edle Kronenhalle und bestellt dort für 58 Franken (rund 50 Euro) das vermutlich teuerste Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti der Welt.
Oder du bleibst einfach zuhause und kochst mal wieder selbst?